Wahlen in Österreich: Der Heiland ist zurück

ÖVP und die Grünen gewannen die Wahl in Österreich. Eine Koalition zwischen beiden ist dennoch unwahrscheinlich.

Sebastian Kurz (Mitte) muss sich zwischen Werner Kogler von den Grünen (links) und Norbert Hofer von der FPÖ (rechts) als Koalitionspartner entscheiden. (Foto: EPA-EFE/Georgi Licovski)

Als Mitte Mai Journalist*innen von Spiegel und Süddeutscher Zeitung die Ibiza-Affäre aufdeckten, rechneten sie wohl kaum damit, ein Eurodance-Revival auszulösen. Nachdem bekannt geworden war, dass die beiden rechtsextremen Politiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus im Juli 2017 einer vermeintlichen Millionärin Staatsaufträge für mediale Schützenhilfe im Wahlkampf versprochen hatten, löste dies in Österreich eine Regierungskrise aus. Strache trat als Vizekanzler zurück, Gudenus von seinem Posten als Klubobmann (Fraktionsführer) der FPÖ. Im Parlament gelang ein Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz, der anfangs noch versucht hatte, allein zu regieren.

Der Soundtrack dieser turbulenten Zeit: „We’re Going to Ibiza“ der niederländischen Eurodance-Gruppe Vengaboys. Der Song war im linken Lager so populär, dass die Band am 30. Mai im Rahmen einer Donnerstagsdemonstration am Wiener Heldenplatz auftrat. Seit Oktober 2018 wurde einmal in der Woche gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung demonstriert. Nun, da sie abgesetzt worden war, feierten die Demonstrant*innen ausgiebig. Einige Tage später wurde eine Übergangsregierung vereidigt – mit der Juristin Brigitte Bierlein stand zum ersten Mal eine Kanzlerin einer österreichischen Regierung vor.

Die Feierstimmung legte sich bald. Nicht nur, dass die Ibiza-Affäre sich kaum auf das Wahlresultat der FPÖ bei den Europawahlen auswirkte – von der Schwäche der rechtsextremen Partei schien in Umfragen zur bevorstehenden Nationalratswahl vor allem die ÖVP zu profitieren, die unter Kurz deutlich nach rechts gerückt war. Es folgte ein turbulenter Wahlkampf, der reich an Aufdeckungen und Skandalen war (siehe woxx 1547). Lange Zeit waren vor allem Großspender*innen, die in Tranchen Millionen an die ÖVP fließen ließen, im Gespräch. Gegen Ende des Wahlkampfs wurden pikante Details über Strache bekannt: Der ehemalige Vizekanzler hatte sich ein luxuriöses Leben, unter anderem eine Wohnung, durch die Partei – und damit die Steuerzahler*innen – finanzieren lassen.

Als am Abend des 29. Septembers die ersten Hochrechnungen bekannt wurden, bestätigten sich die Umfragen: Kurz’ ÖVP hatte nochmal kräftig zugelegt und konnte mit 37,5 Prozent ihr bestes Ergebnis seit 2006 feiern. Die rechtsextreme FPÖ hingegen verlor nach Jahren des Aufwindes beinahe 10 Prozentpunkte und landete bei 16,2 Prozent. Auch die sozialdemokratische SPÖ fuhr schmerzliche Verluste ein und konnte nur noch etwas mehr als ein Fünftel der Stimmen gewinnen. Die liberalen Neos gewannen leicht hinzu.

Grüne wieder rein, Pilz wieder raus

Die deutlichen Gewinner*innen der Wahl waren die Grünen. 2017 hatte es die Abspaltung des ehemaligen Mandatars Peter Pilz in den Nationalrat geschafft, während die Grünen an der 4-Prozenthürde scheiterten. Nach zwei Jahren außerparlamentarischer Opposition gelang das Comeback mit 13,8 Prozent – ein Plus von 10 Prozentpunkten und das historisch beste Ergebnis. Pilz’ Liste Jetzt hingegen verlor alle Sitze im Parlament.

Neben den Donnerstagsdemos gibt es in Österreich auch eine andere wöchentliche Demonstration: Fridays for Future. Inwiefern die junge Klimabewegung den Grünen zurück ins Parlament verholfen hat, ist nicht endgültig geklärt – dass eins ihrer Kernthemen gerade Konjunktur hat, dürfte der Partei jedoch nicht geschadet haben. Außerdem zeigt die Wählerstromanalyse, dass viele ehemalige SPÖ-Wähler*innen nun zu den Grünen gewandert sind. Allerdings war 2017 ein ähnliches Phänomen in die umgekehrte Richtung zu beobachten: Damals hofften grüne Stammwähler*innen, mit der SPÖ eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ zu verhindern. Nachdem sich dies als Illusion herausstellte, verlor die Sozialdemokratie jetzt wieder Stimmen. Das erneuerte Personal dürfte ebenfalls seine Rolle gespielt haben: Werner Kogler hatte eigentlich erst ein Mandat im Europaparlament gewonnen, nahm dieses jedoch nicht an, um die nationalen Wahlen als Spitzenkandidat zu bestreiten – ein Tausch, der sich bezahlt gemacht hat.

In Wien könnte die neue Vizebürgermeisterin Birgit Hebein, die Maria Vassilakou im Juni abgelöst hatte und dezidiert linkere Töne anschlug, für eine neue Grünen-Begeisterung gesorgt haben. Noch weiter links steht zwar die KPÖ, die allerdings ohne mediale Beachtung und daher im Wahlkampf chancenlos blieb. Stets machte diese darauf aufmerksam, dass die Grünen ebenfalls nicht im Parlament saßen – und trotzdem in jede Diskussionssendung eingeladen wurden.

Die SPÖ schickte mit Pamela Rendi-Wagner zum ersten Mal eine weibliche Spitzenkandidatin ins Rennen. Die ehemalige Gesundheitsministerin konnte jedoch nicht überzeugen. Trotz einer durchaus kämpferischen Rendi-Wagner führte die Partei einen unambitionierten Wahlkampf ohne große Erzählung oder klare Forderungen abseits einer Mindestlohnerhöhung und schaffte es nicht, enttäuschte FPÖ-Wähler*innen anzusprechen. Womöglich schreckte auch die Aussicht, dass sie möglichst schnell wieder aus der Opposition in eine Regierung mit Sebastian Kurz wollte, ebenfalls ab. Immerhin hatten auch die Sozialdemokrat*innen harte Positionen zu Migration und Grenzschutz angenommen – was sich mit dem eher mutlosen Slogan „Menschlichkeit siegt“ biss.

Foto: EPA/Christian Bruna

Wut auf Strache

Der FPÖ wurden nicht, wie es vielleicht zu erwarten gewesen wäre, Straches Eskapaden mit viel Red Bull, Wodka und „psychotropen Substanzen“ auf den Balearen zum Verhängnis, sondern das finanzielle Gebaren des ehemaligen Sportsministers in Österreich. Sich jahrelang aus der steuergefütterten Parteikasse finanzieren zu lassen, das ging vielen Wähler*innen dann doch zu weit. Sie blieben am Wahlsonntag zu großen Teilen zu Hause oder wechselten zu Sebastian Kurz. Ihrem Ärger gegenüber Strache machten seine (ehemaligen) Fans auf seiner Facebookseite Luft, wo er von vielen Kommentator*innen die Schuld für das schlechte Ergebnis seiner Partei zugesprochen bekam. Spitzenkandidat Norbert Hofer konnte die Wähler*innen der Rechtsextremen zwar 2016 als Anwärter auf das Präsidentschaftsamt überzeugen, war für die Nationalratswahl jedoch wohl zu zahm. Der ehemalige Innenminister Herbert Kickl versuchte zwar, neuerlich Ängste zu schüren, aber da auch Sebastian Kurz seit Jahren gegen Migrant*innen Politik macht, war er damit wenig erfolgreich.

Der ehemalige – und vermutlich auch nächste – Kanzler und seine Partei hatten zwar auch mit einigen Skandalen zu kämpfen, diese perlten jedoch einfach ab. Kurz schaffte es, sich selbst zu einer Art rettender Heiland zu stilisieren, der dazu bestimmt ist, Österreich zu regieren. Seine Wahlkampftaktik bestand im Wesentlichen darin, den Misstrauensantrag der SPÖ und FPÖ zu politischem Kapital zu machen. Diese Erzählung wiederholte er gleich nochmal in seiner Siegesrede am Sonntag.

Die ÖVP setzte ganz auf die Person Kurz und konnte vor allem der FPÖ, zu kleineren Teilen aber auch den Sozialdemokrat*innen Stimmen abluchsen. Der wirtschaftsliberale Kurs der Konservativen konnte den steten Anstieg der Neos zwar nicht verhindern, ihr Wachstumspotenzial scheint jedoch begrenzt, gerade im ländlichen Raum, der fest in ÖVP-Hand ist.

Am Anfang der Woche wurden die ersten politischen Konsequenzen gezogen. Nicht nur die Übergangsregierung Bierlein dankte ab, wie es die Gepflogenheiten verlangen, sondern auch Heinz-Christian Strache ergriff drastische Maßnahmen. In einer Weinbar gab er seinen Rückzug aus der Politik bekannt. Ursprünglich war sein Plan wohl ein Comeback zur Wien-Wahl 2020, daraus wird nun jedoch nichts werden. Auch eine Spaltung der FPÖ, wie sie 2005 von Jörg Haider ausging, wird damit unwahrscheinlicher. Für Strache steht noch offen, ob die Ibiza-Affäre oder die Aufregung um sein Spesen-Gebaren ein juristisches Nachspiel haben könnte.

Kurz, der Klimaretter?

Die ÖVP entschied sich am Dienstag wie vermutet für Sondierungsgespräche mit allen drei Parteien, die für eine Zweierkoalition in Frage kommen: SPÖ, FPÖ und Grüne. Im Wahlkampf war immer wieder eine Dreierkoalition ÖVP-Grüne-Neos diskutiert worden, aufgrund des guten Wahlresultates der Grünen ist das jedoch nicht nötig. Ob die Partei so kurz nach dem Wiedereinzug ins Parlament schon organisatorisch auf eine Regierungsbeteiligung vorbereitet ist, darf bezweifelt werden.

Inhaltlich liegen ohnehin Welten zwischen den Grünen und Sebastian Kurz’ ÖVP, auch wenn es auf Länderebene bereits Vorbilder für diese Koalition gibt, aktuell etwa in Vorarlberg und Tirol. Vor allem in der Sozial- und Migrationspolitik würden die Grünen so einige Gesetze, die Kurz mit der FPÖ eingeführt hat, zurücknehmen. Allerdings hat sich Sebastian Kurz im Laufe seiner politischen Karriere als äußerst wandlungsfähig erwiesen. Hielte er eine ökologische Kehrtwende seiner ÖVP für profitabel, wäre es durchaus vorstellbar, dass er den Grünen große Zugeständnisse bei der Klimapolitik macht. Dabei könnte er durchaus nach Luxemburg schielen und sich an Green Finance-Konzepten inspirieren. Allerdings dürfte seine Wähler*innenschaft – insbesondere jene im ländlichen Raum – ganz andere Prioritäten haben.

Eine Koalition mit der SPÖ wäre schwer zu rechtfertigen, immerhin ist der Bruch mit der Sozialdemokratie ein bestimmendes Element in Kurz’ politischer Biografie. Die SPÖ ist zwar zweitstärkste Kraft geworden, hat jedoch viel verloren. Eine Koalition scheint aus optischen Gründen also unangebracht, außerdem wären die vielen kleinteiligen Kompromisse, die solche Bündnisse in der Vergangenheit prägten, im Widerspruch zu dem Politikstil, den Sebastian Kurz vermitteln will. Innerhalb der SPÖ werden nach der Wahl Stimmen laut, die eine gründliche Erneuerung der Partei wollen – allerdings scheint der Versuch, die Sozialdemokratie in Österreich zu erneuern seit längerem so sinnvoll, wie einen toten Fisch unter den Wasserhahn halten.

Möglicherweise wird Kurz versuchen, möglichst lange Gespräche mit Grünen und SPÖ zu führen, um dann zu verkünden, dass keine Einigung erzielt werden konnte. Wenn sich die FPÖ bis zu dem Zeitpunkt genug geläutert hat, wird sie womöglich doch wieder in die Regierung können und wollen. Die rechtsextreme Partei hatte zwar angekündigt, in die Opposition gehen zu wollen. Nach ein paar langen Wochen Koalitionsverhandlungen, bei denen das Schreckgespenst einer grünen Regierungsbeteiligung immer näher kommt, wäre sie aber möglicherweise bereit, ihren ehemaligen Innenminister Herbert Kickl zu opfern, um wieder an die Macht zu kommen. In diesem Fall würden die Donnerstagsdemos weitergehen – allerdings ohne die Vengaboys.


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