Kuba: Weiße Armee als Hoffnungsschimmer

Kubas medizinische Brigaden sind dieser Tage nicht nur in Italien im Kampf gegen das Corona-Virus unterwegs. Die gut ausgebildete „Armee der weißen Kittel“ ist in den letzten zwanzig Jahren auch zu einer wichtigen Einnahmequelle für den kubanischen Staat geworden. Doch das allein wird die von US-Sanktionen gebeutelte Inselökonomie kaum über Wasser halten.

Mehr als nur schöner Schein: Laut der Weltgesundheitsbehörde WHO zählt die medizinische Versorgung Kubas zur Weltspitze. (Foto: Knut Henkel)

In Boliviens Boomtown El Alto haben kubanische Ärzte einen guten Ruf. „Jahrelang waren sie hier im Einsatz, zum Beispiel im Gesundheitsposten Chacaltaya“, erklärt Humberto Pacosilla Mamani. Der 37-jährige Journalist berichtet für den Sender „Tele Estrella“ und mehrere Regionalradios über die Gesundheitsversorgung in der zweitgrößten Stadt Boliviens in Zeiten der Corona-Pandemie.

El Alto liegt auf einem Hochplateau. In der Stadt mit über einer Million Einwohner waren bis Anfang vergangenen Dezember Dutzende kubanischer Ärzte und Ärztinnen im Einsatz. Bolivienweit waren rund 700 kubanische Hilfskräfte im Einsatz, darunter auch Pflegepersonal und Therapeut*innen. Dann mussten sie das Land verlassen. „Politische Differenzen mit der Interimsregierung von Jeanine Áñez waren dafür verantwortlich“, so Mamani: „Bei der Bevölkerung sorgt das jetzt für Kritik.

Kubas „Armee der weißen Kittel“, wie Fidel Castro die medizinischen Brigaden einst nannte, leistet seit mehreren Dekaden vor allem in den Ländern des Südens Nothilfe. Aus Solidarität geboren und ursprünglich in Reaktion auf Naturkatastrophen in Marsch gesetzt, sind Kubas medizinische Brigaden in den letzten zwanzig Jahren auch eine wichtige Einnahmequelle für den kubanischen Staat geworden. 2016 schätzte die UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD) die Einnahmen aus medizinischen Dienstleistungen auf 11 Milliarden US-Dollar. 2018 waren es laut kubanischen Statistiken nur noch rund 6,4 Milliarden US-Dollar, die Tendenz dürfte auch 2019 nach unten weisen.

Denn im vergangenen Jahr haben Bolivien und Ecuador die Verträge gekündigt, Brasilien hatte dies bereits 2018 getan. Das hat zur Finanzkrise der kubanischen Regierung beigetragen, die derzeit kaum mehr in der Lage ist, ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen. Alarmierendes Signal war die Nichtbedienung des Umschuldungsabkommens mit dem „Pariser Club“, in dem mehrere staatliche Gläubiger vereint sind. Einige dieser Gläubiger haben ihre Tilgungsrate für 2019 nicht erhalten. Darunter Spanien, Frankreich und Japan – durchaus enge Handelspartner der Insel.

Der für den Schuldendienst mitverantwortliche Vize-Premierminister Ricardo Cabrisas bat bei einem Treffen des „Pariser Club“ im Februar um Nachsicht. Die Wirtschaftssanktionen der USA gegen sein Land hätten dazu geführt, dass der Finanztransfer nicht möglich war. Er bat die Mitglieder der Gläubigervereinigung um einen Aufschub bis Mai dieses Jahres.

„Wir brauchen mehr Freiräume für kleine und mittlere Unternehmen, auch in der Agrarwirtschaft.“

„Doch auch diesen Termin wird Kuba angesichts des Zusammenbruchs des Tourismussektors und der zusätzlichen Ausgaben für die Bekämpfung des Corona-Virus kaum halten können“, prognostiziert der kubanische Finanzexperte Pavel Vidal. Er sieht nur zwei Sektoren der Inselökonomie in der Lage, zusätzliche Einnahmen zu generieren: die pharmazeutische Industrie und die medizinischen Dienstleistungen – also die Armee der weißen Kittel.

Kuba produziert mit dem Interferon „alpha-2b“ eines der rund dreißig medizinischen Präparate, die China in der Covid-19-Therapie eingesetzt hat. Das habe die Nachfrage ansteigen lassen, so das „Zentrum für Genetik und Biotechnologie“ (CIGB), Kubas wichtigste Forschungs- und Entwicklungseinrichtung im biotechnologischen Sektor. Demnach befänden sich die Verantwortlichen mit 45 Ländern über die Lieferung des Interferons in Verhandlung. Das Präparat stärke die körpereigene Immunabwehr, die von den Viren angegriffen werde, so die kubanischen Spezialisten.

Auch in Kuba selbst ist „alpha-2b“ eines von 22 Präparaten, die gegen Covid-19 eingesetzt werden, es kommt aber auch bei der Therapie von Hepatitis B und C, Aids und Krebs zum Einsatz. Bereits seit 1986 in Kuba hergestellt, wird es derzeit mit Hochdruck produziert, damit es sowohl inselweit verfügbar ist, als auch die Nachfrage aus dem Ausland gedeckt werden kann.

Parallel dazu befinden sich die Ärzte der Insel in Alarmbereitschaft. 170 positiv getestete Patient*innen (Stand 31. März), davon 143 Kubaner*innen und 27 ausländische Patient*innen, haben die Behörden bisher registriert. Vier Menschen starben, vier gelten als geheilt, 2.681 Menschen befinden sich in klinischer Beobachtung, sie weisen laut dem Informationsportal „Cubadebate“ verdächtige Symptome auf. Seit dem 24. März, deutlich später als in Jamaika oder der Dominikanischen Republik, sind Flughäfen und Häfen für internationale Besucher geschlossen und parallel dazu wurde der Unterricht in den Schulen ausgesetzt. Auch der Transport zwischen den 15 Provinzen der Insel wurde auf Eis gelegt, um die Ausbreitung des Virus zu unterbinden.

Am Institut für Tropenmedizin Pedro Kourí (IPK) wird derweil die Schulung von Ärzt*innen und Pflegepersonal fortgesetzt, um sowohl auf der Insel als auch im Ausland im Kampf gegen Covid-19 eingesetzt werden zu können. Internationale Schlagzeilen haben die 52 Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen gemacht, die seit einer guten Woche in der Lombardei in Italien im Einsatz sind. Auch nach Venezuela, wo mehrere Tausend von ihnen tätig sind, wurden weitere 130 Spezialist*innen entsandt. Hinzu kommt eine weitere Brigade, die am letzten Wochenende in Richtung Andorra aufbrach, eine andere wird in den kommenden Tagen nach Angola gesandt.

In den kommenden Wochen könnten sich die Anfragen häufen, denn den weißen Kitteln aus Kuba werden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gute Referenzen ausgestellt. Mit 8,19 Ärzten pro 1.000 Einwohner liegt Kuba laut der WHO in punkto medizinischer Versorgung an der Weltspitze. Kubanischen Quellen zufolge sind derzeit zwischen 20.000 und 30.000 Fachkräften im Auslands-
einsatz – darunter das Gros in weißen Kitteln. „Worauf die kubanischen Behörden aber achten sollten, ist die Entlohnung“, sagt Finanzexperte Vidal: „Wenn 80 Prozent des Lohnes an den kubanischen Staat und 20 Prozent an das Personal geht, ist das auch für die Kunden kaum akzeptabel – dieses Modell ist diskreditiert“.

Doch ob die Regierung, die laut Vidal ihre Lieferanten nur noch partiell bezahlen kann, die Modalitäten merklich zugunsten des Personals verändert wird, bleibt abzuwarten. Zu hoch könnte der Finanzdruck sein, unter dem die Regierung des kubanischen Präsidenten Miguel Díaz-Canel derzeit agiert. Jeder derzeit eingenommene Euro oder US-Dollar, muss zweimal umgedreht werden, bevor er ausgegeben wird.

Das hat zwei zentrale Ursachen: zum einen die in den letzten 20 Monaten weiter verschärften Sanktionen durch die Trump-Administration. Die habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, um der Inselökonomie den Sauerstoff abzudrehen. Den Tourismus aus den USA hat Präsident Donald Trump weitgehend unterbunden, mit Kuba zusammenarbeitende Banken wurden unter Druck gesetzt. Den Handel zwischen Venezuela und Kuba versuchen die USA mittels rigider Sanktionen gegen beteiligte Reedereien zu unterbinden. So sah sich die Regierung in Havanna vor ein paar Wochen gar genötigt, einen Tanker aufzukaufen, um an das in ihm geladene Rohöl zu gelangen.

Dennoch sind solche Praktiken für die Regierung in Havanna nichts Neues. Bereits seit dem Inkrafttreten des dritten Kapitels des sogenannten Helms-Burton-Gesetzes im Mai 2019 beziehen die USA auch in Kuba agierende ausländische Unternehmen in ihre Sanktionspolitik mit ein. Für Havanna wird es so deutlich schwieriger, Investoren auf die Insel zu locken; die finanziellen Probleme haben sich potenziert.

Der „Strangulierungspolitik“, wie die US-Sanktionen von kubanischer Seite genannt werden, steht ein Reformstau auf der Insel gegenüber. Die Agrarwirtschaft auf der Insel produziert nur rund 25 bis 30 Prozent der in Kuba konsumierten Kalorien, die Versorgung der Bevölkerung ist latent knapp, weil fast alles importiert werden muss. Daran haben auch mehrere Agrarreformen sowie die Vergabe von Land an Kleinbauern nichts ändern können.

Auch die seit 2011 diskutierte und mehrfach angekündigte Freigabe von Genossenschaften ist kaum vorangekommen. „Wir brauchen mehr Freiräume für kleine und mittlere Unternehmen, auch in der Agrarwirtschaft, sowie direkte Investitionen von Kubanern aus dem Ausland und die Anerkennung von privaten Unternehmen als juristische Person“, meint Finanzexperte Vidal. Erst dann hätten private Unternehmen, darunter auch Genossenschaften, das Recht, direkt zu importieren und zu exportieren. Dies könne Bewegung in den Binnenmarkt bringen. Doch Schritte in diese Richtung hat die kubanische Regierung bislang nicht gemacht. Mit der Krise könnte sich das ändern, hofft Vidal. Die weißen Kittel allein werden die Inselökonomie kaum über Wasser halten können.

Knut Henkel berichtet für die woxx aus Lateinamerika.

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