Kostenloser öffentlicher Transport: Ein kleiner Schritt

Das Mobilitätsministerium vergleicht die Einführung des kostenlosen öffentlichen Transports mit der ersten Mondlandung. So richtig und wichtig die Maßnahme auch ist – das ist doch eher lächerlich.

Foto: pxfuel

Es passiert selten, dass in Luxemburg Pressekonferenzen Wochen vorher und neben zwei Landessprachen zusätzlich in englischer und spanischer Übersetzung angekündigt werden. Am Donnerstagnachmittag wurde vor allem der internationalen Presse noch einmal das Mobilitätsmärchenland Luxemburg vorgestellt: die grandios unambitionierte Mobilitätsstrategie Modu 2.0, der Verkehr in der Hauptstadt, der trotz Trambahn kaum autozentrierter sein könnte, und natürlich das Musikprogramm mit lokalen Künstler*innen.

Luxemburg wird vermutlich in den nächsten fünf bis zehn Jahren einen halbwegs ordentlichen öffentlichen Verkehr haben. Zug- und Tramstrecken werden ausgebaut, neue Züge mit mehr Platz sind bestellt und das RGTR-Busnetz wird neu organisiert. Was nördlich der Hauptstadt passiert, interessiert zwar leider keine Politiker*innen, aber immerhin fährt bald auch sonntags ein Bus in die „Brousse“. Im März 2020 ist gefühlt das halbe Land eine Baustelle – nicht unbedingt der beste Zeitpunkt, um den öffentlichen Verkehr kostenlos zu machen.

Die ausländische Presse wird diesen Zustand jedoch verkraften – es geht schließlich um die Sensation, nicht die Substanz. Im menschenfeindlichen Stadtteil Kirchberg lässt sich der kostenlose öffentliche Nahverkehr mit der farbenfrohen Tram ohnehin sehr gut illustrieren.

Die Kampagne, mit der das Ministerium den Start des Gratistransports in Luxemburg selbst bewirbt, ist lächerlich: Der 1. März sei so gewichtig wie die Erfindung des Rads, die erste Weltumsegelung, die Ankunft des Internets oder die Entdeckung der Schwerkraft. Dabei handelt es sich lediglich um die vorschnelle Umsetzung eines Wahlversprechens von DP und LSAP durch einen grünen Minister, der die Idee eher so mittelmäßig fand.

So viel es auch an der bombastischen Kampagne, deren Ziel vor allem Nationbranding ist, und dem schlecht gewählten Zeitpunkt auszusetzen gibt: Man möchte die Idee der kostenlosen Öffis dennoch vor ihren Kritiker*innen in Schutz nehmen. Niemand würde von „mautfreien Landstraßen“ reden, um klarzumachen, dass ja irgendwer den Asphalt zahlen muss – beim „ticketlosen Nahverkehr“ scheint es aber wichtig zu sein, pedantisch diese Binsenweisheit zu betonen.

Kostenloser öffentlicher Transport löst ein Stück jenes Freiheitsversprechens ein, mit dem PKWs verkauft werden.

Wer auf sein Auto angewiesen ist (oder sich das einbildet), wird am 1. März nicht plötzlich auf Bus, Tram und Zug umsteigen, nur weil es ab jetzt gratis ist. Wer jedoch – wie über ein Drittel der ärmsten Haushalte – keinen PKW besitzt, wird sich über die sinkenden Kosten freuen. Das gilt auch für Grenzpendler*innen, deren Tickets deutlich günstiger werden. Einige Personengruppen wie Schüler*innen, Studierende, Senior*innen, Geflüchtete oder Revis-Empfänger*innen durften sich ohnehin bereits an kostenloser Mobilität erfreuen.

Ohne Sorge um ein Ticket einfach in den Bus einsteigen können, löst ein Stück jenes Freiheitsversprechens ein, mit dem PKWs verkauft werden, auch wenn diese in der Realität nur im Stau stehen und höchstens bis zum nächsten Supermarkt gefahren werden. Mehr Freiheitsgefühl könnten die Öffentlichen noch zusätzlich verschaffen, wenn der Takt und die Kapazitäten erhöht würden, man weniger um Anschlussverbindungen zittern müsste und insgesamt das Mobilitätsverständnis weniger an die 1950er-Jahre erinnern würde. Das wäre ein großer Schritt – nicht für die Menschheit, aber für Luxemburg. Am 1. März begeht das Land ein kleines Schrittchen, der durch einen politischen Zufall zustande kam. Er darf ruhig gefeiert werden, auch wenn er konkret wenig ändert. Die Welt wird immer wieder nach dem Erfolg der Maßnahme fragen – was Ansporn genug sein sollte, den Ausbau der Öffis nicht zu verkacken.


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