Insektensterben
: Stiller Frühling?

Es gibt immer weniger Insekten, stellt eine deutsche Studie fest. 
Wie ist die Situation in Luxemburg – und was kann gegen das Insektensterben getan werden?

(Foto: pixabay/TambiraPhotography)

Tote Bienen erregen die Gemüter – wenn andere Insekten sterben, ist der öffentliche Aufschrei jedoch wesentlich leiser. Als Ende Oktober ein deutsches ForscherInnenteam die Resultate einer Langzeitstudie vorstellte, gab es dennoch Schlagzeilen. 27 Jahre lang hatten die ForscherInnen Insekten in Naturschutzgebieten gefangen und die Biomasse gewogen. Sie fanden heraus: Es gibt immer weniger Fluginsekten, in knapp drei Jahrzehnten ging die Biomasse um 75 Prozent zurück. In den Sommermonaten, in denen es eigentlich besonders viel Insekten geben sollte, lag der Schwund sogar bei über 80 Prozent. Insekten – das sind jene Wirbellosen mit sechs Beinen – sind für den größten Teil der Biodiversität auf dem Planeten verantwortlich. Über die Hälfte aller beschriebenen Spezies sind Insekten. Während bisher rund 900.000 Insektenspezies beschrieben sind, reichen die Schätzungen der Gesamtzahl von rund drei bis beinahe acht Millionen. Unter den Insekten sind die Käfer die größte Gruppe, jedes Jahr werden über 2.000 neue Arten in die Ordnung Coleoptera sortiert. Bei diesen Zahlen sollte es niemanden wundern, dass Insekten eine wichtige Rolle in unserem Ökosystem spielen. 80 Prozent der Wildpflanzen sind für ihre Bestäubung auf Insekten angewiesen, 60 Prozent der Vögel benötigen sie als Nahrungsquelle. Wenn es also viel weniger Insekten gibt, wird dies auf kurz oder lang auch massive Auswirkungen auf den Rest der Pflanzen- und Tierwelt haben.

Die deutsche Studie ist eindrucksvoll – nicht nur der lange Erhebungszeitraum imponiert, sondern auch der Umfang der zusätzlich erhobenen Daten, etwa über die Vegetation in der Nähe der Fallen. Es gibt wenig Vergleichswerte, da sich die meisten WissenschaftlerInnen auf einzelne Spezies oder Gattungen konzentrieren. Allerdings wurde hier durchaus ein Trend bestätigt, der sich schon länger abzeichnet: Egal ob Falter, Käfer oder Hautflügler – es gibt immer weniger. In Luxemburg ist es nicht anders. Das ehemalige Centre de Recherche Public Gabriel Lippmann (heute LIST) hat im Zeitraum von 2010 bis 2014 einen Rückgang um 20 Prozent bei 
der luxemburgischen Schmetterlingspopulation festgestellt. Für die übrigen Insekten ist die Datenlage eher dünn. Das Nationalmuseum für Naturgeschichte führt Rote Listen, aber nur für Libellen, Heuschrecken und Falter.

Wenig Biodiversitätsforschung in Luxemburg

„Die Biodiversitätsforschung in Luxemburg ist sehr schlecht abgedeckt, die Roten Listen erstellen Freiwillige in ihrer Freizeit“, erklärt Raoul Gerend, der eigentlich Lehrer ist. In seiner Freizeit beschäftigt er sich im Rahmen der „Société des naturalistes luxembourgeois“ (SNL) mit Insekten. Auch mit dem naturhistorischen Museum arbeitet er zusammen, war auch schon einmal für ein Jahr zu der Institution abgestellt. Er ist der Meinung, dass die deutsche Studie sich auf die Situation in Luxemburg übertragen lässt: „Wir haben zwar keine Studie, aber viele Eindrücke aus der alltäglichen Arbeit. Auch Menschen, die sich nicht mit Insekten beschäftigen, merken zum Beispiel, dass sie im Sommer viel weniger tote Insekten auf der Windschutzscheibe finden.“ Ein subjektiver Eindruck, den aber sicherlich viele nachvollziehen können. Ganz objektiv lässt sich, etwa durch konservierte Exemplare in Sammlungen, zeigen, dass Arten, die früher in Luxemburg heimisch waren, heute nicht mehr nachweisbar sind.

Auch Guy Colling, der in der Biologie-Abteilung des Nationalmuseums für Naturgeschichte arbeitet, bestätigt den Befund der deutschen Studie: „Als Botaniker schaue ich mir natürlich auch jene Insekten an, die auf den Pflanzen, die ich untersuche, leben. Und da merkt man, dass es weniger werden. Die Studie ist nichts, was wirklich überrascht, aber jetzt gibt es harte Zahlen.“ Viele Insekten sind auf Blütenpflanzen angewiesen – und umgekehrt: Ohne Insekten keine Bestäubung. Teilweise reicht die Koevolution so weit, dass manche Insekten nur auf einer einzigen Pflanzenart vorkommen. Stirbt diese Pflanzenart regional aus, verschwinden auch die spezialisierten Insekten. „Wir sehen das im Ösling bei der Arnika. Die Pflanze konnten wir zwar wieder ansiedeln, aber weil die Population so klein ist, fehlt bisher die Arnika-Fliege, die sich auf die Arnika spezialisiert hat.“, erklärt Colling. Das Insektensterben wirkt sich aber auch auf das obere Ende der Nahrungskette aus. Vögel, die sich vor allem von großen Insekten ernähren und diese in offenen Landschaften finden, werden immer weniger. „Bei Insektenfressern wie dem Neuntöter oder dem Steinkauz ist ein Rückgang zu beobachten. Das hat aber auch mit dem Strukturwandel in der Landwirtschaft zu tun“, gibt Raoul Gerend zu bedenken.

Sündenbock Landwirtschaft

Die AutorInnen der Biomasse-Studie haben zwar viele mögliche erklärende Variablen statistisch mit ihren Daten verglichen, aber letzten Endes keine eindeutigen Schlüsse ziehen können. Das Insektensterben ist unabhängig vom Standort überall etwa gleich stark zu beobachten, auch die Art der Landnutzung in der Nachbarschaft der Fallen scheint keinen direkten Einfluss auf die Insekten-Biomasse zu haben. Der Klimawandel mit steigenden Temperaturen sollte eigentlich dazu führen, dass es mehr Insekten gibt – das Gegenteil ist der Fall. Komplett mysteriös ist das Insektensterben dennoch nicht, auch wenn in der Studie über andere mögliche Ursachen nur spekuliert wird. Die Art und Weise, wie wir heute Landwirtschaft betreiben – und dafür die Landschaft verändert haben –, spielt wohl die größte Rolle. Feuchtgebiete wurden entwässert, die kleinteilige Landwirtschaft mit vielen Hecken wurde vielerorts durch große Grünlandflächen ersetzt, Monokulturen sind allgegenwärtig. Es entstehen sogenannte „Graswüsten“, in denen Blütenpflanzen kaum eine Chance haben. Die dichte Grasnarbe hat auch zur Folge, dass sonnenliebende Insekten keinen Platz – etwa auf offenem Boden – mehr finden. Der großflächige Einsatz von Stickstoffdüngern führt zu einer Nivellierung, bei der jene Pflanzenarten gewinnen, die mit großen Mengen Stickstoff zurecht kommen. Weniger Diversität in der Pflanzenpopulation bedeutet auch weniger spezialisierte Insekten. Dazu trägt auch die Silage bei – im Gegensatz zum Heu werden Blütenpflanzen hier so früh geschnitten, dass sie nicht mehr blühen können –, der Einsatz von Pestiziden tut ein Übriges.

Rettet die Insekten!

„Ein Glyphosat-Verbot wäre ein weiterer Schritt in die richtige Richtung“, meint der Botaniker Guy Colling, „aber das Herbizid ist nur ein Teil des Problems. Grundsätzlich muss man bedenken, dass Pestizide sich in der Nahrungskette akkumulieren können.“ Glyphosat tötet keine Insekten, sorgt aber als Breitband-Herbizid dafür, dass die Nahrungskette zusammenbricht.

(Foto: cc-by Tamaki Sono)

Lässt sich das Insektensterben überhaupt noch aufhalten? Die Lösungsvorschläge klingen bekannt: „Was helfen könnte, wären weniger Pestizide, weniger Stickstoff- und Phosphatdünger, mehr Struktur in der Landschaft, kleinere Felder mit weniger Monokulturen und auch ‚Kleinigkeiten‘ wie weniger dicht säen“, schlägt Gerend vor. Mehr Biolandbau könnte also eine Lösung sein, die auch den Insekten hilft. „Bio-Lëtzebuerg“, die Vereinigung für Biolandbau in Luxemburg, präsentierte in der vergangenen Woche eine Studie, bei der konventionelle LandwirtInnen befragt wurden, wie sie zu einer Umstellung auf biologische Landwirtschaft stehen. Für etwas mehr als die Hälfte der Befragten kommt eine Umstellung nicht in Frage, während 16 Prozent immerhin darüber nachdenken. Hemmender Faktor gegen eine Umstellung ist die Sorge, keine hohen Erträge mehr zu erwirtschaften, vor allem aber, keine Handhabe gegen Schädlinge und unerwünschte Begleitvegetation mehr zu haben. Die Studie, die im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Wiener Universität für Bodenkultur durchgeführt wurde, kommt allerdings auch zu dem Schluss, dass diejenigen LandwirtInnen, für die eine Umstellung nicht in Frage kommt – oder die noch nie über sie nachgedacht haben – zum Großteil wenig Kenntnisse über Biolandbau besitzen. Hier wäre also ein Hebel, an dem eine Regierung, die Bio fördern und Insekten schützen will, ansetzen könnte. Anderenfalls müsste sie über größere Ausgleichsflächen nachdenken.

Um das Insektensterben zu stoppen, sollten jedoch nicht nur die LandwirtInnen in die Pflicht genommen werden. „Größere Naturschutzgebiete wären eine Lösung. Vor allem müssen diese aber durch Korridore miteinander verbunden sein. Sonst kommt es zu einer Verinselung, die auch nicht hilfreich ist.“, schlägt Gerend vor. Guy Colling gibt zu bedenken, dass auch Privathaushalte etwas tun können: „Die Leute müssten etwas toleranter werden, was Unkräuter und Insekten in ihren Gärten angeht und vielleicht auch mal eine Blumenwiese statt eines Steingartens anlegen.“

Viele von uns mögen Insekten nicht. Die Antwort auf das Insektensterben sollte jedoch nicht die Hoffnung sein, Stubenfliegen bald los zu sein – die lästigen Kulturfolger werden sowieso kaum verschwinden – sondern ein Umdenken bei der Art und Weise, wie wir unsere Kulturlandschaft gestalten.


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