Indien: Polarisieren, desinformieren

Der populistische Wahlkampf der Hindunationalisten war erfolgreich, der Sieg von Premier Narendra Modi und der Indischen Volkspartei BJP deutlicher als erwartet. Vergeblich hat die oppositionelle Kongresspartei versucht, sozial benachteiligte Kasten hinter sich zu vereinen.

Der wiedergewählte indische Premierminister Narendra Modi (rechts) beim Amtsschwur am 30. Mai 2019 in Neu-Delhi: Als Sohn eines mittellosen Teeverkäufers gilt er als charismatischer Aufsteiger und ist der Inbegriff des sogenannten Hindunationalismus. (Foto: EPA-EFE/Press Information Bureau)

Der Sieg Narendra Modis war triumphal. Die 17. Parlamentswahlen in Indien, dem bevölkerungsreichsten demokratisch regierten Land der Welt, fanden vom 11. April bis 19. Mai in sieben Phasen statt. Die „Lok Sabha“ (Volksversammlung) ist die erste Kammer des Parlaments. 8.000 Kandidaten konkurrierten um die Stimmen der 900 Millionen Wahlberechtigten. 67 Prozent von ihnen gaben ihre Stimme ab, erstmalig erreichte die Wahlbeteiligung der Frauen jene der Männer.

Die hochmoderne Wahlkampfmaschine der Indischen Volkspartei (BJP) war ganz auf die Wiederwahl Modis zum Premierminister für die kommenden fünf Jahre zugeschnitten und wurde zu einem Referendum über ihn stilisiert. Der 68-jährige Sohn eines mittellosen Teeverkäufers aus Gujarat gilt als frommer, asketischer und charismatischer Aufsteiger. Die BJP betonte den Kontrast zu seinem Herausforderer Rahul Gandhi, dem Sprössling der Gandhi-Nehru-Politdynastie, die mit Korruption und Klientelismus identifiziert wird. Knapp 38 Prozent der über 600 Millionen Wahlteilnehmer entschieden sich für die BJP, die mit 303 der 542 zur Wahl stehenden Sitze der Volksversammlung dort die absolute Mehrheit erlangt hat. Das von ihr angeführte Regierungsbündnis National-Demokratische Allianz (NDA) verfügt nun über 358 Sitze in der Lok Sabha.

Der Wahlsieg fiel höher als erwartet aus. Linke und Liberale befürchten, Modi werde ab jetzt rücksichtsloser ideologische Ziele durchsetzen. Die Befürchtung ist verständlich: Modi ist der Inbegriff des sogenannten Hindunationalismus, und der Wahlkampf war polarisierender als jeder zuvor. Er selbst bemüht sich, solchen Befürchtungen entgegenzutreten. Am 23. Mai versprach er auf Twitter ein Indien für alle: „Zusammen wachsen wir. Zusammen kommen wir voran. Zusammen bauen wir ein starkes und inklusives Indien auf.“ Das kann auch als Botschaft an die Hardliner der BJP verstanden werden: Der Wahlkampf ist vorbei, benehmt euch wieder.

Erstmalig erreichte die Wahlbeteiligung der Frauen jene der Männer.

Eine weitere Zuspitzung der Konflikte – unter anderem war wegen Gewalttaten der Wahlkampf in Westbengalen verkürzt worden – kann nicht in Modis Interesse sein. Allerdings werden Hindunationalisten in den kommenden Jahren wohl ihre Vormachtstellung in Universitäten, Ministerien, der Bundespolizeibehörde (CBI) und der Zentralbank weiter ausbauen. Das kann man als beginnende Erosion demokratischer Institutionen kritisieren, allerdings haben die Vorgängerregierungen dies ebenso gehandhabt. An den Universitäten dürften die Kultur- und Geisteswissenschaften diese Dynamik am stärksten zu spüren bekommen. Indien wird autoritärer, der Einfluss des Premierministers größer werden, denn die Wahl gewonnen hat vor allem Modi, nicht seine Partei.

Der indische Nationalismus, für den er steht, basiert nicht auf einer Gemeinsamkeit der Sprache, einer religiösen Tradition oder ethnischen Ideologie, sondern auf einem gemeinsamen Feind: Zunächst war das der europäische Kolonialismus, nun ist es Pakistan. Der Hindunationalismus ist ein theologisch weitgehend inhaltsleeres Kunstprodukt, das weder von hinduistischer Theologie seriös untermauert werden kann noch vergleichbar ist etwa mit der islamischen Nationalideologie Pakistans, die die Politik unter den Primat der Religion stellt.

Innerhalb Indiens empfiehlt sich die BJP hauptsächlich als Garant für wirtschaftliche Entwicklung. Der Hindunationalismus ist eine identitäre und populistische Bewegung, die eine patriarchal-kommunitaristische Leitkultur propagiert. Das verträgt sich nicht gut mit demokratischen Werten und den Rechten religiöser Minderheiten. Aber die BJP hat die säkulare Verfassung Indiens nie aufzuweichen versucht oder das Prinzip freier Wahlen angezweifelt. Von Indiens Pressefreiheit kann man in den Nachbarländern nur träumen. Allerdings fehlt auch den indischen Massenmedien ein Gegengewicht zum politischen Populismus.

© Press Information Bureau/Government of India

Das indische Wahlergebnis bestätigt einen globalen Trend: den Siegeszug populistischer Twitter-Politiker. Der Ton der Trolle in den sozialen Medien wurde im Wahlkampf aggressiv, stark polarisierend. Sie setzten absurde Themen. So kreiste die politische Debatte weniger um Modis zweifelhafte Bargeldreform, die die Korruption mindern sollte, aber viel Chaos verursachte, auch nicht um die Misere der Bauern oder die hohe Arbeitslosigkeit. Stattdessen standen „fake news“ über einen Luftangriff auf ein Terroristenlager in Pakistan oder die Fußabdrücke des Yeti, die die indische Armee entdeckt haben will, im Mittelpunkt. Twitter fördert den politischen Populismus, der durch emotionale Erregung soziale Fragmentierung begünstigt. Die BJP konnte dies weitaus besser nutzen als die Kongresspartei.

Deren Vorsitzender Rahul Gandhi versuchte vergeblich, sozial benachteiligte Kasten hinter sich zu vereinen. Der Bezug auf „Other Backward Classes“ – der verfassungsrechtliche Sammelbegriff für benachteiligte Bevölkerungsgruppen, denen nach indischem Recht eine Förderung zusteht – entfaltet offenbar keine mobilisierende Wirkung mehr. Die BJP hingegen appellierte an Individuen, die sich benachteiligt fühlen. Sie hat ihren moderneren Wahlkampf damit auch strategisch deutlich weniger konservativ und traditionell gestaltet als die Kongresspartei. So trommelte die BJP gegen „antinationale Kräfte“: Sie bezichtigte die Kongresspartei, Muslime zu unterstützen und porträtierte die linken Parteien als Mitstreiter jener Maoisten, die in einigen Bundesstaaten einen Guerillakampf führen.

Zugleich instrumentalisierte Modi erfolgreich die Angst vor Terrorangriffen aus Pakistan, um sich als Wächter der Nation zu inszenieren. Die Entscheidung für einen Luftangriff auf Balakot im pakistanischen Teil Kaschmirs am 26. Februar will er im Alleingang getroffen haben, in Reaktion auf einen islamistisch motivierten Selbstmordanschlag auf indische Sicherheitskräfte. Er habe sich damit trotz der Warnungen seiner militärischen Berater und anderer Bedenkenträger des politischen Establishments durchgesetzt. Dass tatsächlich, wie von der indischen Regierung behauptet, ein Terroristenlager getroffen wurde, wird von Experten zwar bezweifelt. Für Modi war der Angriff dennoch ein Erfolg – und Pakistans Islamisten haben den hindunationalistischen Sieg so beflügelt.

Von den 80 mehrheitlich muslimischen Wahlkreisen hat die BJP 40 gewonnen. Offenbar ist Modis Rhetorik gegen Kastenwesen und Geburtsprivilegien auch für zahlreiche Muslime attraktiv. Die Hindunationalisten fokussierten in ihren Förderprogrammen auf individuelle Verdienste, Muslime wurden durch ihre Politik in den vergangenen Jahren nicht systematisch diskriminiert. Eine Wähleranalyse nach Geschlechtern zeigt, dass 39 Prozent der Männer und 36 Prozent der Frauen BJP wählten. Je jünger die Wählenden, desto eher stimmten sie für die BJP.

In den ersten Tagen nach der Wahl wurde medienwirksam scheinbar das Wahlversprechen „Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft“ eingelöst. So wurde am 26. Mai der Milliardär Naresh Goyal, bis März Vorsitzender des Verwaltungsrats der Luftfahrtgesellschaft „Jet Airways“, in Mumbai aus einem startenden Flugzeug abgeführt und an der Ausreise gehindert. Zudem bemüht sich die indische Regierung weiterhin um die Auslieferung des Milliardärs und Brauereierben Vijay Mallya, dem Gründer der „Kingfisher Airlines“, sowie des Diamantenhändlers Nirav Modi, die beide nach London fliehen konnten. Korruptionsvorwürfe gibt es allerdings auch gegen die BJP-Regierung selbst, und im Korruptionsindex von „Transparency International“ konnte für Indien während der ersten Amtszeit Modis keine Besserung verzeichnet werden.

Thomas K. Gugler ist Indologe und Islamwissenschaftler.

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