Regierungsbildung: Belgische Blockaden

Auf föderaler Ebene wird sich in Belgien wohl kaum bald eine Regierungskoalition finden. In Flandern spielt die rechte N-VA auf Zeit und hofft, dadurch separatistische Tendenzen zu fördern. In Wallonien läuft für Grüne und Sozialisten ebenfalls nicht alles rund.

Koalition verzweifelt gesucht: Der frankophone Liberale Didier Reynders ist einer von zwei „informateurs“, die Belgiens neue Regierung finden sollen. (Foto: Vlad Vanderkelen/Wikimedia)

Auf den ersten Blick scheint vor allem die Situation des Parti Socialiste (PS) recht komfortabel: Obwohl die Partei ihr schlechtestes Wahlergebnis aller Zeiten eingefahren hat, ist eine Föderalregierung ohne ihre Beteiligung quasi undenkbar. Der Haken ist, dass Letzteres auch für die rechten Separatisten von der N-VA (Nieuw-Vlaamse Alliantie) gilt, mit denen man beim PS nicht gemeinsam regieren will. So ist man in Belgien derzeit kaum einen Schritt weiter als am Wahlabend Ende Mai. Eine Regierungskoalition zu finden, scheint auf dieser Basis kaum möglich zu sein.

Genau damit jedoch sind Didier Reynders vom frankophon-liberalen Mouvement réformateur (MR) und Johan Vande Lanotte von den flämischen Sozialdemokraten (SP.A) seit nun bald 50 Tagen beschäftigt: König Philippe hatte sie nach den Wahlen als „informateurs“ ernannt. Am Montag vergangener Woche war ihr Mandat erfolglos abgelaufen – doch das Staatsoberhaupt hat es umgehend bis zum 29. Juli erneuert. Nun wollen es Vande Lanotte und Reynders mit einer neuen Strategie noch einmal versuchen. Statt die einzelnen Parteien auf ihre Koalitionsbereitschaft abzuklopfen, möchte man ihnen nun gemeinsame Nenner bei den wichtigsten politischen Themen aufzeigen. Doch auch die Erfolgschancen dieser Methode sind eher gering.

Hinzu kommt das Gezocke, das Bart De Wever derweil bei der Regierungsbildung in Flandern betreibt. Zwar hat der N-VA-Vorsitzende und Bürgermeister von Antwerpen bereits die flämischen Liberalen (VLD), Christdemokraten (CD&V) und Sozialdemokraten (SP.A) zu seinen privilegierten Partnern im flämischen Regionalparlament erklärt. Dort verfügt die N-VA über 35 von 124 Sitzen, so dass ohne sie überhaupt nichts läuft. Wer jedoch letztlich mit der N-VA in die Regierung einrückt, das will De Wever nicht zuletzt vom Verhalten der genannten Parteien auf föderaler Ebene abhängig machen.

Warten und taktieren

„Keine Föderalregierung, die nicht zugleich eine flämische Mehrheit repräsentiert“, hatte De Wever bereits am Wahlabend erklärt. Im Klartext: Wer immer dem PS auf föderaler Ebene dabei hilft, die N-VA auszustechen und eine Regierung ohne diese zu bilden, ist bei einer Koalition in Flandern aus dem Spiel. Um diesen Trumpf auf föderaler Ebene nicht zu verlieren, hat De Wever vergangene Woche kurzerhand eine „Pause“ bei den flämischen Koalitionsverhandlungen ausgerufen.

Politiker wie Mark Eyskens (CD&V) und die flämischen Grünen wollten dies schon als Beweis für das Scheitern des von der N-VA propagierten separatistischen „Konföderalismus“ interpretieren: De Wever zeige sich selbst völlig vom Vorrang des Föderalen dominiert. Doch kommt diese Freude vermutlich verfrüht. Denn vieles spricht dafür, dass der Flame an einer Lösung der Patt-Situation auf föderaler Ebene gar nicht interessiert ist, weil er dann darauf verweisen kann, dass Belgien als Nationalstaat ohnehin nicht mehr funktioniert. Als „stratégie du pourrissement“ hat Jérémy Dodeigne von der Universität Namur dies unlängst in der belgischen Tageszeitung „Le Soir“ bezeichnet. „Ce discours lui permet de sortir gagnant sur les deux tableaux puisqu’il enfonce le clou de sa stratégie à long terme visant à la fin de la Belgique“.

Und wenn PS und N-VA doch zusammenkämen? Der belgische Unternehmerverband FEB und die flämischen Christdemokraten haben sich für eine solche Perspektive ausgesprochen, und zumindest der PS-Vorsitzende Elio Di Rupo zeigte sich Mitte Juni auch kurz bereit dazu. Jedoch wurde er von seinem Parteifreund Paul Magnette, Bürgermeister in Charleroi, umgehend zurückgepfiffen. Die N-VA ist nämlich nur dann zu Koalitionsverhandlungen bereit, wenn dabei auch über den „Konföderalismus“ gesprochen wird. Und das wiederum ist innerhalb des PS nicht nur für Magnette ein „No-Go“.

Angesichts solcher Probleme nimmt sich die Situation bei der Regierungsbildung in Wallonien geradezu harmlos aus. Dort hatten PS und Grüne (Ecolo), die zusammen über 35 von 75 Sitzen verfügen, Ende vergangener Woche eine „note coquelicot“ veröffentlicht. Das sechzigseitige Dokument ist aus Konsultationen von rund hundert zivilgesellschaftlichen Akteur*innen hervorgegangen. Es enthält die Prioritäten, die man in einer Regierungskoalition umsetzen will. Nur reicht es nicht für eine eigene Mehrheit. Daher warb man mit der „note coquelicot“ diese Woche bei den anderen wallonischen Abgeordneten aller Parteien um themenzentrierte Unterstützung einer eventuellen Minderheitsregierung. Die wallonischen Christdemokraten (cdH), der liberale MR und der marxistisch-leninistische Parti du Travail (PTB) hatten diesem Vorstoß jedoch die Unterstützung verweigert. So bahnt sich derzeit eine Koalition von PS, Ecolo und MR an; am Mittwoch stimmten nach den Sozialisten auch die Grünen dafür, mit den Liberalen in Verhandlungen einzutreten.

In der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, wo die alte Regierung bereits im Amt bestätigt wurde, lief die Regierungsbildung dagegen reibungslos. Und auch in der Region Brüssel-Hauptstadt finden PS und Ecolo dem Anschein nach harmonisch zusammen. Doch auch dort wartet man derzeit ab, was sich auf föderaler Ebene und in Wallonien tut. Und das kann noch ein Weilchen dauern.


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