Mobilität
: Barcelona, eine Stadt in Bewegung

Ein Einblick in die Stadt, die ihren Bürger*innen Autos verbieten und öffentlichen Raum zurückgeben will.

Wenn die Pläne des „Virtual mobility labs“ der Stadt Barcelona funktionieren, könnten die Straßen immer so leer sein. (Foto: Tessy Troes)

Auf dem Weg zum Weltfrauentag lasse ich mich von der Afterwork-Menschenmasse die Metrotreppen herunterschieben. Erst als ich das Kapitel in meinem Buch beende, aber immer noch keine Metro in Sicht ist, wird mir bewusst, wieviel Zeit verstrichen ist.

Ein Blick auf die Anzeigetafel verrät mir nicht die verbleibenden Minuten bis zum nächsten Metrowaggon, sondern zeigt die Nachricht an, dass aufgrund des Streikes nur der vom Gesetz festgelegte minimale Service für die 1.300.000 täglichen Passagiere angeboten wird. Ich muss wohl etwas länger warten als üblich, bevor ich meine Station in einem der sich über 119 Kilometer ziehenden unterirdischen Tunnel erreichen werde.

Keine Leihräder für Tourist*innen

Als ich am Hauptplatz Barcelonas, der Plaça Catalunya aussteige, stehe ich inmitten abgesperrter Straßen und einer animierten Menschenmenge. Die Demo zum Weltfrauentag hat die Stadt definitiv in einen Ausnahmezustand versetzt: Normalerweise sind es nicht die Fussgänger*innen, die 60 Prozent des öffentlichen Raums einnehmen, sondern jenes Viertel der Bevölkerung, das mit seinen Autos oder Scooters unterwegs ist.

Um den Autoverkehr um 21 Prozent zu senken, setzt Barcelona momentan einen Fünfjahresplan namens „Urban Mobility“ um: Vorgesehen sind dafür ein Busnetzwerk, dass sich orthogonal durch die Stadt zieht, Verlängerung der Zuglinien zu den Vororten, und eine Verdreifachung der Fahrradwege.

Der öffentliche Transport in Barcelona bringt tagtäglich die 1,6 Millionen Einwohner*innen zur Arbeit und kutschiert jährlich 9 Millionen Tourist*innen zu den Prachtplätzen der gräflichen Stadt. Fußballspiele, die auf einen Schlag bis zu 90.000 Menschen zum größten Stadion Europas, der Heimat des FC Barcelona, locken, können von dem ausgeweiteten Netzwerk problemlos aufgefangen werden.

Nach Ende der feministischen Demo habe ich keine Lust, auf einen Bus zu warten und suche stattdessen lieber eines der Stadtfahrräder. Deren Benutzung ist nur für Bewohner*innen freigeschaltet, die Benutzung durch Tourist*innen ist strikt verboten. Der Service steckt allerdings noch in den Kinderschuhen – momentan stehen etwa 6.000 Fahrräder für die 184 Kilometer Fahrradwege in der gesamten Stadt zur Verfügung. Bis Ende des Jahres sollen 2.000 neue Fahrräder sowie 50 Kilometer Wege hinzukommen. Ein Fahrrad nach der Auflösung der Demo, die 60.000 Teilnehmer*innen hatte, zu finden gestaltet sich jedoch schwierig. Gott sei Dank ist das Stadtzentrums Barcelona sehr flach und fußgängerfreundlich. An der dritten Fahrradstation habe ich endlich Glück und finde ein freies Rad.

Die Stadt, ein grünes Schachbrett

1992 wurde Barcelona aufgrund der Olympischen Spiele immer mehr zu einem touristischen Ziel, mittlerweile fällt die Stadt ihrer eigenen Beliebtheit zum Opfer. Aus den Flugzeugen, die Tag für Tag neue Tourist*innen nach Barcelona bringen, erkennt man das schachbrettartige Strassengitter der Planstadt Eixample (katalanisch für Erweiterung), die Ende des 19. Jahrhunderts von Ildefons Cerdà geplant wurde und von Urbanist*innen begeistert studiert wird. Cerdàs Idee einer lichtdurchlässigen, grünen Stadt wurde aber schnell durch die Gier der privaten Bauherren zunichtegemacht.

Als Fahrradfahrerin in Barcelona muss man sich an die Wut der Fussgänger*innen gewöhnen, die keine Situation auslassen, einen anzumaulen, falls man mal nicht zwischen den zwei Linien des nicht immer existierenden Fahrradweges radelt. Ich bin erleichtert, als ich in das Schachbrettmuster von Poblenou einbiege: Meine Straße, mein Zuhause, mein Block. Das Viertel, ursprünglich dank der Industrialisierung um Barcelona im 18. Jahrhundert gebaut, wurde im Zuge der post-industriellen Bewegung zu einer Spielwiese der urbanen Experimente. Zum einen gibt es ein zusammenhängendes Fahrradnetz durch das ganze Viertel, zum anderen erhielt es durch die Transformation der quadratischen Häuserblöcke in öffentliche Plätze internationale Aufmerksamkeit (etwa in der New York Times). Bei diesen sogenannten Superilles (oder Superblocks) werden die Häuserblöcke über dieses existierende Schachbrettmuster gelegt. Fortbewegungsmittel auf Rädern werden am Perimeter des Blockes weitergeleitet, während das Innere des Blockes für das Zusammenleben der Nachbarschaft benutzt werden kann. Die Initiative, die schon in den 1990er- und 2000er-Jahren Anhänger*innen in Barcelonas Politik fand, wurde von der aktuellen Bürgermeisterin und Aktivistin Ada Colau aus der Schublade geholt und in Poblenou als Pilotprojekt gestartet.

Salvador Rueda, Leiter der „Urban Ecology Agency“ ist überzeugt davon, dass das Konzept der Superilles auf Cerdàs ursprünglicher Philosophie beruht. Die Superilles sollen den Anwohner*innen mehr Grünflächen bieten – momentan stehen etwa 6,6 Quadratmeter Grünflache pro Bewohner*in zur Verfügung – in Tokyo sind es deren drei, in London 27.

Doch die Superblocks werden im Viertel nicht nur begrüßt. Einige Häuserblocks sind mit Banner der Bürgerinitiative PasP9 behangen. Dieses Anwohner*innen-Kollektiv beschwert sich etwa darüber, dass ihr Viertel als Versuchskaninchen für ein Projekt herhalten muss, das eigentlich in Eixample umgesetzt werden sollte. Die Lebensqualität sei kaum verbessert worden, da der Verkehr nur umgeleitet würde, der öffentliche Transport schwerer erreichbar sei und die öffentlichen Plätze den nächtlichen Vandalismus der Jugend verschärft habe.

Schlechte Luftqualität 
trotz Superblocks

Ich parke das Stadtfahrrad gleich neben dem Strand und atme die frische Meeresluft ein. Frische Luft ist ein Luxus in Barcelona – obwohl von der Stadt in den letzten sieben Jahren 86 Prozent mehr Geld in den Ausbau des öffentlichen Transports investiert wurde, hat sie ein Luftverschmutzungsproblem. Laut mehreren Studien ist das Ursache von etwa 3.500 frühzeitigen Toden in der Gegend Barcelona und hat dazu schwere Auswirkungen auf das lokale Ökosystem und die Landwirtschaft. Die mediterrane Stadt verfehlt auch beinahe jedes Jahr die von der EU festgesetzten Ziele für Luftqualität. Darüber hinaus leben 61 Prozent der Bürger*innen mit einem Lärmlevel, das über den gesetzlich festgelegten Schwellenwerten liegt.

25 Prozent der Bevölkerung fährt mit Auto, Motorrad oder Scooter durch die Stadt. Das, obwohl die Fahrkarten mit einem Preis von rund einem Euro pro Reise erschwinglich sind. Die Bürgermeisterin Ada Colau versprach in ihrem Wahlprogramm, dass sich an den Fahrkartenpreisen nichts ändern würde – als der Preis Anfang dieses Jahres dann doch um 2 Prozent erhöht wurde, wurde die Fahrkarte in der momentan angespannten Situation zwischen Katalonien und Spanien zu einem Politikum. Colau gab der spanischen Regierung und deren mangelnder Unterstützung im Bereich der Mobilität nämlich die Schuld an der Preissteigerung.

Labor für Mobiliätslösungen

Ein weiteres Feindbild einer jeden Stadt, die sich mitten in Gentrifizierungsprozessen befindet, ist das Taxiunternehmen Uber. Das Unternehmen operierte zwischen April und Dezember 2014 in Barcelona, wurde dann aber durch die Lobby der traditionellen Taxifahrer*innen aus der Stadt verbannt. Seit kurzem ist die Firma wieder in den Straßen Barcelonas zu finden, aber dieses Mal mit ihrem Projekt UberX, welches seine professionellen Fahrer*innen mit einer offiziellen Lizenz ausstattet.

Die Stadt plant weitere Initiativen, um weiterhin Aushängeschild für innovative Mobilitätslösungen zu sein. So wurde Ende des letzten Jahres die Initiative „Virtual Mobility Lab“ vorgestellt, in der Industrie und Universitäten zusammen an einem multimodalen Model von Barcelonas Mobilität arbeiten.

Das Modell versucht alle verfügbaren öffentliche Transportmittel, private Autos sowie die Bedürfnisse der Menschen nachzuvollziehen. In einem ersten, vielversprechenden Pilottest zeigte das Lab, dass man die Autoanzahl im Inneren der Stadt mithilfe von 500 Shuttles auf bis zu 2.000 Autos drücken könnte. Dies wäre ein erster Schritt aus dem ewigen Teufelskreis heraus: Initiativen wie die Superilles lösen akute Probleme wie Verschmutzung nicht. Straßenkapazitäten zu limitieren, ohne die eigentliche Anzahl an Autos in der Stadt zu senken, produziert zumindest kurzfristig nur noch mehr Stau, einer der Hauptauslöser der Luftverschmutzung.

Die Straße ist ein vitaler Bestandteil des mediterranen Lebensgefühls. Öffentliche Plätze an die Bürger*innen „zurückzugeben“, um die Geschichte und das lokale Leben eines jeden Viertels aufrechtzuerhalten, ist ein lobenswerter Schritt. Gepaart mit der nötigen Bürgerbewegung können die noch immer bestehende Missstände in einer greifbaren Zeitspanne aufgearbeitet werden. Trotzdem darf man nicht ausblenden, dass nicht jede*r ein*e Freund*in des Wandels ist, und schon gar nicht wenn es den eigenen Luxus eines motorangetriebenen Unterbaus in Frage stellt. Passend dazu unterstreicht Salvador Rueda, dass das größte Problem bei der Umsetzung der Superilles der anfängliche Widerstand der Anwohner*innen war.

Abschließend erläutert Rueda auch seine Vision der Stadt: In einer nicht all zu fernen Zukunft soll jede*r Einwohner*in weniger als 300 Meter von einem Busstop wohnen, mit einer Durchschnittswartezeit von 5 Minuten. In 95 Prozent der Fälle könnte der Transport von A nach B mit nur einem Transfer erledigt werden. Bis es soweit ist, werden die Barcelonier*innen wohl noch öfters nach einem Leihrad suchen müssen.


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