Streaming, Kapazitäten und Umwelt: Nach dem Klopapier das Internet

Könnten Internetkapazitäten, ähnlich wie das Klopapier im Supermarktregal, knapp werden? Während die Politik warnt und Netzbetreiber entwarnen, drosselt Netflix den Datenverkehr.

In Luxemburg werden derzeit an Nachmittagen doppelt so viele Serien und Filme gestreamt wie vor der Krise. Angst um die Netzkapazität muss man deswegen nicht haben – und um das Klima? (Foto: pxhere.com)

„Wegen des Coronavirus wird allen Entwickler*innen empfohlen, statt TCP das UDP-Protokoll zu verwenden, um unnötiges Händeschütteln zu vermeiden.“ Um diesen Witz zu verstehen, muss man sich mit den Protokollen auskennen, die dem Internet zugrunde liegen, denn bei TCP verbinden sich zwei Computer zuerst mittels eines „Handshake“, also einem Händeschütteln, bevor sie Daten austauschen – bei UDP ist das nicht nötig. Covid-19 ist allerdings kein Computervirus und der Fakt, dass sich durch das Internet niemand anstecken kann, ist ein Grund dafür, dass die Welt und die Wirtschaft noch halbwegs weiterdrehen, während alle, die können, zu Hause bleiben.

Der Umstand, dass hunderte Unternehmen ihre Aktivitäten ins Heimbüro verlagert haben und für Besprechungen Telekonferenz-Softwares wie Skype, Zoom oder Jitsi benötigen, bereitet manchen Sorgen: Reichen die Kapazitäten des Internets, um den erhöhten Datenverkehr – oft einfach Traffic genannt – zu bewältigen? Und geht das auch noch gut, wenn zusätzlich zum Home-Office nicht wenige anfangen, Serien und Filme über Netflix, Amazon oder Youtube zu streamen? Bereits vor den Ausgangssperren, die zur Eindämmung des Virus verhängt wurden, entfiel ein großer Teil der Bandbreite auf Streamingdienste. Ein Viertel des Traffic, der weltweit durch die Datenleitungen fließt, geht alleine auf Youtube und Netflix zurück. Dieser Umstand rief auch Klimaschützer*innen auf den Plan – allerdings nicht ganz zu Recht.

Auch Polizei- und Kriegsminister François Bausch rief im Rahmen einer virtuellen Pressekonferenz vorsorglich dazu auf, nicht in der höchsten Qualität zu streamen. In welcher Kapazität und mit welchem Hintergrundwissen er das tat, ist nicht unbedingt klar gewesen. In einer E-Mail, die der woxx vorliegt, informierte der staatliche Informatikdienst CTIE jene Staatsbeamt*innen, die von zu Hause aus arbeiten, darüber, dass es im internen Netzwerk zu Engpässen kommen könnte. Wer via VPN mit dem staatlichen Netzwerk verbunden sei, solle diese Verbindung nicht benutzen, um Videos zu streamen. Das hat allerdings mehr mit den Kapazitäten des Staates zu tun, die logischerweise nicht danach ausgerichtet sind, dass alle Beamt*innen gleichzeitig zu Hause arbeiten – und schon gar nicht Videos streamen.

Alle wollen Bettel sehen

Allgemein scheinen die Sorgen um nicht ausreichende Netzwerk-
kapazitäten sich jedoch nicht zu bestätigen. Größere Ausfälle wurden bisher keine gemeldet und Internetanbieter melden zwar höhere Traffic-Zahlen, geben jedoch an, dass es keine Probleme gebe. Die Post vermeldete in einer Pressemitteilung am 19. März einen Anstieg des Internet-Traffics um etwa 30 Prozent. Dabei kommen in der Freizeit vor allem die sozialen Netzwerke und Streamingdienste zum Einsatz, in den Arbeitszeiten Telearbeit-Tools. Besonders die Regierungspressekonferenzen belasten das Netz der Post: Der Datenverkehr im Netz erhöht sich um bis zu 70 Prozent, wenn Premierminister Bettel oder Gesundheitsministerin Lenert zu Journalist*innen und Bürger*innen sprechen. Ein Sprecher der Post bestätigte der woxx, dass diese Zahlen sich in den letzten Tagen nicht verändert haben. Kapazitätsprobleme könne man ausschließen.

Ähnlich sieht es auch bei der Luxembourg Commercial Internet Exchange (LU-CIX) – dem luxemburgischen Verbindungsknoten zum Internet – aus. „In Bettemburg tauschen die nationalen Internetprovider untereinander und mit internationalen Anbietern sowie den großen Content Playern wie Netflix, Facebook, Google und Youtube Daten aus“, wie die Pressesprecherin Emmy Gandar der woxx beschrieb. „In den letzten Tagen hatten wir mehr Traffic, vor allem wegen Videostreaming am Nachmittag, da hat sich der Traffic im Vergleich zur Normalsituation beinahe verdoppelt. Der Einfluss von Homeoffice ist bei uns kaum zu spüren, da Grenzgänger*innen in ihren jeweiligen Ländern bleiben.“ Viele gezwungenermaßen Daheimgebliebene haben also die Gelegenheit genutzt, sich mit Streamingdiensten zu unterhalten.

Es ist genug Bandbreite 
für alle da

LU-CIX veröffentlicht Statistiken, durch die jede*r transparent nachvollziehen kann, wie sich der Traffic in den letzten Tagen und Wochen in Luxemburg entwickelt hat. Der Beginn der Notstandsverordnungen und der Schließung von Räumlichkeiten wie Cafés, Restaurants, Theatern und Kinos ist zwar erkennbar, aber nicht so deutlich, wie man das vielleicht erwarten könnte. Wer auf Nummer sicher gehen will, dass die Leitungen für den wichtigen Skype-Call im Home-Office nicht verstopft sind, muss früh aufstehen: Vor 6 Uhr morgens ist der Traffic am niedrigsten.

Die Kapazitäten seien jedoch zu keinem Zeitpunkt knapp geworden: „Auch wenn wir Traffic-Spitzen hatten, waren die immer weit unter der maximalen Kapazität, auf die LU-CIX ausgelegt ist. Abends beträgt die Steigerung rund zehn Prozent, während des Tages sind es 50 bis 100 Prozent. Allerdings ist die Auslastung am Nachmittag geringer als die Spitzen am Abend vor Corona-Zeiten. Wir haben also überhaupt kein Problem“, erklärte Gandar der woxx.

Interessant an all diesen Zahlen ist, dass Gaming nie zur Sprache kommt: Steam, der weltweit größte Shop für Videospiele, hat bereits am Wochenende des 15. März einen neuen Nutzer*innenrekord verzeichnet: Erstmals waren über 20 Millionen Spieler*innen gleichzeitig online, um zu zocken. Wenig überraschend locken sowohl Steam als auch konkurrierende Shops wie Gog.com oder Epic mit kostenlosen Spielen und Sonderangeboten. Auch Nintendos neuer „Animal Crossing“-Titel, in dem Spieler*innen mit den tierischen Bewohner*innen eines virtuellen Dorfes interagieren können, wurde herbei gesehnt. Obwohl es möglich ist, die Dörfer anderer Spieler*innen zu besuchen, dürfte das Spiel nicht unbedingt für mehr Traffic sorgen.

Foto: SIP/Julien Warnand

Es ruckelt da, wo es 
immer ruckelt

Die gleiche, beruhigende Botschaft wie von luxemburgischen Providern kommt auch aus Deutschland, wo die großen Verbindungsknoten für die Internetnutzung von DE-CIX betrieben werden. Die Organisation ist wohl mit so vielen Presseanfragen konfrontiert gewesen, dass sie eigens eine FAQ-Seite für die Covid-19-Krise eingerichtet hat. „Sogar, wenn alle Firmen in Europa exklusiv von zu Hause aus arbeiten würden und die Fußball-Europameisterschaft [der Herren, Anmerkung der Red.] parallel ausgestrahlt würde, hätten wir die nötige Infrastruktur für unterbrechungsfreie Verbindungen“, heißt es dort. Der Datenverkehr ist am Standort Frankfurt um zehn Prozent gestiegen, die Nutzung von Videokonferenz-Software um die Hälfte, Online-Gaming um ein Viertel.

Was heißt das für Menschen, die aktuell eine Verschlechterung ihrer Internetverbindung erleben? Einerseits kann es durchaus zu lokalen Engpässen kommen, wenn etwa die ganze Nachbarschaft gleichzeitig streamt und der Zugangsknoten um die Ecke dafür nicht ausgerichtet ist. Andererseits zeigen sich regionale und soziale Unterschiede: Wer Glasfaser-Breitbandanschlüsse vor die Tür gelegt bekommt, ist in vielen Ländern keine Sache des Zufalls. Die Covid-19-Krise zeigt einmal mehr Ungleichheiten auf, auch im Bereich des Digitalen.

Am 21. März kündigte Netflix an, den Datenverkehr in Italien und Spanien um ein Viertel zu verringern. Das, indem die Qualität der Streams leicht reduziert würde, was jedoch allerhöchstens Menschen mit großen Fernsehern und guten Augen bemerken sollten. Wer für eine hohe Auflösung zahle, bekäme die jedoch immer noch geliefert. Die Maßnahme wurde mittlerweile in ganz Europa umgesetzt und laut Netflix gab es bereits einzelne Anfragen aus Lateinamerika, dort das Gleiche zu tun.

Streamend die Welt retten

Ist das eine gute Nachricht für die Umwelt? Die Frage könnte man sich tatsächlich stellen, immerhin waren Streamingdienste im letzten Jahr in die Kritik geraten, weil sie angeblich sehr viel Energie verbrauchen und somit auch produzieren. Streaming sei das neue Fliegen, hatte es vereinzelt geheißen – eine halbe Stunde Netflix produziere genauso viel CO2 wie eine Autofahrt von etwas mehr als sechs Kilometern. Bereits als der von der NGO „the Shift Project“ herausgegebene Bericht 2019 erschien, wurde er vereinzelt kritisiert. Die gut gemeinten Ratschläge in Richtung Youtube und Netflix, ihre Videos doch zu komprimieren, seien angesichts der technischen Expertise, die diese Unternehmen aufgebaut hätten, doch etwas vermessen.

Das deutsche Informatikmagazin ct hat etwas genauer nachgerechnet und kommt zum Schluss, dass je nach Endgerät 30 bis 500 Gramm CO2 pro Stunde Streaming ausgestoßen werden – der Vergleich mit der Autofahrt sei massiv übertrieben. Das Magazin gibt ebenfalls zu bedenken, dass ein großer Fernseher immer viel Strom verbraucht; egal, ob der Inhalt einer altmodischen DVD oder Netflix drüberflimmert. Eine DVD zu bestellen oder sie gar mit dem Auto kaufen zu fahren, ist übrigens weitaus schädlicher für das Klima als den Film zu streamen. Zu Hause zu bleiben, rettet in diesen Zeiten also nicht nur Menschenleben, sondern vielleicht auch die Umwelt.


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