Francis Kirps: Die Mutationen

Autor Francis Kirps begibt sich mit „Die Mutationen“ auf glitschiges Terrain – durch das er aber in schlafwandlerischer Sicherheit souverän marschiert.

Aug’ in Aug’ mit der Weltliteratur und trotzdem spötteln. Das muss man sich schon trauen. Mittels seiner Stilsicherheit und seinem bekannt schnoddrigen Ton gelingt Francis Kirps dies mit „Die Mutationen“ durchaus. Sei es mit Altbekanntem, wie etwa der Verwandlung von Franz Kafka, die Kirps einfach mal umdreht, indem er erzählt, wie sich eine menschgewordene, freie und durchaus studierte Stubenfliege fühlt. Oder anhand etwas Abstruserem, wie Ingeborg Bachmann mit H.P. Lovecraft zu kreuzen – die Neuverfassungen der Klassiker sind durchaus gelungen. Und auch dann lesbar, wenn man das Original entweder nicht kennt, wieder vergessen hat oder wegen traumatischer Schulerlebnisse schlichtweg verdrängt hat. Nicht weniger als acht Autor*innen werden durch die Kirps’sche Mangel gedreht, von sehr kurz bis sehr lang.

Aber nicht nur ein Lächeln formt sich auf den Lippen der Leser*innen, denn „Die Mutationen“ sind weit mehr als eine gut gemachte Veräppelung altehrwürdiger Lyrik. Auch politische Statements wird der Autor – der auch für die bekannte Satire-Kolumne „Die Wahrheit“ in der taz schreibt – zwischen den Zeilen los. Das Erstaunlichste ist aber „Das Modell“, mit 100 Seiten der längste Text im Buch. Hier hat sich Kirps mit „La Vénus d’Ille“ von Prosper Mérimée einen Meilenstein der französischen Romantik und der fantastischen Literatur vorgenommen. Ging es im Original aus dem 19. Jahrhundert um eine antike Venusstatue, die aus Liebesenttäuschung zum Leben erwacht und einen ziemlich fiesen Typen in seiner Hochzeitnacht um die Ecke bringt, so erzählt Kirps die Vorgeschichte der Statue – beziehungsweise der Sklavin Tullia, die dafür Modell stand. Die imaginäre Antike und vor allem die Existenz als Sklavin enthalten viele Parallelen zur heutigen Arbeitswelt, mit motivierenden Chefs und sich selbst opfernden Angestellten. Nur, dass Tullia und ihre Mitsklavinnen die Probleme auf etwas drastische Art lösen. Die Idee, eine sich nach Freiheit sehnende Frau in den Mittelpunkt der Geschichte zu setzen und so die böse Venus aus der Mérimée-Erzählung zu rächen, ist so simpel wie genial. Wer lachen, weinen und seine Klassiker auffrischen möchte, sollte hier zugreifen.

Erschienen bei Editions Hydre.


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