Hydrogen: Stoff der Träume

Wasserstoff gehört nicht in private PKWs – für schwere Nutzfahrzeuge und die Industrie könnte er jedoch eine klimaneutrale Wende bringen.

Weltweit fahren mehr Gabelstapler als PKWs mit Wasserstoff-Antrieb. (Foto: CC-BY-SA wikimedia/Comyu)

„Wenn die EU nicht den Anschluss an China und die USA verpassen will muss sie konsequent auf Wasserstoff setzen.“ Das Zitat stammt nicht von Mobilitätsexpert*innen, sondern vom Twitteraccount des CSV-Abgeordneten Laurent Mosar. Den Traum, bald mit Wasserstoff-PKWs fahren zu können und außer dem Treibstoff nichts an den eigenen Gewohnheiten zu ändern, teilt er mit vielen. Auch in der Schwerindustrie gibt es große Hoffnungen, energie- und CO2-intensive Prozesse bald mithilfe von Wasserstoff klimaneutral durchführen zu können. Das Problem: Es gibt bisher kaum klimaneutral produzierten Wasserstoff. Lobbygruppen drängen auf einen Ausbau der Wasserstoffindustrie – dabei geht es auch um die Frage, wer Kontrolle über kritische Infrastrukturen hat.

Wasserstoff ist das häufigste Element im Universum und Hauptbestandteil von Wasser. In seiner reinen, molekularen Form H2 kommt es jedoch in der Natur nicht vor. Reiner Wasserstoff wird zurzeit vor allem zur Herstellung von Ammoniak (für Düngemittel) und zur Aufbereitung von Metallerzen benutzt. Allerdings gibt es schon länger Versuche, Wasserstoff als Energieträger im Transportsektor einzusetzen. Das Gas kann direkt verbrannt oder – was mittlerweile zur Norm geworden ist – in einer Brennstoffzelle zur Erzeugung von elektrischem Strom benutzt werden.

Allerdings ist Wasserstoff enorm leicht, weshalb er verdichtet oder verflüssigt werden muss, um praktikabel genutzt werden zu können. Ein weiterer Nachteil: H2-Moleküle sind winzig, weswegen Tanks mit speziellen Materialien sehr dicht gebaut werden müssen, damit sich das Gas nicht einfach verflüchtigt. Die Verflüssigung von Wasserstoff ist zudem sehr energieaufwändig.

Mehr Gabelstapler als Autos

Grundsätzlich ist ein Wasserstoffauto mit Brennstoffzelle nämlich nichts anderes als ein Elektroauto mit einem weiteren Schritt: Statt mit Strom wird das Auto mit Wasserstoff betankt. Der wird in der Brennstoffzelle zu Strom, der in einem kleineren Akku gespeichert oder gleich in einem Elektromotor in Bewegungsenergie umgewandelt wird. Diese Fahrzeuge gibt es schon seit einigen Jahrzehnten, bisher hat die Technologie aber nie wirklich abheben können.

Laut einem Bericht der internationalen Energieagentur IEA von Juni 2019 fahren derzeit 11.200 Wasserstoffautos auf den Straßen der Welt. In Lagerhallen sieht es anders aus: 20.000 wasserstoffbetriebene Gabelstapler gibt es weltweit. Die schnelle Betankung, der geringere Platzverbrauch als bei herkömmlichen Bleiakkus und die Tatsache, dass Gabelstapler mit Brennstoffzelle bei niedrigen Temperaturen nicht so schnell schlapp machen als jene mit reinem Elektroantrieb, haben dafür gesorgt, dass die Logistikbranche sich mit der Technologie angefreundet hat. In den USA setzen vor allem Amazon und der Einzelhandelsriese Walmart auf die Wasserstoff-Gabelstapler – auch, weil es staatliche Unterstützung für die Anschaffung von Brennstoffzellen gab.

Ebenfalls bereits oft im Testbetrieb gefahren sind Wasserstoffbusse, auch in Luxemburg. Von 2003 bis 2007 wurden in der Hauptstadt drei solche Busse erst im Rahmen des europäischen Forschungsprojektes Cute (Clean Urban Transport for Europe), dann in einem Nachfolgeprojekt getestet. Die Busse mit Brennstoffzellen fuhren auch in anderen Städten, sowohl in Europa als auch in China und Australien. Beteiligt waren neben den Fahrzeugherstellern Daimler und Man auch viele Akteure der Ölindustrie wie BP, Total, Statoil und Shell.

Elektrisch überholte Zukunftsvision

„Wir unterstützen eine Zukunftsvision, in der Wasserstoff mit erneuerbaren Energien lokal produziert wird und eine wichtige Rolle in unserem Transportsystem spielt. Wir rufen Industrie und Regierungen auf, weiter mit uns daran zu arbeiten, diese Vision in einem Jahrzehnt zu verwirklichen“, heißt es im Abschlussbericht von den Bürgermeister*innen der teilnehmenden Städte. Neben Paul Helminger strahlte damals übrigens auch Boris Johnson für die Broschüre in die Kamera.

Mehr als zehn Jahre später fahren in Luxemburg-Stadt die Tram und batterieelektrische Busse, die Wasserstoff-Tankstelle existiert nicht mehr. Im Rahmen des Projektes „H2Benelux“ soll eine neue errichtet werden. Theoretisch werden Wasserstoffautos ebenso gefördert wie Elektroautos, praktisch sind keine am Markt. Busse wären für den Einsatz mit Wasserstoff eher geeignet als PKWs. Es ist effizienter, den Strom direkt aus einer Batterie in den Elektromotor zu speisen, als zuerst Wasserstoff zu verstromen. Akkus sind jedoch schwer, sodass bei großen Nutzfahrzeugen die Vorteile von Wasserstoff überwiegen. Der muss allerdings auch erst erzeugt werden.

An dieser Stelle täuscht der Name oft: Wasserstoff kann zwar mittels Elektrolyse aus Wasser hergestellt werden, das ist jedoch enorm energieaufwändig. Nur ein verschwindend geringer Teil wird so hergestellt, der Großteil des Wasserstoffs wird mittels fossiler Energiequellen wie Erdgas, Kohle und seltener auch Erdöl gewonnen. Während des Herstellungsprozesses entsteht nicht nur Wasserstoff, sondern auch jede Menge CO2.

Die Produktion von Wasserstoff ist jährlich für 830 Millionen Tonnen CO2 verantwortlich – so viel wie das Vereinigte Königreich und Indonesien zusammen, wie die IEA vorgerechnet hat. Sechs Prozent der globalen Erdgasförderung und zwei Prozent der weltweiten Kohleförderung werden zur Herstellung von Wasserstoff genutzt. Ein Drittel des jährlichen Wasserstoffbedarfs entfällt auf den Transportsektor, allerdings vor allem für die Nutzung in Raffinerien, wo Kraftstoffe hergestellt werden. Weniger als 0,01 Megatonnen reiner Wasserstoff wird in Brennstoffzellen-Fahrzeugen verwendet; der Großteil hiervon stammt aus Erdgas.

Foto: US Department of Energy

Grüner Stahl und 
blauer Wasserstoff

Es wäre durchaus möglich, mehr Wasserstoff durch Elektrolyse herzustellen. Mit erneuerbaren Energien wäre der Energieträger dann klimaneutral und könnte zur Speicherung von „überschüssigem“ grünen Strom verwendet werden. Allerdings bedeuten die Verluste durch eine Wiederverstromung in der Brennstoffzelle, dass nur noch 30 Prozent der ursprünglichen Energie erhalten bleiben. Würde man allen Wasserstoff durch Elektrolyse herstellen wollen, bedeutete das laut IEA einen Energieverbrauch von 3.600 Terawattstunden im Jahr, was über dem Stromverbrauch der EU liegt. Unnötig zu erwähnen, dass der Wasserbrauch ebenfalls nicht unerheblich wäre.

Könnten sich vermehrte Investitionen in Infrastruktur für die Erzeugung und den Transport von Wasserstoff trotzdem lohnen? Für private PKWs, die in der Regel nur eine geringe Weglänge am Tag zurücklegen, bleibt das Elektroauto mit Batterie die effizienteste Lösung. Für schwere Gefährte oder Autos, die täglich weite Strecken zurücklegen, könnte die Brennstoffzelle eine bessere Lösung sein: Reisebusse, LKWs, Sattelzüge und Taxis wären Beispiele. Flugzeuge und Schiffe, für die es wohl kaum batterieelektrische Lösungen geben wird, könnten ebenfalls mit Wasserstoff als Energieträger klimaneutral werden – immer vorausgesetzt, es sind genügend erneuerbare Stromkapazitäten für die Elektrolyse vorhanden.

In der Schweiz und in Österreich werden Flotten von Brennstoffzellen-LKWs geplant, in Tirol will eine Supermarktkette bis 2027 vollständig auf Wasserstoff umsteigen – der soll aus erneuerbaren Quellen selbst produziert werden. In den USA hat das LKW-Startup Nikola (wie eine andere Automarke ebenfalls nach dem Erfinder und Esoteriker Nikola Tesla benannt) den Auftrag bekommen, 800 Trucks für den Getränkehersteller Anheuser-Busch zu bauen.

Wasserstoff wird nicht nur von der Transportindustrie als Wundermittel angesehen, sondern auch von anderen Industrien. Die Stahlindustrie ist zum Beispiel besonders interessiert daran, Wasserstoff zur Dekarbonisierung zu nutzen und Kohle zu ersetzen. Der deutsche Stahlkonzern Salzgitter hat bereits konkrete Pläne, um mithilfe von Wasserstoff „grünen“ Stahl herzustellen – Wasser- und Strombedarf wären allerdings enorm. Auch der luxemburgische Zulieferer für die Stahlindustrie Paul Wurth setzt Hoffnungen in Wasserstoff. 2018 kaufte die Firma Anteile an der deutschen Sunfire GmbH, die Elektrolysegeräte entwickelt.

Paul Wurth ist auch Mitglied beim Lobbyverband Hydrogen Europe, in dem sich neben den Riesen der Gas- und Ölindustrie auch etliche Fahrzeughersteller tummeln. Die NGO Corporate Europe Observatory, die Lobbyaktivitäten auf Klimaverträglichkeit untersucht, äußert den Verdacht, dass es den Lobbys von Erdgas und Wasserstoff – zwischen denen es viele Überschneidungen gibt – hauptsächlich darum geht, die alten Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten.

Ölindustrie lobbyiert für ihre Abschaffung

Einerseits wollen Firmen, die heute Erdgas transportieren, ihre Pipelines und Tankstellen auch in Zukunft für Wasserstoff genutzt sehen, andererseits wollen sie „blauen“ Wasserstoff, der aus Erdgas gewonnen wird, als „sauber“ verkaufen. Laut der NGO werden dafür nicht nur Hände geschüttelt, sondern auch Anzeigen und Artikel in zentralen EU-Medien wie Politico oder Euractiv gekauft.

Während der österreichischen Ratspräsidentschaft wurde eine Deklaration für eine Wasserstoffinitiative 
vorgestellt, im Hintergrund lobbyierten der Stahlkonzern Voestalpine, der Mineralölkonzern OMV und der Energiekonzern Verbund. Offenbar mit Erfolg: Die Europäische Kommission arbeitet an einem Gaspaket, in dem Wasserstoff eine Schlüsselrolle einnehmen soll. 2021 soll es vorgestellt werden. Die EU steckt ohnehin weltweit am meisten Fördergelder in Wasserstoff – vielleicht mit ein Grund, weshalb manche Hersteller bei batterieelektrischen PKWs den Anschluss verpasst haben.

Wasserstoff könnte in vielen Bereichen durchaus eine Rolle in einer dekarbonisierten Wirtschaft spielen und neben industriellen Prozessen auch Flugzeuge, Schiffe oder Lastwagen antreiben. Dafür sind jedoch große finanzielle Anstrengungen und viel Forschung und Entwicklung nötig. Für den privaten PKW ist die Technologie eher ungeeignet – trotz den bekannten Nachteilen überwiegen die Vorteile der klassischen Elektroautos. Ohnehin sind weder Elektroantrieb noch Brennstoffzelle die Lösung für Mobilitätsprobleme: Es gibt nicht weniger Staus, wenn Motoren ausgetauscht werden. Raumplanerische Probleme können nun mal nicht durch technologische Fortschritte unter der Motorhaube gelöst werden.


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