Pop: Damit es nicht so bleibt, wie es ist …

Die junge österreichische Band Bilderbuch gilt aufgrund ihres raffinierten Humors und der professionellen, aber absolut unberechenbaren Machart ihrer Musik als Hoffnungsträgerin im Bereich des deutschsprachigen Pop. Die woxx hat sich mit dem Gitarristen Snacky Mike unterhalten.

Snacky Mike ist der Mann an den Saiten (Fotos: CC-BY Nicolas Schabram 2.0)

woxx: In Interviews behauptet Ihre Band immer wieder, dass Bilderbuch nicht den Sound einer Generation wiedergibt. Wie kommt das?


Snacky Mike: Wir haben nie versucht, auf eine Welle aufzuspringen, die lediglich zu einem bestimmten Zeitpunkt funktioniert. Es geht nicht darum, das Publikum nur für einen Moment zu befriedigen. Uns ist wichtig, Musik zu machen, die zeitlos ist und bleibt. Wenn man schon im Vorhinein das Gefühl hat, sich frühzeitig fremdschämen zu müssen, für etwas, das man aktuell tut, dann ist das nicht das Richtige. Da ziehen wir es vor, classy zu bleiben. Demnach benutzen wir beispielsweise Autotune auch so, dass es noch eine gewisse Klasse hat. (lacht.)

Nichtsdestotrotz sind die in den Songs behandelten Themen hyperaktuell. Seit der Gründung der Band im Jahr 2005 folgte eine Krise auf die andere. Kann da die Form zeitlos bleiben, während der Inhalt aber aktualitätsgebunden ist? Jene Europapässe, die man auf Ihrer Homepage erstellen und runterladen konnte, sind ja alles andere als ein zeitloses Zeichen.


Wenn du EU-Pässe zur freien Endentnahme ins Internet stellst, ist das in dem Moment trotzdem eine Art Kunstprojekt. Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem und der Musik, die wir machen. Wenn ich sage, dass wir etwas Zeitloses erschaffen, dann ist das trotzdem von dem inspiriert, was um einen rum passiert und wie man sich dabei fühlt. Gleichwohl bringen wir es im besten Fall fertig, nie nur das widerzuspiegeln.

Wie wahrscheinlich ist es, dass sich der Ibiza-Gate in Ihrer Musik niederschlagen wird?


Wir werden ganz sicher keinen plakativen Ibiza-Song schreiben. Uns war auch davor schon klar, dass H.-C. Strache ein totaler Vollarsch ist. Für uns ist es eher der Moment, in dem wir uns sagen: Cool, dass es jetzt endlich alle wissen. Und gut, dass es auf Bild und Ton verewigt ist, dass diese Politiker nicht korrekt handeln. Natürlich schlagen sich solche Ereignisse gewissermaßen nieder, aber einen konkreten Song dazu würden wir nicht machen. Dafür ist uns unsere Musik zu wichtig.

„Wenn man schon im Vorhinein das Gefühl hat, sich frühzeitig fremdschämen zu müssen, für etwas, das man aktuell tut, dann ist das nicht das Richtige.“

Fakt ist, dass Sie viele Menschen berühren und ansprechen. Politisch gesehen könnte ebendies Früchte tragen. Könnten Sie sich vorstellen, mitsamt der Band eine Partei zu gründen? Sind Künstler vielleicht einfach die besseren Politiker? 


Es gibt wahrscheinlich Leute bei uns in der Band, die sich das vorstellen könnten. Ich persönlich aber nicht. Ich bin auch der Meinung, dass wir als Musiker eher Gedanken anstoßen können oder eine gewisse Vorbildfunktion zu erfüllen haben. Aber sobald es ins wirkliche „Politikersein“ geht, wär zumindest ich persönlich nicht der Richtige. Der alte Spruch „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ ist vielleicht altbacken und nicht immer korrekt, aber er hat etwas Wahres. Ich glaub, wir können bessere Arbeit leisten durch das, was wir wirklich gut können und das, was uns am meisten Spaß macht. Ich denke auch, dass keiner von uns dieses Feuer hätte, die politische Fahne hochzuhalten – wir halten lieber die musikalische hoch.

Ähnlich wie Bilderbücher funktionieren auch die Gebärdensprache oder Verkehrsschilder. Es geht um eine einheitliche, gemeinsame Bildsprache, die unabhängig von der Herkunft verständlich ist. Nun hält die von Ihnen gewählte Sprache aber schier endlos wirkende Rezeptionsebenen bereit. Wie sehr denken Sie das Publikum eigentlich mit, wenn Sie Ihre Songs erschaffen?


Wir denken nicht nur das Publikum mit, sondern auch uns selbst. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht auf gut gemachte, einfach verständliche Popmusik stünde. Und es wäre ebenso verlogen zu sagen, dass wir versuchen, genau das nicht zu tun. Ich habe das Gefühl, dass sich dadurch, dass wir innerhalb der Band sehr unterschiedlich sind, verschiedentlich Musik machen und das dann alles zusammenkommt im Studio, das Resultat relativ kompliziert gestaltet. Unsere Aufgabe ist es jedoch, dass jeder Einzelne von uns vieren als Filter agiert, sodass das Ergebnis halbwegs gut verstanden werden kann. Genau das ist für uns die Herausforderung. Mir möchten Musik erschaffen, die einerseits anspruchsvoll ist und uns als Musiker befriedigt, aber eben auch verstanden werden kann von jemandem, der eigentlich mit dem Ganzen nichts zu tun hat. Es stellt sich natürlich die Frage, ob das immer gelingt. Es ist sicher nicht immer der Fall, aber immer öfter.

Stellt Unglücklichsein einen Motor für Ihre Band dar? Braucht es den Leidensdruck?


In all der Zeit, in der wir zusammenarbeiten, wechselten sich verschiedene Motoren ab. Wenn du als Band anfängst, deine ersten Songs schreibst und das Glück hast, überhaupt auftreten zu dürfen, dann ist es definitiv ein Motor, einfach vorankommen zu wollen. Für uns war es immer wichtig, etwas Eigenes zu haben. Etwas, das einem so auf den Geist geht, dass man es verändern möchte, damit es nicht so bleibt, wie es ist. Also dieser Drang, genau das Gegenteil davon zu machen. Ich muss dabei an meine Schulzeit denken – wenn auch diese nicht sonderlich lang war. Es war eine wichtige Zeit, um herauszufinden, was mir wichtig ist. Durch das Schulsystem, das nicht zu mir gepasst hat und wahrscheinlich auch nicht zu uns als Menschen, habe ich herausgefunden, wo ich wirklich hin will. Dann hat man auch viel mehr die Kraft, etwas zu machen, was man gut findet, statt nur irgendwelche Regeln zu befolgen, die nicht wirklich Sinn ergeben. Mit Unglücklichsein hat das dennoch nicht unbedingt etwas zu tun. So weit lassen wir es im besten Fall nicht kommen. Zumindest haben wir für unser aktuelles Album „Vernissage my heart“ einen ganz anderen Vibe bei den Aufnahmen sowie den Live-Konzerten verspürt. Das hat eher etwas Offenes, Friedliches und Positives.

„Ich denke, dass keiner von uns dieses Feuer hätte, die politische Fahne hochzuhalten – wir halten lieber die musikalische hoch.“

Sie sagten in einem Interview gegenüber einem Trierer Magazin, Zufriedenheit und Ankommen im musikalischen Sinne seien nicht erstrebenswert. Sind Sie ein Getriebener?


Wenn du eine Band hast, die erfolgreich wird, und an einen Punkt gelangst, an dem du siehst, dass es funktioniert, dann kann es sein, dass du angekommen bist, aber merkst, dass es dir eigentlich nie um Musik gegangen ist. Das ist bei uns glücklicherweise nicht so. Ich habe viel eher das Gefühl, dass wir gerade erst anfangen. Und dass es für uns nichts zur Sache tut, wie viel Geld auf unseren Konten ist, wie viele Menschen zu den Konzerten kommen und wie viele Plays wir auf diversesten Plattformen haben. Trotz alledem tut es natürlich auch gut, nach zwei Alben mal kurz durchzuatmen, dazusitzen und zu sehen, dass ein 60-Jähriger neben einer 16-Jährigen in der ersten Reihe steht und beide den gleichen Song mitsingen. Das ist ein wunderschönes Gefühl, bei dem man sich kurz erlaubt, sich zurückzulehnen und zu genießen. Aber danach muss es auch weitergehen.

Bilderbuch tritt am 21. Juli im Rahmen des Wiltzer Festivals auf.

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