Netzpolitik: Not safe for …

Nacktbilder und Gespräche über Sex sollen aus den großen sozialen Netzwerken verschwinden. Ein großes Problem für marginalisierte Gruppen, die schlechten Filtern ohnmächtig gegenüberstehen.

Weniger prüde 
als Tumblr: 
Für Albrecht Dürer 
waren „female presenting nipples“ in Ordnung. (Foto: Albrecht Dürer: Adam und Eva/Wikimedia Commons)

„Dein Beitrag verstößt gegen die Community-Standards.“ Mit diesem knappen Satz teilte Facebook der woxx mit, dass einer unserer Artikel nicht verlinkt werden konnte. Oder zumindest nicht mit dem Bild, das wir zu dem Artikel abgedruckt hatten. Darauf war nämlich ein Penis zu sehen. Es handelte sich um das Foto „Jeune homme au doigt levé (Le Cycle Masculin no 5)“ von Aude du Pasquier Grall. Der Beitrag beschäftigte sich nämlich mit der Ausstellung „In the Cut. Der männliche Körper in der feministischen Kunst“, die noch bis Mitte Januar in Saarbrücken zu sehen ist. Keine pornografische Darstellung, sondern ein Kunstwerk, auf dem die Genitalien des jungen Mannes nicht im Vordergrund stehen. Auf Facebook ist Nacktheit verboten – auch wenn es um Kunst geht.

Facebook nutzt künstliche Intelligenz zur automatischen Bilderkennung. Diese Information wird auch benutzt, um eine Bildbeschreibung für sehbehinderte Nutzer*innen bereitzustellen. Nacktbilder werden von den Filtern gar nicht erst durchgelassen, Darstellungen von Gewalt werden mit einer Warnung versehen, die man erst wegklicken muss, bevor sie angezeigt werden. Das größte soziale Netzwerk ist jedoch noch viel weitergegangen, ohne dass in der Öffentlichkeit viel darüber diskutiert wurde: Das Reden über Sex ist mehr oder weniger verboten worden.

Genauer gesagt will Facebook jegliche Form der „sexuellen Kontaktaufnahme“ verbieten. Darunter fallen sexuelle Andeutungen, sexualisierter Slang und sogar vage Bemerkungen wie „ich möchte heute Nacht Spaß haben“. Auch Kunst, die Sex darstellt, ist verboten. Umso absurder wirkt da die Meldung, dass Facebook an einem Dating-Service arbeitet, der momentan in Kolumbien getestet wird.

Dass Facebook Sex und Nacktheit verbietet, ist zwar ärgerlich, wenn es eigentlich um Kunst geht, aber verständlich. Immerhin sieht sich das soziale Netzwerk als familienfreundliche Plattform, deren Nutzer*innen möglichst wenig Anstößiges oder Störendes sehen sollte. Die anfängliche Idee, keine negativen Interaktionen zu provozieren (zum Beispiel sieht man nicht, wenn man „entfreundet“ wird), ist zwar längst nicht mehr haltbar, die Auswirkungen davon sind jedoch immer noch Teil der Firmenphilosophie.

Flirten ohne Sex

Anders sieht es bei einem anderen, eher unbekannteren Netzwerk aus: Tumblr. Bis zum 17. Dezember waren nackte Körper und Sex auf der Plattform kein Tabu. Der Dienst startete 2007 als „Mikroblogging“-Plattform. Neben Text können auch Bilder, Videos, Links und Tonaufnahmen geteilt werden. Nutzer*innen können einander folgen und über Schlagworte (Tags) Inhalte suchen. Das eigene Blog lässt sich, im Unterschied zu Profilen in anderen Netzwerken, komplett frei gestalten. Ähnlich wie bei der „Teilen“-Funktion von Facebook gibt es die Möglichkeit, Inhalte anderer zu rebloggen. Somit entstand ein Netzwerk, das nicht so textbasiert war wie das bei Twitter lange Zeit der Fall war. Auf Tumblr etablierte sich eine sehr visuelle Kultur, die nicht nur aus vielen Memes bestand, sondern auch unzähligen Künstler*innen die Möglichkeit gab, ihre Werke zu verbreiten.

Mit der Zeit entwickelte sich Tumblr zu einem Hort der Jugendkultur, insbesondere der Fankultur. Das zog viele Jugendliche und junge Erwachsene an, vor allem junge Frauen. Wer sich mit anderen Menschen über Serien, Buchreihen, Kinofilme oder Videospiele austauschen wollte, legte sich einen Tumblr-Account an und konnte Bilder, Zitate, animierte Gifs usw. tauschen. Fankulturen – und das ist spätestens seit „Star Trek“ so – schaffen immer auch Neues. Seit den 1960er-Jahren werden Fanzines verteilt, in denen sich nicht nur über die popkulturellen Schätze unterhalten wird, sondern in denen auch neue Werke auf Basis der Originale geschaffen werden. Auch wenn Fanfiction, also von Fans geschriebene Geschichten, die den Inhalt von Serien, Büchern usw. weiterspinnen, sich eher auf anderen Websites verbreiten, so war Tumblr ein Zentrum für jede Form der visuellen Wertschätzung, zum Beispiel Fanart. Der Begriff bezeichnet Werke, meist in gezeichneter Form, die Charaktere oder Szenen aus der Popkultur aufgreifen – sei es, um eigene Interpretationen der Held*innen einer Romanreihe zu zeigen oder um Nebencharaktere in ein neues Licht zu rücken.

Sowohl bei Fanfiction als auch bei Fanart werden oft Lücken der Originalwerke gefüllt, gerade wenn es um romantische Beziehungen geht. Das bedeutet, dass einige Fanart-Werke erotische oder sexuelle Konnotationen haben – oder gar sexuelle Handlungen zeigen. Und das ist bei Weitem nicht die einzige Form von erotischem oder pornografischem Inhalt, der auf Tumblr zu finden war. Viele Blogs stellten hauptsächlich – oder halt auch – „not safe for work“ (NSFW)-Inhalte, also erotisches oder pornografisches Bildmaterial, zur Verfügung oder rebloggten diese.

Nun ist Pornografie im Internet nicht unbedingt etwas Besonderes. Die spezielle Nutzer*innenbasis von Tumblr – recht jung, oft weiblich oder queer, progressiv und im LGBTIQA-Spektrum angesiedelt – sorgte jedoch dafür, dass hier eine andere Form von Erotik zu sehen war, als im Mainstream. Vielfältigere Körper- und Begehrensformen, Praktiken und Darstellungsformen waren zu sehen. Und vor allem: Diskussion und Aufklärung über all dies. Tumblr war ein Netzwerk der Selbstentfaltung: Von Fankultur über Politik bis hin zur Sexualität.

Sex, Fanfiction and Politics

Nun kann man sicherlich kritisieren, dass junge Menschen sich nackt im Internet zeigen, dass auch einige von ihnen versuchen, damit Geld zu verdienen – sicherlich auch nicht immer so frei von sämtlichen gesellschaftlichen Zwängen, wie es auf den ersten Blick den Anschein haben mochte. Allerdings ist die Art und Weise, wie Tumblr NSFW-Material auf seiner Plattform ausgeschlossen hat, mehr als zweifelhaft.

Im Februar dieses Jahres wurde ein „safe mode“ eingeführt, der Nacktbilder ausblendet. Der konnte deaktiviert werden, war aber standardmäßig eingeschaltet. Nun wird jeglicher „Erwachseneninhalt“ von der Plattform gelöscht. Grund dafür ist – wie übrigens bei Facebooks Sexredeverbot auch – eine recht neue US-amerikanische Gesetzgebung.

Foto: Henrietta Rae/Wikimedia

Der „Stop Enabling Sex Traffickers Act“ (SESTA) und der „Allow States and Victims to Fight Online Sex Trafficking Act“ (FOSTA) sind im April 2018 in Kraft getreten. Eigentlich sollten die Gesetze nur der Bekämpfung von Menschenhandel dienen, hatten jedoch weitreichende Konsequenzen für alle, die Sexualität auch nur diskutieren wollten. Sowohl das Redeverbot von Facebook als auch der NSFW-Ban von Tumblr sind Reaktionen auf das Gesetz. Die Logik: Wenn man Sexualität als Ganzes verbietet, geht man zumindest oberflächlich relativ sicher, dass niemand Menschenhandel oder Prostitution über den eigenen Dienst betreiben wird. Dass Kriminelle sich natürlich andere Wege suchen und die Kontrolle umso schwieriger wird, wurde wohl ignoriert. Das Gesetz steht in der Kritik, sowohl von IT-Firmen als auch von zivilgesellschaftlichen Organisationen – eine Klage vor dem Verfassungsgericht wurde jedoch abgewiesen.

Die Entscheidung, NSFW-Material komplett zu verbieten, sei bei Tumblr bereits früher gefallen, wie ein*e ehemalige*e Mitarbeiter*in dem Magazin vox.com verriet. Dadurch, dass die Tumblr-App aus dem Appstore von Apple geflogen sei, habe man die Ausführung des Verbots vorgezogen. Dem Rausschmiss bei Apple war ein größerer Skandal mit Material, auf dem sexueller Missbrauch von Kindern dokumentiert war, vorausgegangen. Tumblr wurde 2013 von Yahoo gekauft, für eine Summe von 1,1 Milliarden US-Dollar. Gewinn hat die Firma damit aber nie gemacht. Seit Juni 2017 gehört Yahoo dem Telekommunikationsgiganten Verizon, der Yahoo und AOL – ironischerweise beides Größen aus der DotCom-Blase – unter der Marke „Oath“ versammelt hat. Neben pornografischem Material lässt sich schlecht Werbung verkaufen, also musste Tumblr „safe for work“ werden. Der Skandal und Rausschmiss bei Apple diente dafür als willkommene Gelegenheit.

Wie entfernt man Gigabytes an solchen Fotos und Videos von einer Website? Tumblr wählte die offensichtliche Methode: automatische Erkennung von allem, was nun verboten ist. Dazu gehören übrigens auch „female presenting nipples“ – Brustwarzen von Männern sind weiterhin erlaubt. So wie weibliche Körper sexualisiert werden, so passiert dies auch mit sexuellen Orientierungen, die nicht der Hetero-Norm entsprechen: Sogar Bilder mit Regenbogenflaggen wurden herausgefiltert, ohne dass sie auch nur im Entferntesten etwas mit Sex zu tun gehabt hätten.

Send Dunes!

Insgesamt funktionierte Tumblrs Filter enorm schlecht, auf anderen sozialen Netzwerken kursierten hunderte Screenshots mit absurden Beispielen: Fotos von Barack Obama, der mit Kindern im Oval Office Verstecken spielt, gekrümmte Finger, Hundefotos, Bilder von Sanddünen – alle herausgefiltert. Nach einem Sturm der Entrüstung erklärte das Tumblr-Team in einem Blogpost, welche Bilder in Zukunft noch erlaubt sind, zum Beispiel stillende Menschen, Fotos von Brustkrebsvorsorge oder politischer Protest à la Femen. Das Magazin Gizmodo machte den Test und lud Tumblrs eigene Beispiele hoch: Auch sie erkannte der Filter als „not safe for work“ und verwehrte die Veröffentlichung.

Beide Beispiele, Facebook und Tumblr, zeigen, dass immer stärker versucht wird, Sexualität auszublenden – selbst dann, wenn lediglich darüber gesprochen werden soll. Das ist eine gefährliche Entwicklung, vor allem für marginalisierte Gruppen, die bei Tumblr einen Raum gefunden hatten, der ihnen nun genommen wurde. US-amerikanische Moralvorstellungen und eine schlecht durchdachte Gesetzgebung sorgen somit dafür, dass es keinen Raum für sex-positive Communities oder ganz banale Aufklärung mehr auf Tumblr gibt. Wenn Jugendliche dann zu klischeebeladenen Mainstream-Pornos greifen, um ihre Neugier zu stillen – mit all den Konsequenzen, die dies für Körper- und Rollenbilder hat –, muss das niemanden wundern.

Einen Lichtblick gibt es: Viele Tumblr-Nutzer*innen sind auf alternative Plattformen ausgewichen, zum Beispiel auf das dezentrale Fediverse, auf dem bereits so einige Server Rekorde an neuen Nutzer*innenzahlen vermelden. Das kann durchaus der Beginn einer neuen, besseren Plattform sein: Nachdem die Fanfiction-Seite fanfiction.net beispielsweise Fangeschichten mit sexuellen Inhalten verboten hatte, entstand „Archive of Our Own“, das viele Nutzer*innen als eine in vielen Belangen bessere Plattform beschreiben.


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