Polemik: Rosaroter Blick auf Homophobie

Die um eine parlamentarische Anfrage herum entstandene Empörung auf Facebook offenbart, was Teile unserer Gesellschaft unter Humor, Homophobie und „echten Problemen“ verstehen.

© Bumiputra/Pixabay

In einer Rechenaufgabe, die für luxemburgische 3e-Klassen konzipiert wurde, wollen zwei Personen namens Etienne und Xavier ihr Zimmer rosa anstreichen. Wie es sein könne, dass dieses „homophobe Stereotyp“ in einem Schulbuch reproduziert werde, wollte der LSAP-Abgeordnete Franz Fayot am 5. Juni von Bildungsminister Claude Meisch wissen. Dieser drückte sein Bedauern aus und entschied, das entsprechende Buch vom Markt zu nehmen. In den sozialen Netzwerken fielen die Reaktionen darauf gemischt aus. Im Folgenden sollen sieben davon aufgegriffen und auseinandergenommen werden: Handelte es sich vielleicht um einen unglücklichen Zufall? Dürfen Männer die Farbe Rosa nicht mögen? Wurde da nicht zu viel hineininterpretiert? Sollte man’s mit Humor nehmen? Wieso müssen wir überhaupt darüber reden? Ist das homofeindlich? Und: Sollte das Buch weiterhin auf dem Markt bleiben?

Nur Zufall?

In der ursprünglichen Version des Mathebuchs waren in der Rechenaufgabe zwei Frauennamen vorzufinden. 2015, also ein Jahr nachdem Xavier Bettel und Etienne Schneider Premier beziehungsweise Vize geworden waren, wurden die Namen entsprechend geändert. Auch wenn es keinen spezifischen Hintergedanken gab, so fällt es doch schwer zu glauben, dass es sich bei der Namenswahl um einen Zufall handelt: Xavier und Etienne sind hierzulande nicht gerade typische Männernamen.

Das Zufallsargument wird bei Vorfällen wie diesen immer wieder gerne aufgegriffen. Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass uns in Schulbüchern, Werbe- und Wahlkampagnen ganz gezielt bestimmte Botschaften vermittelt werden. Passiert aber ein Fehltritt, dann handelt es sich plötzlich um ein reines Versehen und der Vorwurf der intentionalen Provokation wird als absurd abgetan. Das Argument wurde beispielsweise benutzt, als kürzlich ein Wahlplakat mit DP-Kandidatin Monica Semedo in Kombination mit dem ADR-Plakat „Keng illegal Immigratioun“ gesichtet wurde. Auch als eine H&M-Werbung letztes Jahr einen schwarzen Jungen mit der T-Shirt-Aufschrift „Coolest Monkey in the Jungle“ als rassistisch kritisiert wurde, hieß es: purer Zufall.

Das bringt uns zurück zur Rechenaufgabe: Wie wahrscheinlich ist es, dass jemand, der bewusst die Namen Xavier und Etienne gewählt hat, den Aspekt der Farbe völlig außer Acht gelassen hat? Vor allem da die Entscheidung, von weiblichen auf männliche Namen zu wechseln, überhaupt erst dadurch motiviert war, keine Geschlechterstereotype zu bedienen. Das heißt immer noch nicht, dass eine homofeindliche Haltung hinter der Namenswahl steckt. Doch nur weil etwas nicht böse gemeint war, verhindert das nicht, dass es eine diskriminierende Wirkung haben kann. Und nur weil etwas nicht in bewusster Absicht getan wurde, heißt das nicht, dass die Verursacher*innen keine Verantwortung tragen. Wer auch immer die Namen Etienne und Xavier auswählte, hatte zwar vielleicht nicht unbedingt eine böse Absicht – über das nötige Bewusstsein bezüglich schädlicher Stereotype verfügte diese Person jedenfalls nicht, auch wenn man das bei Personen, die Schulbücher überarbeiten, voraussetzen könnte.

Wann ist ein Stereotyp diskriminierend?

Auch einige Kommentator*innen offenbaren ein solch mangelndes Bewusstsein. „Homophob ass deen, deen do eppes eraninterpréteiert“, schrieb ein User. Die Logik dahinter: Wer die Farbe Rosa im Zusammenhang mit homosexuellen Männern anders bewertet als bezüglich heterosexuellen, weigert sich, beide sexuellen Orientierungen als gleichwertig anzusehen. Die Verfasser*innen der Kommentare warfen die Frage auf, wie wohl die Reaktionen auf x-beliebige Männernamen wie Pit und Tom ausgefallen wären. Damit hängt die mehrmals gestellte Frage zusammen, was denn das Problem an Männern, die die Farbe Rosa mögen, sei. Dem wurde dann entgegnet, dass bei Männern, die nicht explizit mit Homosexualität in Verbindung gebracht werden, kein Problem bestanden hätte. Zurecht, denn generell ist das Brechen sexistischer Stereotype positiv zu bewerten. Dem ist jedoch hinzuzufügen: Hätten in der Aufgabe die Namen bekannter konservativer und heterosexueller Männer gestanden, so wäre der entsprechende Effekt ebenfalls ein homophober.

Die Farbe Rosa wird mit Frauen und Weiblichkeit assoziiert. Dass diese geschlechtliche Verbindung auf Homosexualität ausgeweitet wurde, hängt mit der Wahrnehmung nicht-normativer Sexualität als nicht gendergerecht zusammen: Lesben sind keine richtigen Frauen, Schwule keine richtigen Männer. In dem Sinne bedient die Namenswahl in Verbindung mit der Farbe das Stereotyp verweiblichter Homosexueller. Diejenigen, die argumentieren, dass in der Rechenaufgabe rosa immerhin nicht mit Frauen assoziiert worden sei, sollten sich deshalb vor Augen halten, dass die Übertragung des Stereotyps auf schwule Männer keineswegs besser ist. Dürfen homosexuelle Männer Rosa mögen? Natürlich. Nach der Verfolgung durch den Nationalsozialismus haben sich queere Menschen die Farbe sogar stolz als Selbstkennzeichnung angeeignet. Und das ist genau der Punkt: Es macht einen Unterschied, ob ein homosexueller Mann entscheidet, ein Zimmer rosa anzustreichen oder ob jemand anderes es ihm zuschreibt oder dies gar als Punchline benutzt.

Lachen und Schwamm drüber?

Womit wir beim Aspekt Humor wären. In den Kommentaren wurde immer wieder behauptet, wer über die Rechenaufgabe nicht lachen könne, habe keinen Humor. Hier fragt sich, woraus der entsprechende Humor resultiert. Vor dem Hintergrund, dass Luxemburgs Premierminister und Vize mit Vornamen jeweils Xavier und Etienne heißen, hat allein die Erwähnung dieser beiden Namen in einem Schulbuch ohne Zweifel einen humoristischen Effekt. Darüber können alle schmunzeln. Sobald das Element der Farbe Rosa hinzukommt, jedoch nicht mehr: In dem Moment wird es zu einem Witz auf Kosten einer marginalisierten Bevölkerungsgruppe.

Eine weitere gängige Reaktion: „Haben wir denn keine anderen Probleme?“. Das verleitet zur Gegenfrage: Wer entscheidet, was ein richtiges Problem ist und was nicht? Die Verletzung, die aus solchen Äußerungen resultiert, geht oft aus jahrhundertelanger Tabuisierung und Unterdrückung hervor. Ohne sich den Kontext, in welchem feminine Jungs und Männer belächelt, gedemütigt, gemobbt, attackiert und getötet wurden, vor Augen zu halten, erscheint der aktuelle Vorfall in der Tat harmlos. Doch nur, weil etwas einen selbst nicht betrifft, heißt das nicht, dass es generell unproblematisch ist. Diejenigen, die sich am meisten über politische Korrektheit beschweren, gehören meist privilegierten Bevölkerungsgruppen an.

Davon abgesehen ist Homophobie nicht nur in Form psychischer und physischer Gewalt problematisch. Studien belegen, dass nicht nur offene Homofeindlichkeit psychologische Schäden bei denjenigen bewirken kann, gegen die sie sich richtet. Latente Homofeindlichkeit, die sich in Form von Mikroaggressionen, sozialem Ausschluss und mangelnder medialer Repräsentation manifestiert, hat ganz ähnliche Auswirkungen. Diese reichen von Stress über Minderwertigkeitsgefühle bis hin zu Angststörungen. Es muss in dem Sinne nicht zu einem physischen Angriff oder der Beschneidung von Rechten kommen, damit Betroffene unter ihrer Ungleichbehandlung leiden.

Dann gibt es Menschen, die zwar das Problematische an der Namenswahl anerkennen, jedoch nicht einsehen, weshalb darüber gesprochen werden muss. Dahinter steckt die Haltung, dass es sich hier um einen einmaligen, nicht repräsentativen Vorfall handelt und nicht etwa um eins von zahlreichen Beispielen latenter Homophobie. Doch gerade dadurch, dass über letztere so wenig gesprochen wird, wird kein Bewusstsein für das Ausmaß der Problematik geschaffen. Wer, davon abgesehen, denkt, dass das Problematische an der Namenswahl allen bewusst ist, braucht sich nur die Kommentare unter entsprechenden Artikeln zu lesen.

Beide Haltungen – die Namenswahl als unproblematisch oder als nicht der Rede wert zu empfinden – offenbaren ein mangelndes Bewusstsein für die Omnipräsenz latenter Homofeindlichkeit in unserer Gesellschaft. Es ist entschuldbar, nicht für bestimmte Diskriminierungsformen sensibilisiert zu sein, nicht aber die diesbezügliche Einschätzung Betroffener kleinzureden. Wenn eine homosexuelle Person etwas als homofeindlich empfindet, dann ist es das auch.

Und jetzt?

Wie Claude Meisch in seiner Antwort auf die parlamentarische Anfrage erklärte, wird besagtes Mathebuch aus dem Verkehr gezogen und durch ein neues ersetzt – eine Maßnahme, die von vielen Seiten kritisiert wurde. Auf Twitter schlug der linke Politiker Gary Diderich vor, statt die Bücher zu verbieten, die homophobe Rechenaufgabe als solche im Unterricht zu thematisieren und somit „aus der Not eng Tugend maachen amplaz d’Chance fir Bewosstsäin ze stärken ze verpassen“. In Anbetracht des Kontextes, in welchem auf das homophobe Stereotyp zurückgegriffen wurde, erscheint eine solche Vorgehensweise allerdings nur wenig sinnvoll. Die Äußerungen befinden sich nicht in einem Buch, das dem Zweck dient, schädliche Stereotype zu thematisieren, sondern in einem Mathebuch, das den Anspruch erhebt, universelle Wahrheiten zu lehren. Ein Schulsystem, in welchem homophobe Stereotype auf die von Diderich vorgeschlagene Methode thematisiert werden, wäre eins, das generell Relativierung und kritische Hinterfragung von im Unterricht vermittelten Lerninhalten zulässt. Da wir allerdings nicht über ein solches verfügen, käme die Präsenz einer solchen Rechenaufgabe der offiziellen Gutheißung homophober Ansichten gleich. Statt das Buch gänzlich vom Markt zu nehmen, hätte es allerdings auch gereicht, die entsprechende Aufgabe zu schwärzen.

Meischs Antwort lässt die Frage offen, wie wir als Gesellschaft künftig mit dieser Problematik umgehen wollen. Solche Vorfälle ereignen sich nicht in einem Vakuum: Sie verweisen auf die allgemeine Progressivität einer Gesellschaft. Es reicht, die vielen Kommentare zu überfliegen, um festzustellen, dass diesbezüglich in Luxemburg noch viel Luft nach oben ist. Eine entsprechende Aufklärung ist demnach überfällig – und das nicht nur bei 3e-Schüler*innen.


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