Villa Vauban: Queer durch die Sammlung

In der Villa Vauban läuft derzeit das Projekt „Queer Possibilities – Queering the Museum“. Was verbirgt sich dahinter?

Sind Motive wie dieses von Guillaume Bodinier queer lesbar? (Guillaume Bodinier (1795 – 1872), Junge Neapolitanerinnen, 1835, Öl auf Leinwand, ©Les 2 Musées de la Ville de Luxembourg)

Bisher war die Villa Vauban kein Treffpunkt für LGBTIQA+-Menschen oder für ein Publikum, das sich für queere Kunst interessiert. Die Sammlung des Museums umfasst vor allem Werke niederländischer Maler*innen des 17. Jahrhunderts, französischer Landschaftsmaler*innen des 19. Jahrhunderts sowie Gemälde, Skulpturen und Radierungen anderer europäischer Künstler*innen bis zum 19. Jahrhundert. Nun aber bietet ausgerechnet die Villa Vauban, die zusammen mit dem Luxembourg City Museum zu den „2 Musées de la Ville de Luxembourg“ („2 Musées“) gehört, seit letztem Wochenende Sonderführungen mit dem Titel „Queer Gaze – une promenade consciente dans le musée“ an. Eine einmalige Sache? Nein, es ist nur der Anfang des Projekts „Queer Possibilities – Queering the Museum“.

Die Idee hierzu entstand letztes Jahr, als das Team das „Zoom In“-Programm der Villa Vauban erarbeitete. Dies verraten Kyra Thielen, Museums- pädagogin in den „2 Musées“, und Guy Thewes, Direktor der Museen, im Gespräch mit der woxx. Für die Veranstaltungsreihe „Zoom In“ wählt das Team jährlich einen Themenschwerpunkt aus, nach dem die Dauerausstellung beleuchtet wird. Eins der Ziele: Menschen zu motivieren, die permanente Schau mehrfach zu besuchen. Gleichzeitig wollen die Museumsmitarbeiter*innen dadurch Personengruppen erreichen, die sich vom allgemeinen Angebot weniger angesprochen fühlen.

Im März 2023 fiel die Wahl auf das Themenfeld „Typical (fe)male? – Geschlechterrollen und Identitäten in der Kunst“: Wie stellten die Künstler*innen der Sammlung Geschlechterrollen dar? Wie hat sich das seither verändert? Diese und andere Fragen sollen in den Sonderführungen besprochen werden, ein Rahmenprogramm ergänzt die Reihe. Sprach das Team rund um Thielen und Thewes zunächst über Frauen und Männer, kamen schon bald die Themen Gender und Queerness auf. Auch das Begleitheft „Looking for Queer Possibility in the Museum“ der Museumsberaterin und Ausstellungsdesignerin Margaret Middleton inspirierte Thielen: Darin gibt Middleton Museumsbesucher*innen unter anderem Tipps, wie sie selbst in heteronormativen Ausstellungen queere Inhalte ausfindig machen können. „Uns war schnell klar, dass wir uns ebenfalls an LGBTIQA+-Menschen richten wollen“, sagt Thielen. „Die Frage war nur, wie.“

Sie erinnert an die eingangs erwähnten Jahrhunderte, welche die Sammlung der Villa Vauban abdeckt – im Kontrast zu Gegenwartskunst seien dies keine künstlerischen Epochen, in denen Queerness ausdrücklich und viel besprochen worden sei. Neben dem verfügbaren Material habe das Team aber auch die eigenen Kompetenzen hinterfragt. „Verfügen wir als Team, das nicht Teil der LGBTIQA+-Community ist, über das nötige Know-how?“, greift Thielen einen wichtigen Gesprächspunkt bei der Ausarbeitung des Projekts auf. Das Team fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, das Thema ohne Kenntnisse anzugehen. „Wir sind keine Trittbrettfahrer*innen, die nur etwas zu Queerness anbieten, weil das ein Trend ist“, fügt Thielen dem hinzu. „Uns ist es wichtig, uns intensiv mit Queerness und Museumsarbeit zu beschäftigen, statt ein einmaliges Programm zu lancieren.“

Hier kam das Laboratoire d’études queer, sur le genre et les féminismes (LEQGF) ins Spiel: Thielen und ihr Team suchten nach Partner*innen und stießen auf die queer-feministische Forschungsstelle der Philologin Sandy Artuso, der Soziologin Enrica Pianaro und der Philosophin Josée Thill. Nach mehreren Zusammentreffen entschieden sich beide Parteien Ende 2023 dafür, das Projekt etappenweise anzugehen. Ein erster Schritt sind die bereits erwähnten Sonderführungen „Queer Gaze“. Am 24. Februar um 10 Uhr (englisch, ausgebucht) sowie am 2. März um 14 Uhr (luxemburgisch) laufen die Besucher*innen die Ausstellung in Kleingruppen von maximal 15 Personen in Begleitung von Kunstvermittler*innen ab – mit Blick auf queer lesbare Aspekte der Dauerausstellung. Für „Queer Gaze“ wurden keine neuen Kunstvermittler*innen rekrutiert oder ausgebildet; sie wurden nur so ausgewählt, dass die Vielfalt der verfügbaren Vermittler*innen zum Ausdruck kommt. Im Anschluss an die Führung findet ein Austausch mit Artuso und Pianaro statt.

Die erste Führung Anfang Februar war ausgebucht, während die zweite Tour wegen ausbleibender Einschreibungen ausfiel. Ein Zeichen für mangelndes Interesse? Nicht für Thielen, denn sie wiederholt: Für den Termin Ende Februar gebe es bereits jetzt keine Plätze mehr. „Unsere thematischen Führungen sind immer beliebt, aber so schnell waren sie noch nie voll“, sagt sie. Sie führt dies unter anderem auf die gute Vernetzung von LEQGF mit feministischen und queeren Kreisen in Luxemburg zurück.

Sind die Führungen und Ateliers für das Publikum vorbei, ist das Museumspersonal an der Reihe: Für dieses bietet das LEQGF einen Workshop an, der Mitarbeitende aus allen Abteilungen für queere Themen sensibilisieren soll. „Außerdem wollen wir gemeinsam darüber nachdenken, was wir als Team eigenständig umsetzen können, um uns der LGBTIQA+-Gemeinschaft zu öffnen“, verrät Thielen. Als Museumspädagogin würde sie es begrüßen, wenn die „Queer Gaze“-Führungen künftig zum festen Programm beider Häuser würden. „Es wäre auch schön, wenn die gewonnenen Erkenntnisse in die Gestaltung kommender Ausstellungen einfließen würden“, denkt sie laut weiter.

„Wir sind keine Trittbrett- fahrer*innen, die nur etwas zu Queerness anbieten, weil das ein Trend ist.“

Eine Sonderausstellung zu Queerness lehnt sie nicht ab, bezeichnet jene aber nicht als Priorität. „Es geht vielmehr darum, langfristig Interesse an den unterschiedlichsten Personengruppen zu zeigen“, so Thielen. Sie verweist an der Stelle auch auf das Projekt „Museum for All“, das 2017 zum ersten Mal in der Villa Vauban stattfand: Das temporäre Ausstellungskonzept zielt auf Inklusion und den leichten Zugang zu Kultur ab. Dies geschieht durch die Positionierung und Präsentation der Exponate sowie durch ein Rahmenprogramm, das die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen einbezieht.

Die Villa Vauban ist seit 2023 auch Teil des Netzwerks „Mosaik – Kultur inklusiv“. Dies ist ein Zusammenschluss luxemburgischer Kulturhäuser, die sich gezielt für mehr Inklusion in der Kulturszene einsetzen. Die woxx berichtete im Kulturpodcast „Um Canapé mat der woxx“ (Folge 21) ausführlich darüber. Sowohl im Podcast als auch im Gespräch mit Thielen wird klar, dass Inklusion auf mehreren Ebenen erfolgen muss. „Alle Bereiche sind betroffen: die Ausstellungsgestaltung, die Kommunikation, die Kulturvermittlung“, resümiert Thielen. „Wir dürfen diese Personengruppen nicht aus den Augen verlieren.“ Im Hinblick auf Menschen mit Behinderung seien erst im gemeinsamen Diskurs wichtige Fragen aufgekommen, wie etwa die Zugänglichkeit der Museumswebsites.

„Wir müssen unsere Einstellung ändern“, stimmt Guy Thewes seiner Mitarbeiterin zu. „Es gibt zahlreiche Themen, für die wir nicht sensibilisiert sind. Ganz gleich, ob es um Provenienzforschung, Nachhaltigkeit oder binäre Geschlechtermodelle geht: Es braucht verschiedene Perspektiven. Wir müssen lernen, komplexer zu denken statt nur in Schwarz-Weiß.“ Er setzt Projekte wie „Museum for All“ oder „Queer Possibilities“ in einen größeren Kontext; erkennt darin die Philosophie beider Häuser unter seiner Leitung. „Wir wollen vermeiden, nur eine Narrative, nur eine Identität darzustellen. Identitäten müssen hinterfragt werden, denn es gibt viele“, sagt Thewes.

Als Beispiel nennt er die Ausstellung „Pure Europe“ (ab dem 22. März) im Luxembourg City Museum. „In der Schau bemühen wir uns beispielsweise, nationalistische Sichtweisen auf Europa zu dekonstruieren, denn Europa ist nicht nur weiß und christlich“, erklärt er. „In der kommenden Ausstellung ‘Babel heureuse’ befassen wir uns ab Herbst mit Mehrsprachigkeit. Wäre eine universelle Sprache hilfreich? Wie lebt es sich in einer multilingualen Welt?“ Er hält fest: „Ein Museum ist dafür da, möglichst viele Identitäten, Sprachen und Gemeinschaften zu repräsentieren.“

Sowohl für Thielen als auch für Thewes spielt der Mehrwert für die Besucher*innen ebenfalls eine zentrale Rolle. Sie wollen bedürfnisorientierte Angebote schaffen. „Um noch einmal auf die Arbeit mit Menschen mit Behinderung zurückzukommen: Es reicht nicht, Workshops für Kinder aus den Kompetenzzentren anzubieten“, sagt Thielen. „Wir wollen Menschen mit Behinderung genauso aufzeigen, dass sie berufliche Perspektiven im Kulturbereich haben.“ Zwar stecke „Queer Possibilities“ noch in der Anfangsphase, doch könnte sich jenes in eine ähnliche Richtung entwickeln. „Es wäre jedenfalls schön, wenn Menschen aus der Community sich dadurch verstärkt für Kulturvermittlung interessieren würden“, wünscht sich Thielen.

Genauso wie Thewes unterstreicht sie, dass sie zunächst auf Rückmeldungen der Besucher*innen, des Teams und des LEQGF warten, bevor sie weitere Schritte planen. Doch worauf hoffen die beiden schon jetzt? Thewes verspricht sich unter anderem einen Austausch über die Sprache der Museen – sei es in Publikationen oder in den Ausstellungen selbst. Auch erhofft er sich Erkenntnisse darüber, wie repräsentativ die Sammlung der Villa Vauban ist und wo Handlungsbedarf besteht. Thielen spricht über eine Ausweitung des Projekts auf das Luxembourg City Museum. Noch konzentriere sich das Projekt auf die Villa Vauban, doch sei die Übertragung auf das andere Haus nicht ausgeschlossen.

Und was ist mit den anderen Museen Luxemburgs? Machen diese nach Thielen und Thewes genug, wenn es um queere Angebote und die eigene Weiterbildung geht? Thewes nennt in dem Kontext das Mudam, das sich regelmäßig mit queeren Themen beschäftige und gewissermaßen „die Tür dafür geöffnet habe“. In der Tat bot das Mudam letztes Jahr unter anderem die Ausstellung „Pleasure and Pollinator“ der queeren Künstlerin Tourmaline und eine Lesung der trans Autorin Juliet Jacques aus ihrem Sammelband „Front Lines“ an.

(COPYRIGHT: Bjung, CC BY-SA 3.0 Wikimedia Commons)

Ein queeres Museum, wie beispielsweise in Berlin („Schwules Museum Berlin“) oder in San Francisco („GLBT History Museum“), existiert in Luxemburg bekanntlich nicht. Dafür bemühen sich unterschiedlichste Akteur*innen darum, ein queeres Kulturangebot zu schaffen. So etwa das Theaterkollektiv Independent Little Lies (Queer Little Lies-Festival); Richtung22 mit seiner dezidiert queer-feministischen Ausrichtung; Rosa Lëtzebuerg (u.a. Ausstellungen queerer Künstler*innen im Rainbow Center; Queer Arts Festival) sowie regionale Kulturzentren wie die Kulturfabrik (regelmäßige Auftritte und Ausstellungen queerer Künstler*innen).

Thielen zögert bei der Frage, ob andere Museen genug oder zu wenig Queerness im Programm haben. „Das hängt stark vom eigenen Profil ab“, sagt sie. „Wir selbst wollen für möglichst viele Bürger*innen interessant sein. In dem Kontext scheint uns unser queeres Angebot unzureichend und wir bemühen uns, das jetzt zu ändern.“ Inwiefern das für andere Häuser möglich sei, hänge mit ihrer Ausstellungsphilosophie, den Teams und der eigenen Sammlung – falls vorhanden – zusammen. „Die Museen der Stadt Luxemburg verfolgen ja alle ihr eigenes Programm“, präzisiert die Museumspädagogin. „Es ist meiner Meinung nach nicht zwingend notwendig, dass sich jedes Haus mit dem Thema beschäftigt.“

Trotzdem wolle ihr Team mit „Queer Possibilities“ an die anderen Museen herantreten und einen Workshop für alle Mitarbeitenden anbieten. „Niemand arbeitet alleine vor sich hin“, sagt sie. „Luxemburgs Kulturlandschaft ist klein. Alle machen ihre eigenen Erfahrungen und es ist wichtig, diese zu teilen. Nur so entstehen Netzwerke wie Mosaik. Auf die Weise müssen wir nicht immer wieder bei null anfangen.“ Zum Abschluss des Gesprächs schlagen Thielen und Thewes ein zweites Treffen in sechs Monaten vor, denn erst dann könnten das Museum und das LEQGF eine erste Zwischenbilanz ziehen.

Queer Gaze – une promenade consciente dans le musée (LU), am 2. März von 14 – 16 Uhr, Villa Vauban (18, av. Emile Reuter, Luxemburg). Anmeldung per E-Mail visites@2musees.vdl.lu oder Telefon +352 47 96 49 00 erforderlich.

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