Mexiko
: Der unberechenbare Nachbar


Der Schaden für die mexikanische Wirtschaft durch das Freihandelsabkommen Nafta war enorm. Falls Donald Trump als Präsident das Abkommen jedoch kündigt, hätte das erneut verheerende Folgen.

Ob ein Sombrero helfen würde? Proteste gegen Donald Trump und seine angekündigte Mexiko-Politik; 
am 26. Mai dieses Jahres in San Diego. (Foto: Wikimedia)

Eine „lange schöne Mauer“? Millionen von Ausweisungen? Das Ende des nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta)? Was Mexiko tatsächlich bevorsteht, wenn Donald Trump ins Weiße Haus einzieht, ist noch nicht ausgemacht. Welche Grenzsicherungsanlagen tatsächlich errichtet werden, ist ungewiss, Fragen des freien Warenverkehrs will der künftige US-Präsident wahrscheinlich nachverhandeln. Sollte er wirklich drei Millionen Mexikanerinnen und Mexikaner ohne Papiere, die ihm „kriminell“ erscheinen, des Landes verweisen, würde er nur mit seinem Vorgänger gleichziehen – genauso viele Menschen mexikanischer Herkunft wurden während der Präsidentschaft von Barack Obama ausgewiesen.

Doch das kann im Nachbarland niemanden beruhigen. Bislang ist unkalkulierbar, wie sich das ohnehin schwierige Verhältnis zwischen Mexiko und den USA entwickelt. Es kann alles beim Alten bleiben, es kann aber auch noch schlimmer kommen als von Trump angekündigt. „Diese Unsicherheit führt zu weniger Investitionen, in der Folge werden weniger Arbeitsplätze geschaffen“, befürchtet die mexikanische Bank BBVA-Bancomer. Nach der Wahl verlor der Peso über 13 Prozent seines Werts gegenüber dem US-Dollar. Bislang hat er sich nicht erholt.

Wegen des zu erwartenden Handelsstreits hat der Internationale Währungsfonds bereits seine Wachstumserwartungen für die mexikanische Wirtschaft für 2016 und 2017 um über ein Viertel gesenkt. Sollte Trump wesentliche Nafta-Vereinbarungen annullieren und hohe Zölle für aus dem Süden importierte Güter einführen, wäre diese Schätzung wohl noch untertrieben. Achtzig Prozent der mexikanischen Exporte gehen in die USA, zugleich tätigt das Land vierzig Prozent seiner Auslandseinkäufe beim nördlichen Nachbarn. „Pro Minute werden Waren und Dienstleistungen im Wert von einer Million Dollar zwischen den beiden Staaten gehandelt“, sagt Manuel Molano vom Wirtschaftsinstitut „Imco“ aus Mexiko-Stadt.

Dieser enorme Handelsumfang ist auf Nafta zurückzuführen. Vollzieht der neue Präsident seine angekündigten protektionistischen Maßnahmen, würde sich das Freihandelsabkommen zwischen den USA, Mexiko und Kanada als doppelter Schlag gegen die mexikanische Ökonomie erweisen: erst durch sein Inkrafttreten 1994, nun durch seine Aufhebung.

Der Zollabbau führte damals dazu, dass US-Agrarkonzerne den südlichen Markt mit Lebensmitteln überschwemmten. So wurden unzählige kleinbäuerliche Produzenten ruiniert, die gegen den hoch subventionierten Reis, Mais oder Weizen aus den USA nicht konkurrieren konnten. Das zerstörte die soziale und ökonomische Struktur ländlicher Regionen. Dörfer verarmten. Viele „campesinos“, Kleinbauern, migrierten oder schlossen sich kriminellen Kartellen an. Andere ernten Blumen, Tomaten, Spargel oder Brokkoli auf Agraranlagen im Norden Mexikos. Unter extrem ausbeuterischen Bedingungen arbeiten sie für den Export in die USA. „Die Menschen schuften täglich oft 16 bis 18 Stunden unter der Sklaverei ähnlichen Verhältnissen“, sagt die Arbeitsrechtlerin Alejandra Ancheita.

Neben der industriellen Landwirtschaft profitiert vor allem die verarbeitende Industrie vom ungezügelten Freihandel: Textilfirmen, Elektrounternehmen, Automobilhersteller. Immer mehr Fahrzeugbauer siedeln sich in Mexiko an. Denn auch wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter bei Volkswagen, General Motors und Nissan im Vergleich zu den Erntehelfern gutes Geld verdienen, liegt ihr Stundenlohn von fünf bis sechs US-Dollar weit unter dem, was ihre Kollegen in Wolfsburg, Detroit und Kyoto kassieren. Die billigen Arbeitskräfte und die Nähe zum US-Markt zogen deshalb viele Konzerne an. Prominent vertreten sind deutsche Firmen: Audi hat jüngst ein Werk eröffnet, Daimler und BMW folgen. Drei Viertel der dort produzierten Wagen werden in die USA geliefert. „Mit dem Export von 2,6 Millionen Fahrzeugen ist Mexiko der viertgrößte Player weltweit“, verkündet die Regierung. Bis 2020 will man Platz zwei hinter Deutschland einnehmen.

Neben der industriellen Landwirtschaft profitiert vor allem die verarbeitende Industrie vom ungezügelten Freihandel.

Während Nafta also alte Wirtschaftsstrukturen zerstörte und viele Menschen in katastrophale Verhältnisse entließ, schuf der ungezügelte Freihandel zugleich neue Stätten moderner kapitalistischer Verwertung. Diese dürften unter Trump schwer leiden. „Das Wachstumsmodell Mexikos, das fundamental auf dem Warenexport in die USA basiert, könnte beschädigt werden“, stellt BBVA-Bancomer fest und prognostiziert eine Rezession, da Importsteuern den Standortvorteil der US-Nähe aufheben würden. Das von Präsident Enrique Peña Nieto so gepriesene Investitionsland Mexiko könnte einen herben Rückschlag erleben.

Im eigenen Land hat Trump bereits gehandelt. Vergangene Woche intervenierte er erfolgreich bei der Heizungs- und Klimaanlagenfirma Carrier in Indianapolis. 35 Prozent Strafzoll hatte er dem Unternehmen angedroht, falls es wie geplant 1.400 Stellen nach Mexiko verlege. Carrier gab das Vorhaben schließlich auf, offenbar nachdem der designierte US-Präsident auch Steuererleichterungen angeboten hatte. Vom Erfolg beflügelt stellte Trump einmal mehr klar: Er werde es Unternehmen, die das Land verlassen wollten, „sehr, sehr schwer“ machen.

Ob er sich damit gegen die Logik der internationalisierten Produktion durchsetzen kann, ist fraglich. So hält etwa Ford an den Plänen fest, einen neuen Kleinwagen beim südlichen Nachbarn zu bauen. Auch der Reifenhersteller Goodyear will seine Fabrik wie geplant eröffnen. „Ich kenne keine Firma, die wegziehen will“, bekräftigt der Präsident der Vereinigung der mexikanischen Autoindustrie Amia, Eduardo Solis. Die Produktionsabläufe sind viel zu sehr an mexikanischen Standorten konzentriert. Protektionistische Maßnahmen würden auch dem US-Markt schwer schaden – und so in den USA viele Arbeitsplätze kosten.

Nicht anders verhält es sich mit der Ausweisung von Migrantinnen und Migranten, die ohne gültige Dokumente in den USA leben. Für die US-Gesellschaft sind diese schätzungsweise elf Millionen Illegalisierten von großer Bedeutung, schließlich arbeiten viele von ihnen für niedrigste Löhne in Haushalten, auf den Feldern und in kleinen Fabriken. Grenzzäune und Ausweisungen dienten schon bisher nicht dem Ziel, die Migration vollständig aufzuhalten, sondern sie zu kontrollieren. Daran wird auch Trump nichts ändern. Seine Ankündigung, eine Mauer zu bauen, dürfte vor allem dem Ziel geschuldet gewesen sein, rassistische Ressentiments für den Wahlkampf zu mobilisieren.

Anders sieht es mit der Drohung aus, die Geldsendungen von Migranten hoch zu besteuern und zu verhindern, dass illegal im Land lebende Mexikanerinnen und Mexikaner überhaupt die sogenannten „remesas“ in ihr Herkunftsland überweisen können. Nach dem Erdöl und dem Tourismus sind diese Zahlungen die drittgrößte Devisenquelle Mexikos. Gerade nach der Zerstörung ländlicher ökonomischer Strukturen durch Nafta leben viele Gemeinden ausschließlich von diesen Geldern. Allein im vergangenen Jahr überwiesen die Verwandten aus dem Norden über 25 Milliarden US-Dollar. Aus Angst vor hoher Besteuerung stiegen nach Trumps Wahlerfolg die Überweisungen um neun Prozent auf ein historisches Maximum.

Ob der künftige US-Präsident seine Pläne in Bezug auf Mexiko realisieren kann, hängt nicht zuletzt vom Widerstand der dortigen Regierung ab. Doch viele in der mexikanischen Bevölkerung machen sich kaum Hoffnung. Über 80 Prozent sind davon überzeugt, dass Trump ihrem Land schaden wird. Zwei von drei Mexikanern kritisieren zugleich, dass Peña Nieto viel zu zurückhaltend auf Trumps Drohungen reagiert. Obwohl dieser Migranten als „Verbrecher“ beschimpfte, fand der mexikanische Präsident kaum deutliche Worte.

Daran wird sich wohl nichts ändern. Allerdings wird 2018 ein neuer Präsident gewählt und Peña Nieto kann nicht noch einmal antreten. Sein ehemaliger Kontrahent Andrés Manuel Lopéz Obrador dagegen wird noch einmal versuchen, ins Präsidentenamt zu gelangen. Gleich nach Trumps Sieg stellte der linke Kandidat klar, Mexiko sei keine Kolonie, sondern ein „freies, unabhängiges und souveränes Land“. Damit setzte er ein Zeichen: Nur wer glaubhaft vermitteln kann, dass er dem rechten US-Präsidenten etwas entgegensetzen wird, dürfte siegreich aus der nächsten mexikanischen Wahl hervorgehen.

Wolf-Dieter Vogel berichtet für die woxx aus Lateinamerika und insbesondere aus Mexiko.

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