Cube 521: „Politisch betrachtet, sind wir Häuser der Demokratie“

Christine Keipes übernahm letztes Jahr die Leitung des Kulturzentrums Cube 521, jetzt zieht sie im Gespräch mit der woxx ein Fazit und spricht über ihr Konzept für die neue Saison.

Seit 2022 leitet sie das Kulturzentrum Cube 521: Christine Keipes. (Fotos: Cube 521)

woxx: Christine Keipes, wie lief Ihre erste Saison als Leiterin des Cube 521, eine Stelle, die Sie seit 2022 besetzen?


Christine Keipes: Es war eine spannende Saison, wir haben viele positive Rückmeldungen erhalten und konnten neue Konzepte ausprobieren. So haben wir beispielsweise eine Koproduktion mit ukrainischen und luxemburgischen Tänzer*innen auf die Bühne gebracht: Sie interpretierten den Klassiker „Carmen“ neu. Ein toller, internationaler Austausch, der beim Publikum so gut ankam, dass wir eine zweite Vorstellung anbieten mussten! Auch mit unserer Sommerveranstaltung „Clervaux Castle Summer Music Festival“ hatten wir Erfolg, konnten eine neue, jüngere Zielgruppe sowie Tourist*innen anziehen.

War es ungewohnt, jetzt die Zügel in der Hand zu halten, nachdem Sie seit der Gründung des Kulturzentrums vor allem im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig waren?


Ich bin seit 2007 am Aufbau des Zentrums beteiligt und seit 16 Jahren stark mit dem Kulturhaus verbunden. Ein Jahr vor meiner Amtsübernahme habe ich mich bereits an der Programmgestaltung beteiligt. Es fiel mir demnach nicht schwer, nein.

Inwiefern beeinflusst es Ihre Arbeit, dass Sie die Leitung nach der Corona-Pandemie übernommen haben?


Selbstverständlich sind unsere Besucher*innenzahlen während der Pandemie eingebrochen. Wir haben während der Pandemie keine Zahlen zur Auslastung erhoben. Aufgrund der Restriktionen konnten wir zeitweise nur einen Bruchteil der verfügbaren Plätze belegen. Im Zuge der letzten Saison konnten wir jedoch einen Publikumsanstieg von 25 Prozent im Vergleich zur vorherigen Saison verbuchen, die Menschen finden also den Weg zurück zu uns. Auch wenn die Situation heute eine andere ist, als noch vor 2019 …

Was meinen Sie damit?


Das Verhalten der Zuschauer*innen hat sich seit der Pandemie verändert. Es braucht eine neue Idee, damit Kulturinstitutionen ihr Publikum wiedergewinnen. Die Kulturhäuser müssen anpassungsfähig und aufmerksam sein. Viele Menschen reservieren inzwischen kurzfristig ihre Plätze oder kaufen Karten an der Abendkasse, wohingegen wir früher im Voraus wussten, welche Vorstellung gut ankommt und eventuell einer Zusatzveranstaltung bedarf. Diese Planungssicherheit haben wir heute nicht mehr. Gleichzeitig stellen wir fest, dass das Publikum Kultur immer noch genauso genießt, wie zuvor. Wir leisten gerade jetzt eine wertvolle Arbeit für die Gesellschaft.

Auf was genau spielen Sie an?


Mehrere Studien beweisen, dass Kunst und Kultur einen positiven Einfluss auf unsere mentale Gesundheit haben, ganz gleich ob auf die des Publikums oder die der Künstler*innen selbst. Politisch betrachtet sind wir Häuser der Demokratie, in denen Meinungsfreiheit und Diversität gelebt wird. Wir beobachten aufmerksam jede Kraft, die demokratische Werte gefährdet, und sehen uns dazu verpflichtet, diese zu verteidigen. Das ist eine unserer Aufgaben.

Was für einen Mehrwert haben regionale Kulturhäuser in dem Kontext?


Regionale Kulturzentren, also diejenigen, die nicht in Luxemburg-Stadt angesiedelt sind, haben mehrere Funktionen: Sie werten die Region auf, aber auch das nationale Kulturangebot, beispielsweise indem Künstler*innen exklusiv in den regionalen Häusern auftreten. Wir bieten Programme, die denen der Hauptstadt ebenbürtig sind. Noch dazu gewährleisten wir die kulturelle Nahversorgung: Die Menschen müssen nicht bis nach Luxemburg-Stadt fahren, um Kultur zu erleben. Des Weiteren übernehmen wir mit einem vielseitigen Programm für Schulen und Gymnasien Verantwortung für die Gesellschaft von morgen – für Kinder und Jugendliche. Kulturelle Bildung ist eine Priorität vieler regionaler Häuser.

„Menschen müssen nicht bis nach Luxemburg-Stadt fahren, um Kultur zu erleben“

Erhalten die regionalen Kulturhäuser dafür genügend Anerkennung?


Das Cube 521, das geografisch am weitesten von der Hauptstadt entfernt ist, erhält weniger Beachtung in der breiten Öffentlichkeit. Interessanterweise finden mehr Menschen den Weg von Marnach nach Luxemburg-Stadt, als umgekehrt – dabei bleibt die Distanz in beide Richtungen gleich … Das ist schade, denn allein die Gemeinde Clerf hat viel zu bieten: Hier gibt es mit der Ausstellung „The Family of Man“ von Edward Steichen, der „Cité de lʼimage“, bei der Fotografien im öffentlichen Raum gezeigt werden, oder dem „De klenge Maarnicher Festival“ viel zu entdecken. Immer mehr Menschen zieht es in den Norden des Landes, weil die Lebensqualität hier groß ist. Und das Kulturangebot trägt eindeutig dazu bei.

Womit wollen Sie Ihr Publikum denn in der Saison 2023/2024 begeistern?


Wir teilen das Programm in der Regel in vier Sparten auf: Musik, Theater, Tanz, Kinder- und Jugendbereich. Wir wissen, dass das ankommt. Auf eine programmatische Revolution sind wir nicht aus. Mit unserem Programm müssen wir eine ganze Region bedienen – es wäre unsinnig, sich auf ein Genre zu spezialisieren. Möglichst viele Menschen sollen ihre Interessen in unserem Programm wiederfinden, unabhängig vom Alter oder der Sprache. Konkret heißt das, dass wir unter anderem mehrsprachige Theaterproduktionen im Angebot haben, genauso wie Vorführungen für Kinder- und Jugendliche, Jazz, Neo-Klassik in der Lorettokapelle in Clerf und eben die Sommerkonzerte rund um das dortige Schloss.

Wie wichtig sind Ihnen dabei die Geschlechterverhältnisse?


Ich habe ein großes Bewusstsein dafür und bemühe mich, die Sichtbarkeit der Künstlerinnen zu erhöhen. Auch das verstehe ich als Teil unserer Aufgaben als Kulturinstitution. Ich zähle ehrlich gesagt nicht ab, wie viele Frauen bei den großen Ensembles oder Orchestern, die wir einladen, auf der Bühne stehen, aber ich versuche allgemein, auf eine ausgewogene Geschlechteraufteilung zu achten.

Auf welche Frauen freuen Sie sich besonders?


Ich verweise in dem Sinne gern auf das Konzert des Balkan Paradise Orchestra: eine weibliche Brass-Band, die 2015 gegründet wurde. Die Musikerinnen spielen Posaune, Tuba, Horn – Instrumente, die eher von Männern gespielt werden. Ihre Musik ist dynamisch und stark an Balkan-Musik orientiert. Spannend wird auch die Lesung von Claudia Michelsen: Sie liest im November aus Marlene Dietrichs Memoiren, „Marlene“, vor. Das finde ich deswegen interessant, weil Dietrich schon vor 100 Jahren die Rollenverhältnisse hinterfragt und sich den gängigen Regeln widersetzt hat. Ein weiterer Höhepunkt ist der Auftritt der für einen Grammy nominierten, afro-amerikanischen Jazzsängerin Jazzmeia Horn im Mai 2024. Ich folge ihr auf den sozialen Medien, wo sie sich vor Kurzem auch öffentlich gegen Rassismus eingesetzt hat. Das hat mich zum Nachdenken bewegt und daran erinnert, dass diese Themen immer wieder sichtbar gemacht werden müssen. Die Frage führt mich auch zur Künstlerin Chantal Maquet, die in dieser Saison im Cube 521 ihr Kunstprojekt „Visages dʼun paysage“ präsentiert. Es ist das erste Mal, dass wir bildende Kunst ins Programm aufnehmen. Chantal Maquet hat sich an einer Künstler*innenresidenz beteiligt und ein halbes Jahr in der Residenz „Ermitage“ gleich neben der Lorettokapelle in Clerf gelebt. Für ihr Projekt hat sie die Bevölkerung vor Ort sowie die Öslinger Landschaft porträtiert.

Das heißt Ihnen ist auch an einer politischen Saison gelegen?


Im Theater habe ich den Schwerpunkt diese Saison auf politische Stücke gelegt, ja. Wir zeigen Klassiker wie „Animal Farm“ nach George Orwell, wo Diktatur und Populismus Thema sind, oder „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt, welches an die Gefahren von Atomwaffen erinnert. Das erschien mir passend, jetzt, wo wir uns erneut akut in einem Ost-West-Konflikt befinden. Politisch erleben wir zurzeit einen kritischen Moment, deswegen ist es mir wichtig, diese Stücke zu zeigen. Doch ich möchte hier auch ein weiteres Stück hervorheben, nämlich „Josef und Maria“: Hier geht es unter anderem um Einsamkeit im Alter und nicht, wie der Titel vermuten lässt, um die biblischen Charaktere. In dem Stück treffen eine Putzkraft und der Nachtwächter eines Kaufhauses zur Weihnachtszeit aufeinander.


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