Medizin: Antibiotikajagd mit Minitröpfchen


Resistente Bakterien kosten jedes Jahr viele Menschenleben. Zwei Schweizer Forscher haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sie neue wirksame Mittel gegen gefährliche Krankheitserreger finden wollen.

Künstlerische Darstellung der SpheroBiotics-Technologie. 
Die roten Kügelchen zeigen die Miniaturlabore in der Erde. (Bildquelle: SpheroBiotics)

Manche Mikroorganismen produzieren Abwehrstoffe, um sich einen Überlebensvorteil gegenüber bakteriellen Konkurrenten zu verschaffen. Diese Substanzen kann der Mensch gut gebrauchen, denn sie lassen sich isolieren und als Antibiotika gegen bakterielle Krankheitserreger einsetzen. Etwa 75 Prozent der heute verfügbaren Antibiotika gehen auf Naturstoffe zurück. Jedoch gibt es ein Riesenproblem: Immer mehr Bakterien entwickeln Antibiotikaresistenzen. Das heißt, die Substanzen bleiben wirkungslos. Was unter anderem dadurch kam, dass in Kliniken relativ wenige Antibiotika sehr oft eingesetzt wurden. Die Krankheitserreger konnten sich auf ihre „Gegner“ einstellen.

Das hat verheerende Folgen. Hunderttausende Menschen sterben jährlich an Infektionen, gegen die Antibiotika nichts mehr ausrichten. Die Resistenz, so eine düstere Prognose, wird im Jahr 2050 möglicherweise mehr Tote verursachen als Krebs heute. Dringend müssen neue wirksame Stoffe her. Jedoch ist es immer schwieriger geworden, sie zu entdecken, so Steven Schmitt vom Institut für Bioverfahrenstechnik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Gerade Mikroorganismen im Boden waren lange eine ergiebige Quelle für Antibiotika. Man hat Tausende davon isoliert, im Labor gezüchtet und die von ihnen produzierten Substanzen untersucht. Jedoch lief etwas falsch. In den neuen Proben aus der Natur wurden immer wieder dieselben Organismen und deren Produkte isoliert. Was überhaupt nicht weiterhilft, da die Krankheitserreger dagegen schon resistent sind.

Immer mehr resistente Bakterien

Zweites Problem: Genau wie nicht jedes Bakterium ein für den Menschen gefährlicher Krankheitserreger ist, so geht auch nicht jedes Antibiotikum gegen alle Bakterien vor. Es gibt zwei Arten Bakterien, solche mit einer Zellmembran (Gram-positiv) und solche mit zwei Zellmembranen (Gram-negativ). Zu den Gram-positiven gehören Erregergruppen wie Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) und Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE). Noch vor ein paar Jahren waren sie eines der Hauptprobleme in Kliniken, aber mittlerweile gehen die Zahlen der resistenten Gram-positiven Bakterien teilweise zurück.

Gram-negative Bakterien seien dagegen auf dem Vormarsch, so Schmitt. Resistente Escherichia coli und Pseudomonas aeruginosa gehören dazu. Leider ist es ungleich schwerer, sie mit Antibiotika abzutöten. Unter anderem schützt sie die zweite Zellmembran besser vor Antibiotika. Substanzen gegen diese Bakterien sind seltener und schwieriger zu finden. Zwar entdeckt man immer wieder neue Antibiotikaklassen, so die Klasse der Formicamycine. Ihre Entdeckung verdankt man der afrikanischen Ameise Tetraponera penzigi. Sie ist von der Bakterienart Streptomyces formicae besiedelt, daraus wurden die Formicamycine isoliert. Eine gute Nachricht? Nur bedingt. „Diese Substanzen helfen ausschließlich gegen Gram-positive Bakterien, nicht gegen Gram-negative“, erklärt Schmitt. Bei den Gram-negativen ist die Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen, die am Anfang einer möglichen späteren Verwendung als Antibiotikum stehen, deutlich geringer. „Dabei werden wirklich neue Antibiotika gegen Gram-negative Bakterien immer dringender benötigt.“

Wirkstoffe testen, aber wie?

Drittes Problem: Die wenigsten Stoffe, die anfangs antibiotisch wirken, sind auch gute Medikamente. Viele verursachen Organschäden oder wirken nicht effizient genug. So kommt es, dass in der Medikamentenentwicklung viele Kandidatenstoffe letztlich ausscheiden. Man spricht von der drug attrition rate, Schwundquote. Von schätzungsweise 10 bis 30.000 getesteten Stoffen schafft es nur einer als Antibiotikum bis zum Patienten. Schmitt: „Wollen wir zehn neue Antibiotika, müssen wir eine entsprechend große Ausgangsmenge an Naturstoffen haben. Daher brauchen wir effizientere und umfangreichere Techniken zur Entdeckung neuer wirksamer Substanzen.“

Das Miniaturlabor im Einsatz. Entdeckung von neuen Antibiotika.

Hier setzen Schmitt und seine Kollegin Irene Wüthrich an. Sie haben eine neue Methode erfunden. Statt Petrischalen werden hier mikroskopisch kleine Tröpfchen eingesetzt. Darin lassen sich mikrobielle Lebensgemeinschaften nachbilden, in denen sich möglicherweise neue Substanzen verstecken. Die kugelförmigen Tröpfchen bestehen aus einem Gel und haben einen Durchmesser von weniger als einem halben Millimeter. Eine Art Miniaturlabor für potenzielle Antibiotikaproduzenten. Die isoliert man in der Natur, bettet sie in die Tröpfchen ein und setzt sie in ein Stück Erdboden. Anschließend fügt man das Testbakterium hinzu und beobachtet, wie die Inkubation verläuft.

„Wir prüfen, wo die Krankheitserreger nicht wachsen oder ihr Wachstum gehemmt ist. Das sind die vielversprechenden Tröpfchen. Daraus isolieren wir die Antibiotikaproduzenten für weitere Analysen.“ Das Verfahren der ETHZ-Forscher basiert auf dem Hemmhoftest, auch Fleming-Methode genannt. Hier wird geprüft, wie empfindlich Bakterien gegen ein Antibiotikum sind. Man streicht die Bakterien auf einem Nährboden aus und setzt Scheibchen darauf, die mit dem Antibiotikum getränkt sind. Wirkt es, entstehen Hemmhöfe, also Stellen, wo die Bakterien nicht mehr oder kaum noch wachsen. Schmitt: „Wir nennen unsere Technologie Nano-Fleming, weil es die miniaturisierte Form der Fleming-Methode ist.“

Minilabore statt Petrischalen

Nano-Fleming macht es möglich, Mikroorganismen direkt in ihrem natürlichen Umfeld wachsen zu lassen. Die mikrobielle Gemeinschaft bleibt intakt. Die Tröpfchen sind auch viel kleiner als die üblichen Petrischalen – ein weiterer Vorteil. Weil sie so winzig sind, kann man viele Experimente gleichzeitig und platzsparend durchführen. Schmitt: „Normalerweise werden in einem Labor im Jahr 10.000 mikrobielle Stämme auf Antibiotikaproduktion untersucht. Wir können Millionen von Tröpfchen analysieren, und zwar pro Woche.“ Dadurch steigen die Chancen, sehr seltene Antibiotikaproduzenten zu entdecken.

Dritter Vorteil: Man erkennt schneller als bisher, ob die Mikroorganismen brauchbare Antibiotika produzieren. Wenn nicht, kann man sie gleich aussortieren. Mit ihren Minilaboren haben Schmitt und Wüthrich schon über hundert antibakterielle Stoffe entdeckt. Die Suche geht aber erst richtig los. Zuerst einmal im Erdreich, denn dort schlummert immer noch ein riesiges unausgeschöpftes Potenzial an Antibiotika. Die Forscher, die mit ihrer Technologie Ende 2019 das Spin-off SpheroBiotics gründen, wollen künftig aber auch andere Biosphären untersuchen. Zum Beispiel mikrobielle Gemeinschaften von Mensch, Tier und Pflanze. Hoffentlich gelingt es mithilfe der Tröpfchen, viele Menschenleben zu retten.

Prävention von Antibiotikaresistenz


(lm) – Nach neuen Antibiotika zu suchen, ist nicht die einzige Antwort auf die Herausforderung der resistenten Bakterien. In Luxemburg wurde im März 2018 der erste Plan national antibiotiques vorgestellt, der der Entstehung und Verbreitung von resistenten Bakterien entgegenwirken soll. Dies sei umso wichtiger, heißt es im Pressekommuniqué, als die Resistenz auf eine falsche Benutzung der Antibiotika zurückzuführen sei. Der massive Einsatz dieser Substanzen hat in den vergangenen Jahren die Entwicklung von resistenten Bakterienstämmen beschleunigt. In Luxemburg besteht Handlungsbedarf, denn beim Pro-Kopf-Verbrauch von Antibiotika liegt das Großherzogtum auf Rang 7 von 30 europäischen Ländern. Neben Sensibilisierung der Patient*innen und Ärzt*innen für das „Prinzip eines vernünftigen Einsatzes von Antibiotika“ soll der Plan auch im Bereich der Landwirtschaft die Anwendung dieser Substanzen unter Kontrolle bringen.



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