Pernille Fischer Christensen: Becoming Pippi

In der nicht aufhören wollenden Welle an Biopics, die seit einiger Zeit die Kinobildschirme fluten, sticht „Unga Astrid“ aus der Masse heraus – indem es sich über die reine Biografie hinwegsetzt und Universelles anspricht.

Wildes Herumtanzen in der muffigen schwedischen Provinz: Auch die junge Astrid Lindgren war schon… etwas anders.

Wie könnte ein Film über die weltbekannte Schöpferin von Pippi Langstrumpf und Ronja Räubertochter besser beginnen als mit einer deftigen Gotteslästerung? Diese stößt die spätere Bestsellerautorin auf dem Rückweg vom sonntäglichen Kirchenbesuch in ihrer Heimatstadt Vimmerby (Provinz Småland) aus, nachdem die Predigt des lokalen Pastors sie wieder einmal fast zu Tode gelangweilt hat. Für die junge Astrid Ericsson sind Sodom und Gomorrha eher lustige Orte als Sündenpfuhle. Für ihre Eltern aber ist die protestantische Moral und Lebensweise nicht nur Pflicht, sondern Überlebensgarantie: Das Land, das sie als Bauern beackern, gehört der Kirche und der Vater ist der lokale Prälat. So sind sie alles andere als begeistert, als ihre Tochter vom Chefredakteur der lokalen Zeitung ein Kind erwartet, denn der ist noch verheiratet.

In „Unga Astrid“ geht es aber weniger um die engen Mentalitäten in einer schwedischen Provinz in der 1920ern, sondern vielmehr um den Kampf der Protagonistin um ihr Kind, ihr Leben und ihre Freiheit. Denn diese wird sie gegen alle verteidigen müssen: Gegen den Vater des Kindes, der mit ihr eine neue Familie gründen will, dem sie sich aber widersetzt, und gegen die Gesellschaft, die keinen Platz für alleinerziehende Mütter in ihrem Selbstbild zulässt. Dass sie sich schlussendlich durchsetzen wird und eher über Umwege zu literarischem Weltruhm gelangt, ist gewusst.

Natürlich gibt es in „Unga Astrid“ viele kitschige Momente, in denen die Protagonistin zum Teil des Dekors, bestehend aus unberührter Natur, roten Holzhäusern und heimelig rumtuckernden Dampflokomotiven, wird. Dieser Umstand kann aber trotzdem nicht den emanzipatorischen Grundtenor übertönen, der der Geschichte der jungen Astrid Lindgren innewohnt. Vielmehr zeigt der Film auf, wo die unbändige Energie, die unbedingte Liebe zu Kindern, die anarchische Freiheitsliebe und die Lust auf Abenteuer in ihrem späteren Werk herkommen. Schließlich fing Lindgren erst 1941 mitten im Krieg an, Pippi Langstrumpfs Abenteuer aufzuschreiben, und auch nur, um ihre damals kranke Tochter zu unterhalten.

Getragen wird der Film von einer jungen Schauspielerin, der es wohl damit gelungen ist, im Business auf sich aufmerksam zu machen, denn Alba August zeigt ein feines Gespür für den Freiheitssinn ihrer Figur. Sie überspielt ihn nicht, sondern lässt ihn langsam ausbrechen. Ihre Astrid Ericsson ist eine junge Frau, die sich weigert, an den schwierigen Umständen ihrer Zeit zu zerbrechen. Auch wenn sie manchmal Selbstzweifel an ihrer Fähigkeit hegt, ein Kind großzuziehen, oder von der Welt an sich angewidert ist.

Und das ist auch, was „Unga Astrid“ ausmacht. Es geht weniger um die Erfinderin von Pippi Langstrumpf, nach der in Zwischenzeit sogar ein Freizeitpark in Vimmerby benannt ist, als um die Geschichte einer jungen Frau, die sich trotz widriger Umstände nicht unterkriegen lässt. In diesem Sinne ermutigt der Film vielleicht auch jede*n, der*die ihn sieht, seiner*ihrer inneren Pippi wieder etwas aufmerksamer zuzuhören – eigentlich die schönste Hommage an die Autorin Astrid Lindgren.

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Bewertung der woxx : XX


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