Medien und Schule: Die Revolution muss noch warten

Digitalen Medien kommt eine zunehmend hohe Bedeutung zu – auch in der Schule. Dadurch sind neue Herausforderungen für den Unterricht entstanden. Wird der Bildungssektor diesen gerecht?

Teil der „#Checkyourfacts“-Kampagne sind unter anderem ein Plakat und ein Sensibilisierungsvideo. (© Bee Secure)

In Anbetracht unseres mittlerweile von Mediennutzung geprägten Alltags, wundert es, wie stark die öffentliche Luxemburger Schule noch dem Analogen verhaftet zu sein scheint. Dass kein Weg mehr an den digitalen Medien vorbeiführt, ist zwar mittlerweile weitläufig akzeptiert. Als dem Rechnen, Schreiben und Lesen ebenbürtige Kulturtechniken werden sie aber immer noch nicht anerkannt.

Im März in einem Interview mit dem Lëtzebuerger Land nach dem Grund für die zögerlichen Schritte hin zu mehr Medienpädagogik gefragt, erklärte Bildungsminister Claude Meisch, die Schule habe eine gesunde Skepsis und laufe nicht jedem Trend nach. Daran offenbart sich ein Verständnis von Schule als einem abwartend beobachtenden Organ und nicht etwa einem, das Akzente setzt und die Gesellschaft aktiv mitgestaltet. Der Grundzustand ist das Verharren beim Status quo. Änderungen werden nur vorgenommen, wenn kein Weg mehr dran vorbeiführt, scheint das Motto des hiesigen Bildungsministeriums zu lauten.

Eine gewisse Skepsis der Digitalisierung gegenüber hält nach wie vor an. Nach einer übergreifenden Strategie sucht man vergebens. Ein 2008 vom Bildungsministerium in Auftrag gegebener Referenzrahmen wurde zwar 2010 fertiggestellt, es blieb jedoch bei einem provisorischen Arbeitsdokument. In diesem stellt Gerhard Tulodziecki, Professor für Allgemeine Didaktik und Medienpädagogik an der Universität Paderborn, ein Konzept vor, das einer umfassenden Medienerziehung an Luxemburger Schulen dienen soll. Zu einer konsequenten Implementierung dieses Konzepts kam es bisher nicht. Stattdessen wurde an diesem weitergearbeitet und versucht, es an neue Entwicklungen anzupassen.

In besagtem Referenzrahmen sind unter anderem die Kompetenzen und Kenntnisse aufgelistet, über die Lehrkräfte heutzutage verfügen sollten: Mediensozialisation, Mediendidaktik, Medienerziehung bzw. Medienbildung sowie die Entwicklung medienerzieherischer Konzepte. Diese werden zurzeit nur ansatzweise in der Grundausbildung des Lehrpersonals gefördert. Auf dem Curriculum ist lediglich ein einziger Kurs zu finden, der explizit der Medienkompetenz gewidmet ist: „Education in the digital age“.

Auf Nachfrage der woxx begründet Studiendirektor Gilbert Busana dies damit, dass der Bachelor in Erziehungswissenschaften eine „Ausbildung zum Generalisten“ sei. Es würden viele Themenbereiche angesprochen, die ständig ergänzt würden. Aufgrund der enormen Bandbreite und einer festgelegten Stundenanzahl sei es aber nicht leicht, alles bis ins letzte Detail zu behandeln. Mediendidaktik, also der Einsatz von Medien zum Erreichen pädagogischer Ziele, werde auf transversale Weise in Bezug auf konkrete Schulfächer wie Mathematik und Sprachen vermittelt.

Viel Ambition, wenig Konkretes

Im 2011 veröffentlichten Plan d’études ist unter anderem festgehalten, dass Schüler*innen lernen sollen, Medieninhalte selbstbestimmt und reflektiert zu bewerten, zu analysieren, einzuordnen, zu strukturieren, zu dokumentieren, zu produzieren und zu veröffentlichen. Am Ende der Grundschulzeit sollen sie in der Lage sein, Medien bezüglich ihrer Unabhängigkeit, Objektivität, Glaubwürdigkeit, Meinungsvielfalt und Manipulation einschätzen zu können.

So ambitioniert diese Ziele auch sind: Ohne spezifische Ausbildung der Lehrkräfte und konkretere Umsetzungsvorschläge werden sie wohl nur in wenigen Fällen erreicht werden. Der Umgang mit Medien fällt davon abgesehen unter transversale Kompetenzen, was bedeutet, dass kein eigens dafür vorgesehenes Fach besteht.

Bei sämtlichen Dokumenten handelt es sich immer nur um Empfehlungen. In der Grundschule verfügen Lehrkräfte über Lehrmittelfreiheit, es ist ihnen also überlassen, ob sie digitale Tools einsetzen wollen oder nicht. In der Sekundarstufe werden die Lehrmittel zum Teil von der Programmkommission festgelegt, aufgrund der Schulautonomie variiert die Umsetzung jedoch von Schule zu Schule stark.

Systematisch wird Medienerziehung zurzeit einzig von externen Akteuren geleistet, allen voran Bee Secure. Im Laufe seiner Schullaufbahn durchläuft jedes Kind mindes
tens einen zweistündigen Workshop der von Bildungs-, Wirtschafts- und Familienministerium getragenen Beratungsinitiative.

Für das Schuljahr 2018/2019 wurde der Fokus auf Desinformation beziehungsweise den Umgang mit dieser gesetzt. Die in Zusammenarbeit mit dem Zentrum fir Politesch Bildung und dem Bildungsministerium ausgearbeitete Kampagne „#Checkyourfacts – Gleef net alles um Internet!“ soll vermitteln, woran Falschinformationen erkannt werden können.

Bee Secure erweitert ihr Angebot jährlich auf Basis eingegangener Fragen. Diese werden national etwa über ihre Helpline, in den Weiterbildungen und über die Stopline (einer Internetseite, über die illegale Inhalte anonym gemeldet werden können) gestellt. Auf internationalem Niveau steht Bee Secure zudem mit anderen Safer Internet Zentren im Austausch.

Um die Themen für ihre jährlichen Kampagnen zu bestimmen, zieht Bee Secure sämtliche daraus gewonnenen Daten in Betracht und filtert die dringlichsten heraus. Eine Studie, die Aufschluss darüber geben könnte, wie es aktuell um die Medienkompetenz von in Luxemburg lebenden Kindern und Jugendlichen bestellt ist, liegt nicht vor. Wie uns die Mitarbeiterin von Bee Secure, Carmen Michels, auf Nachfrage erklärt, würde die Beratungsinitiative ein systematisches Monitoring der hiesigen Lage aber durchaus begrüßen.

Illusion von Objektivität

Am Beispiel von „#Checkyour-
facts“ wird deutlich, wieso es einer übergreifenden Strategie bedarf. Viele gesellschaftliche Anforderungen, denen sich Medienerziehung widmet, sind nämlich keineswegs internetspezifisch – die Digitalisierung hat manches nur deutlicher hervortreten beziehungsweise dringlicher werden lassen. Der Aufruf, Informationsquellen zu überprüfen, sollte also keineswegs nur fürs Internet gelten. Doch wie geht eine Institution damit um, die die von ihr vermittelten Inhalte als objektive Wahrheit wahrgenommen haben will?

Für Robert Reuter, Dozent an der Universität Luxemburg, fordert ebenjene Problematik das Selbstverständnis der Schule heraus. „Der Unterricht ist konditioniert durch das Bewertungssystem und dieses wiederum ist darauf ausgelegt, eine Illusion von Objektivität zu erzeugen“, so Reuters Eindruck. Bei der Wissensvermittlung werde oft nur das Resultat eines langen Erkenntnisweges thematisiert. Wo die jeweiligen Informationen herkommen und wieso bestimmte Aspekte einer Thematik behandelt werden und andere nicht, komme meist nicht zur Sprache. „Beim Fach Geschichte beispielsweise ist oft gar nicht klar, welche ideologische Haltung und welche Perspektive hinter den vermittelten Inhalten steckt.“

© pixabay.com

Luc Weis, Direktor vom hiesigen Service de Coordination de la Recherche et de l’Innovation pédagogiques et technologiques (Script), ist ebenfalls der Ansicht, dass eine Unterscheidung zwischen digitalen und analogen Kompetenzen zum Teil schwer sei. Die Problematik mit dem Fach Geschichte ist ihm ebenfalls bekannt: Je nachdem, aus welchem Land das entsprechende Unterrichtsbuch stamme, sei der Fokus ein völlig anderer. Für ihn steht fest: „In einer postmodernen Zeit wie der jetzigen, müssen Lehrkräfte ihre Schüler darauf vorbereiten, dass viele Wissensinhalte auf subjektiven Schwerpunktsetzungen beruhen.“ Lehrer*innen, die sich selbst als allwissend und sämtliche Lerninhalte als objektiv wahr darstellten, legten damit eine rückständige Haltung an den Tag. In dieser Hinsicht habe in den vergangenen Jahrzehnten ein eindeutiger Paradigmenwechsel stattgefunden.

Reuter ist da skeptischer. Die Schule sei eine dezidiert konservative Institution, die sich sowohl mit Jugendkultur als auch mit aufkommenden gesellschaftlichen Entwicklungen schwertue. Die Digitalisierung werde momentan noch vor allem als Konkurrenz zum Schulunterricht wahrgenommen, weniger als bereichernde Ergänzung.

Ob der von Weis erwähnte Paradigmenwechsel bereits stattgefunden hat, im Gange ist oder noch bevorsteht, hängt wohl vom subjektiven Eindruck ab. Fest steht, dass dem Bildungssystem im Allgemeinen und Lehrkräften im Konkreten mittlerweile eine völlig andere Aufgabe zukommt als noch im 20. Jahrhundert.

Für November ist die Implementierung des Dokuments „Medienkompass – Medienkompetent lehren und lernen“ vorgesehen. Dieses basiert zwar auf dem „European Digital Competence Framework for Citizens“, wurde jedoch den spezifischen Erfordernissen des luxemburgischen Bildungssystems angepasst. Zu den damit anvisierten Kompetenzen zählen unter anderem die kritische Bewertung und Nutzung von Informationen sowie Grundkenntnisse des Programmierens. Man darf gespannt sein, ob der „Medienkompass“ das übergreifende Konzept darstellen wird, das der Luxemburger Bildungslandschaft zurzeit noch fehlt.


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