Polemik: „Fick mich, nicht den Planeten“

Die um zwei Protestschilder herum entstandene Empörung auf Facebook offenbart, was Teile unserer Gesellschaft unter Konsens, Feminismus und legitimen Protestformen verstehen.

Auf der Demo war das „Destroy My Pussy, Not My Planet“-Schild eins von vielen. Auf Facebook bekommt man das Gefühl, dass es nur eins von insgesamt zwei Stück war. (© Joël Adami)

„Die bräuchten mal ein wenig Sex-Positivität, findest du nicht?“ – mit diesem Kommentar versehen schickte mir eine Freundin vergangenen Freitag zwei Fotos zu. Auf dem ersten waren eine, auf dem zweiten drei junge Frauen, bewaffnet mit jeweils einem Protestschild zu sehen: „Fuck Me, Not the Planet“ und „Destroy My Pussy, Not the Planet“.

Da ich um den „Fridays for Future“-Streik wusste, konnte ich mir den Kontext der Schnappschüsse mühelos zusammenreimen. Mein erster Gedanke: Echt mutig, sich als junge Frau einen solchen Spruch aufs Demo-Schild zu schreiben. Als problematisch empfand ich die Parolen nicht; waren es doch im Grunde bloß vulgäre Abwandlungen des Klassikers „Make Love, Not War“.

Doch tags darauf musste ich feststellen, dass besagte Freundin mit ihrer kritischen Sicht auf die Sprüche nicht alleine ist. „Liebe Mädels mit den Plakaten – was zum Teufel habt ihr euch dabei gedacht!!“ In einem längeren Facebook-Post, mit den Fotos besagter Demonstrantinnen illustriert, hatte sich eine Userin mit dem Facebook-Namen „Mitz San Dra“ über die Mädchen aufgeregt. Auch die CSV-Abgeordnete Nancy Kemp-Arendt äußerte sich in einem Post kritisch zum „Fuck Me, Not the Planet“-Spruch: „Was für eine Botschaft für eine junge Frau. Unverständlich!“ Auf der Facebook-Seite „Memes-Ducals“ wurde am Freitag eins der Fotos mit der beigefügten Beschriftung „Challenge accepted“ veröffentlicht. Diese Posts, von deren Tendenz es noch viele weitere gibt, wurden mehrere hundert Male geteilt, geliked und kommentiert. Beim Durchscrollen fällt auf, dass die meisten Kommentierenden die Sprüche kritisch sehen.

Am Thema vorbei

Die Botschaft beider Plakate lautet: „Hört auf, unsere Umwelt zu zerstören.“ Damit sollte eigentlich jede Diskussion über die Autorinnen der Plakate beendet sein. Doch statt die Parolen einfach nur als Spruch oder als Wortspiel wahrzunehmen, wurden sie wörtlich genommen und in ihre Einzelteile zerlegt. Wer die aktuelle Aufregung also nachvollziehen will, kommt nicht umhin, die Plakat-Sprüche probehalber nicht nur wörtlich zu nehmen, sondern auch so zu tun, als stünde darauf nichts anderes als „fuck me“ oder „destroy my pussy“.

Ein Teil der Empörung beruht auf Missverständnissen. Mit „destroy my pussy“ ist nämlich nicht etwa „zerstöre meine Vagina“ gemeint. Vielmehr wird damit „guter“ oder „rauer“ penetrativer Sex gefordert, weiter nichts. Eine weitere Lesart ist offenbar, die Plakat-Parolen mit einem Aufruf zur Vergewaltigung gleichzusetzen. Die Logik dahinter ist womöglich: Weil „fuck“ und „destroy“ unter Bezug auf den Planeten negativ konnotiert sind, müssen sie das auch mit Blick auf den weiblichen Körper sein. Doch selbst wenn man dieser Logik folgt, könnte hier unmöglich eine Vergewaltigung eingefordert werden. Diese ist nämlich per Definition nicht einvernehmlich. „Fick mich“ zu sagen, bedeutet dagegen nichts anderes, als ein sexuelles Bedürfnis zu äußern. Durch die aktive Einforderung ist eine Vergewaltigung ausgeschlossen. (Wenn man sich also um jemandes Einverständnis Gedanken machen muss, dann höchstens um jenes der Adressat*innen des befehlsförmig vorgetragenen Verlangens.) Einen Aufruf, sich nach belieben an den Mädchen zu vergreifen, gab es also allenfalls von „Memes-ducals“. Wo bleiben die empörten Facebook-Posts und -Kommentare bezüglich des dumpf-sexistischen „Challenge Accepted“-Memes?

Damit wären wir beim dritten Missverständnis. „Mitz San Dra“ und andere legen nahe, die Mädchen hätten sowohl MeToo als auch der Frauenbewegung durch ihr Verhalten einen schlechten Dienst erwiesen. Doch geht es weder bei der Frauenemanzipation noch bei MeToo darum, das eigene Verhalten so einzuschränken, dass auch ja niemand auf die Idee kommt, sexuell übergriffig zu werden.

Foto: Facebook

Die Reaktionen auf die jungen Frauen zeigen daher vor allem, dass immer noch die Haltung vorherrscht, sexualisierte Gewalt sei in irgendeiner Weise von den Opfern mitverschuldet und könne durch angepasstes Verhalten verhindert werden.

Letztlich ist die Aufregung darüber, welch „ungebührliche“ Botschaft die Mädchen mit ihren Plakatsprüchen wohl zu vermitteln dachten, nicht allzu weit entfernt davon, eine Vergewaltigung unter Verweis etwa auf die freizügige Kleidung des Opfers zu erklären. Und das ist gerade das Gegenteil von MeToo, hat die Bewegung doch die Aufmerksamkeit auf den strukturellen, universellen Charakter sexualisierter Gewalt gelenkt und darauf, dass allein diejenigen, die übergriffig geworden sind, Schuld an den von ihnen erzwungenen Grenzüberschreitungen tragen. Nicht auszudenken, wie die Reaktionen ausgefallen wären, wenn eine der jungen Frauen auf der Demo vergewaltigt worden wäre. Wahrscheinlich in etwa: Kein Wunder bei so einem Spruch, sie hat ja danach gefragt.

Die Vorstellung, die Aufforderung zu Sex bedeute, dass man „sich als Objekt darstellt, mit dem man machen darf, was man will“, wie „Mitz San Dra“ schreibt, offenbart ein fragwürdiges Verständnis von Konsens. Immerhin bedeutet eine einmalige Einwilligung nicht, dass der eigene Körper anderen bis in alle Ewigkeit jederzeit zur Verfügung steht. Die Einwilligung muss jedes Mal aufs Neue erteilt werden. Es ist sogar möglich, zu Sex einzuwilligen, seine Meinung danach jedoch zu ändern. Selbst wenn eine Frau „fuck me“ auf ihrer Stirn tätowiert hätte, wäre das immer noch keine Einladung, sie nach Belieben darauf anzusprechen oder sich gar an ihr zu vergreifen.

Zwischen Sorge und Beschämung

„Habt ihr nicht über die Konsequenzen nachgedacht?“, fragen zahlreiche Kommentator*innen und ihre Sorge mag berechtigt sein. Doch ist die Kritik an die falsche Adresse gerichtet. Nicht die jungen Frauen sind das Problem, sondern wie auf sie reagiert wird. Ironischerweise bestätigt schon die besagte Empörungswelle auf Facebook die Sorge, aus den Plakat-Sprüchen könnten Belästigungen resultieren. Die Mädchen wurden in den vergangenen Tagen nicht nur kritisiert und belehrt, sondern zudem abwechselnd belächelt, angefeindet, angebaggert, beschämt und bedroht. So gut gemeint „Mitz San Dras“ oder Kemp-Arendts Posts auch gewesen sein mögen: Da sie die Kritik in einem öffentlich zugänglichen Post geäußert und zugelassen haben, dass der Text samt Kommentaren sich derart auf Facebook verteilt, haben sie aktiv zur öffentlichen Beschämung der Mädchen beigetragen. Von der Tatsache, dass „Mitz San Dra“ noch in dem Post, in dem sie die Mädchen vor möglichen Vergewaltigern warnt, Fotos von ihnen öffentlich macht, ganz zu schweigen.

Die Konsequenzen einer solchen öffentlichen Beschämung sind nicht zu unterschätzen. „Ich war ziemlich schockiert darüber, dass Leute, die mich nicht kennen, Fotos von mir posten, mich beleidigen und angreifen, und mein Schild derart missverstehen. Das zu lesen, hat mich sehr mitgenommen. Immerhin war ich da, um mich für die Umwelt einzusetzen. Es geht bei dem Spruch nicht um mich als Person“, erzählt uns Nora Bisenius (Name von der Redaktion geändert), eine der attackierten Demonstrantinnen.

Aus Selbstschutz habe sie sich dazu entschlossen, ihren Facebook-Account zu deaktivieren. „Die Reaktionen sind vergleichbar mit dem Vorurteil, dass man durch bestimmte Kleidung eine Vergewaltigung provoziert hätte. Das geht gar nicht.“ Die Kritik, der Spruch sei nicht feministisch, kann die 18-Jährige nicht nachvollziehen. „Wenn ein Mann das Plakat gehalten hätte, wären die Reaktionen ganz anders ausgefallen.“ Mittlerweile könne sie aber über den Vorwürfen stehen. „Ich werde mich davon nicht runterziehen lassen.“

Foto: Facebook

Sexuell konnotierte Demo-Sprüche gibt es viele: „Eat My Dick, Not Meat“, oder „Ride Dicks, Not Cars“ um nur einige zu nennen. Das mag manchen nicht gefallen, doch ist schwer vorstellbar, dass um solch phallisch zentrierte Phrasen eine vergleichbare Aufregung entstehe. Wenn dieser Fall also etwas verdeutlicht, dann ist es die kollektive Überforderung, die sich einstellt, wenn es eine junge Frau ist, die „fick mich“ sagt. „Jeder hat das Recht mit seinem Körper zu tun was er will – dazu gehört nicht nur, sich anzuziehen wie man will, sondern auch, sich sexuell auszuleben“, schreibt „Mitz San Dra“ richtig. Doch tun junge Frauen dies nicht auf die gesellschaftlich vorgeschriebene Weise, wird nicht davor zurückgeschreckt, sie zu verurteilen und zu erniedrigen – unter dem Vorwand, sie beschützen zu wollen. Denn wehe eine Frau, die mit einem „Fick mich, nicht die Umwelt“-Schild rumläuft, fühlt sich wohl. Soweit kommt’s noch!

„Ich glaube nicht, dass die, die die Plakate geschrieben haben, sich wirklich Gedanken darüber gemacht haben“, meinte anfangs erwähnte Freundin im Facebook-Chat zu mir. Doch selbst wenn sich die Betroffenen im Vorfeld über jede einzelne Implikation eines solchen Slogans den Kopf zerbrochen hätten, wäre es unmöglich gewesen, aus den völlig widersprüchlichen Botschaften und Ansprüchen schlau zu werden. Frauen sollen ihre Sexualität frei leben, dürfen sie aber nicht offensiv einfordern, sie sollen sich autonom entfalten dürfen, werden aber auf Schritt und Tritt überwacht und bewertet. Zu viel Sex, zu wenig Sex, zu viel nackte Haut, zu wenig nackte Haut, zu aufgetakelt, zu ‚männlich‘. Frauen wird vermittelt, dass alle Geschlechter die gleichen Rechte haben, gleichzeitig wird männliches Verhalten aber nach einem völlig anderen Maß gemessen als ihr eigenes. Eine junge Frau, die aus der Reihe fällt, wird umgehend zurechtgewiesen und abgestraft, ihr wird, wie es „Memes-ducals“ tun, Gewalt angedroht. Solange Frauen Angst haben müssen, sich auf die gleiche Weise am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen wie Männer es tun, sind wir weit von einer geschlechtergerechten Welt ohne sexualisierte Gewalt entfernt.


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