Wahlkampf in Suessem und Käerjeng: Lokal denken

Unkonventionelle Koalitionsmodelle, überraschende Parteiwechsel und eine umstrittene Umgehungsstraße. Die benachbarten Gemeinden Suessem und Käerjeng liefern viel Stoff für allgemeinere politische Betrachtungen.

Grün in Suessem – welche Zukunft? Als Naturdenkmal eingestufte Kopfweiden in Uerschterhaff. (Foto: Wikimedia / MMFE / CC BY-SA 3.0)

„Wir sind seit über 20 Jahren im Schöffenrat. Zuerst mit der CSV und seit 2005 mit der LSAP. Wir waren immer der Juniorpartner, aber immer zuverlässig.“ Das erzählt Alain Cornély, Spitzenkandidat der Suessemer Grünen, der schon bei deren Gründung vor 26 Jahren dabei war. Im Gespräch mit der woxx bewertet er die Bilanz der Koalition mit den Sozialisten positiv. „In den wichtigen Bereichen Wohnungsbau und Mobilität haben wir schon viel erreicht. Wenn wir weiterhin im Schöffenrat sind, wollen wir zusätzlichen Wohnraum schaffen – bezahlbar und hochwertig.“ Der Spitzenkandidat hofft auf ein „anständiges Ergebnis“ – darauf, die derzeit drei Sitze im Gemeinderat verteidigen zu können.

Alle zu Déi Lénk!?

Das könnte schwierig werden, denn auf der Kandidatenliste fehlen die drei Erstgewählten von 2011. Zwei von ihnen haben sich aus persönlichen Gründen zurückgezogen, die dritte, Myriam Cecchetti, kandidiert … auf einer anderen Liste. Ihr Name findet sich nun auf der Liste von Déi Lénk. Die Schöffin war im März von den Grünen nicht wieder auf die Kandidatenliste gesetzt worden. Begründung: Sie habe entgegen dem Koalitionsabkommen nicht für den LSAP-Bewerber um das Amt des Präsidenten des Sozialbüros gestimmt.

Pikant hierbei: Der LSAP-Bewerber war im Dezember 2016 gegen Jos Piscitelli angetreten, der selber LSAP-Vertreter im Gemeinderat … und mittlerweile ebenfalls auf der Liste von Déi Lénk zu finden ist. In einem Wahlprospekt der Grünen erfährt man noch mehr über Cecchetti und Piscitelli: „Da sich beide auch privat sehr nahe stehen, da sie Lebenspartner sind, war die grüne Schöffin zusätzlich befangen und hätte, zumindest aus deontologischen Gründen, nicht an dieser Abstimmung teilnehmen dürfen.“ Die Betroffene sah das anders und weigerte sich, ihr Mandat niederzulegen – woran auch das Ausschlussverfahren, das ihre Partei gegen sie anstrengte, nichts geändert hat. Auf Regierungsebene wäre das, wie das Wort schreibt, vergleichbar mit einem Szenario wie: „Neben Premier Xavier Bettel und den Ministern von nur zweien der drei Gambia-Parteien sitzt Claude Wiseler von der CSV. Sozusagen als Vertreter der Opposition und gleichzeitig als Minister.“

Cornély klingt nicht besonders nachtragend, er legt nur Wert auf die Feststellung: „Die LSAP hatte das Recht, den Präsidenten des Sozialbüros zu bestimmen.“ Der Spitzenkandidat geht davon aus, dass die Koalition in die Brüche gegangen wäre, wenn sich die Grünen eingemischt hätten. Und bedauert, dass die Sache „aus dem Ruder gelaufen“ sei. Man habe mit Cecchetti all die Jahre gut zusammengearbeitet.

Die vom Wort gezeichnete Parallele ist prägnant, trifft aber den Sachverhalt nicht ganz. Denn in der Lokalpolitik ist vieles möglich, was auf nationaler Ebene nicht – oder noch nicht – geht. Als 1997 in Suessem die erste funktionierende schwarz-grüne Koalition zustandekam, zeigten sich viele Déi-Gréng-Mitglieder skeptisch. Camille Gira betonte damals, auf nationaler Ebene bestünden zwischen den beiden Parteien allzu große Unterschiede, doch auf lokaler sei eine Zusammenarbeit unproblematisch. Redet man mit GemeindepolitikerInnen, so bekommt man den Eindruck, dass in der Lokalpolitik die großen Ideen weniger wichtig sind. Entscheidend ist, dass innerhalb des Schöffenrats die Personen miteinander zurechtkommen.

Grüne Koalitions-Optionen

„Man muss das Wahlergebnis abwarten“, beantwortet Nathalie Morgenthaler, Spitzenkandidatin der oppositionellen CSV, die Frage nach möglichen Koalitionen in Suessem. Die Zusammenarbeit mit den Grünen habe seinerzeit „programmatisch“ gut funktioniert. „Es hängt auch viel von den Personen ab“, fügt sie hinzu. Ihre Kritik an der rot-grünen Koalition betrifft hauptsächlich die Abgehobenheit des Schöffenrats. „Sie bestellen Studien, die dem Gemeinderat nie vorgestellt werden, sie informieren die Gemeindekommissionen nicht oder zu spät über ihre Vorhaben“, klagt Morgenthaler. „Die CSV setzt auf Gesamtkonzepte statt One-Shot-Aktionen wie diese Studie für eine Rodelbahn, die dann doch nicht umgesetzt werden.“ Lobende Worte findet sie für die Schulpolitik: „Mit den besonderen Unterstützungsangeboten für Schüler sind wir gut aufgestellt.“

In den Suessemer Wahlprogrammen steht, wie in den meisten Gemeinden, das Thema Wohnen im Vordergrund. Auffallend ist, dass es dabei in der Regel um den Bau oder Kauf von Häusern geht. Obwohl Suessem einen nicht geringen Anteil von sozial schwachen Haushalten aufweist, setzen sich nur Déi Lénk prioritär für ein besseres Angebot an bezahlbaren Mietwohnungen ein. Die beiden anderen Hauptthemen der linken Partei sind: „Stärkung der Mitspracherechte der EinwohnerInnen“ und „sozial-ökologische Gemeindeplanung“.

Das sind auch die beiden Themen, die Myriam Cecchetti gegenüber der woxx nennt. „Man sollte die Leute einbinden, statt so arrogant von oben herab Entscheidungen zu treffen“, fordert die neugebackene Déi-Lénk-Kandidatin. „Wenn man die Menschen so für Projekte sensibilisiert, dann werden diese auch besser akzeptiert und man kann die Glaubwürdigkeit der Politik wiederherstellen.“ In der rot-grünen Koaltion habe es gute Ansätze gegeben, und als Schöffin habe sie versucht, mehr Bürgerbeteiligung zu erreichen. Doch sie habe auch viel Wasser in ihren Wein schütten müssen. „Im Schöffenrat stand ich allein gegen drei LSAP-Vertreter, da war es nicht einfach, meine Projekte durchzusetzen“, beschreibt Cecchetti ihre Situation.

Eis Epicerie soll weiderliewen!

Ihre Verbannung durch Déi Gréng bezeichnet Cecchetti als einen „coup monté“. Es sei parteiintern abgemacht gewesen, dass sich die grünen Gemeinderatsmitglieder bei der Abstimmung für das Office social frei entscheiden könnten. Sie habe mit offenen Karten gespielt, die Sache ausdiskutieren wollen. „Man hat mich ins Messer laufen lassen“, sagt die Noch-Schöffin. Lokal habe sie sich anfangs auch unterstützt gefühlt, doch dann sei sie in die Parteizentrale in der Stadt zitiert geworden, und dort habe man sie „fertiggemacht“. Ihren Parteiausschluss hat sie nicht akzeptiert, aber ihren Mitgliederbeitrag für 2018 will sie nicht mehr zahlen. „Diese Leute haben mich zu sehr enttäuscht.“

Der fliegende Wechsel der beiden Gemeinderäte wirft auch die Frage nach der Zukunft von „Eis Epicerie“ in Zolwer auf. Cecchetti und Piscitelli waren die treibende Kraft hinter diesem Projekt, das halb Bioladen, halb Épicerie sociale ist. Es werden vorzugsweise umweltfreundliche, regionale und fair gehandelte Produkte angeboten, und sozial Schwache können zu besonderen Bedingungen einkaufen. „Eis Epicerie“ wurde im Juli mit dem Bio-Agrar-Preis ausgezeichnet.

„Es ist traurig, dass so ein tolles soziales Projekt zu einem Politikum wurde“, bedauert Nathalie Morgenthaler. Sie sei von Anfang an im Komitee gewesen und mit den beiden InitiatorInnen immer gut zurechtgekommen. Auch Alain Cornély versichert: „Wir stehen zum Projekt. Wir vertrauen der Zusicherung der LSAP, dass die Epicerie fortgeführt wird, wenn auch vielleicht mit einer anderen Struktur.“ Myriam Cecchetti war anfangs besorgt um die Zukunft des Projekts. Sie habe jetzt aber das Gefühl, dass Eis Epicerie allerseits Unterstützung findet, freut sich die Kandidatin. „Es zeigt, was man politisch auf Gemeindeebene bewirken kann.“

Fluch und Segen des Contournement

Doch Suessem bietet auch ein Beispiel für die unvermeidliche Begrenztheit lokaler Initiativen: das Projekt eines Contournement. Weil in der Nachbargemeinde das Dorf Nidderkäerjeng (Bascharage) im Verkehr erstickt, soll eine Umgehungsstraße gebaut werden. Die vergangenes Jahr von der Regierung beschlossene Trasse führt über Suessemer Gebiet und durchschneidet eine Natura-2000-Zone. Grund genug für sämtliche lokale Parteien, sich gegen das Projekt zu stellen. Déi Lénk und CSV, auf Gemeinde- wie auf nationaler Ebene in der Opposition, hatten leichtes Spiel, die neue Straße als unsinnig zu kritisieren. Für die LSAP war die Entscheidung weniger einfach, für die Suessemer Grünen, deren Partei auf Regierungsebene für Verkehr und Umwelt zuständig ist, war sie eine harte Nuss.

„Wir sind immer dafür eingetreten, dass zuerst alle anderen Maßnahmen getroffen werden, um das Verkehrsaufkommen zu verringern“, präzisiert Cornély. In diesem Sinne sei man „nicht pauschal dagegen“. Aber der Bau des Contournement werde den Verkehrsfluss in die Nachbargemeinden von Käerjeng verlagern. „Wenn es auf der Collectrice du Sud staut, könnten mehr Leute durch Suessem fahren“, befürchtet der grüne Spitzenkandidat. Und unterstreicht, dass sich seine Partei im Gemeindewahlprogramm klar gegen die Umgehungsstraße ausspricht.

Das sieht man bei den Käerjenger Grünen begreiflicherweise ganz anders. „Die Lebensqualität für die Anwohner der Hauptstraße von Käerjeng ist unhaltbar“, hält Josée-Anne Siebenaler-Thill fest. Sie vertritt die Grünen im Schöffenrat; zur Koalition gehören auch noch die CSV und die BIGK, eine lokale Bewegung, die nicht mehr zu den Wahlen antritt. Es gebe einen parteiübergreifenden Konsens, dass nur der Contournement eine Senkung der Stickoxidwerte herbeiführen könne. „Dabei sind die Grünen in der Regierung doch wahrlich nicht dafür, Straßen zu bauen und Natura-Zonen zu zerstören“, gibt sie zu bedenken. Ganz gleich, wie viel vom Individualverkehr man auf den ÖPNV verlagert, der Lastwagenverkehr sei damit nicht zu reduzieren.

Was wäre, wenn …

Siebenaler-Thill betont, die Gemeinde habe viel unternommen, um die sanfte Mobilität innerhalb Käerjengs zu fördern: Radwege, M-Boxen, Pedibus für Schulkinder, Subvention für E-Bikes … Generell habe man in der Koalition mit der CSV viel erreicht. „Seit 18 Jahren haben wir hier gute Erfahrungen“, so die grüne Politikerin.

Es ist nicht zu übersehen, bei Angelegenheiten wie dem Bau von Umgehungsstraßen wiegt der jeweilige Lokalpatriotismus schwerer als die Parteizugehörigkeit. Auffällig ist auch, dass das Thema Bürgerbeteiligung vorzugsweise von der Opposition aufgegriffen wird: in Suessem von CSV und Déi Lénk, in Käerjeng von der LSAP. Einen Parteiwechsel gab es in Käerjeng übrigens auch: Die 2011 für die LSAP gewählte Gemeinderätin Danielle Schmit tritt nun auf der CSV-Liste an. Dass der Gemeindewahlkampf oft stark personalisiert geführt wird, liegt wohl daran, dass abstrakte politische Ideen von den lokalen ProtagonistInnen nicht ernstgenommen oder als nicht relevant angesehen werden.

Wie geht es weiter in den beiden Gemeinden? 2011 musste die CSV bei den Wahlen in Käerjeng starke Einbußen hinnehmen, die LSAP dagegen gewann und wurde stärkste Partei. Doch die Grünen entschieden sich, mit der CSV weiterzumachen – mit Unterstützung der durch die Fusion mit Kënzeg hinzugekommenen BIGK. Letztere tritt nicht mehr an; es könnte also knapp werden für die jetzige Koalition unter Bürgermeister Michel Wolter. Sollte die LSAP unter Yves Cruchten noch einmal gewinnen, so würde auch in Käerjeng wahrscheinlich das „Suessemer Modell“ einer rot-grünen Koalition umgesetzt.

In der Nachbargemeinde dagegen ist ein Wechsel zum „Käerjenger Modell“ unwahrscheinlich – dafür bräuchte es einen Erdrutschsieg der CSV. Zwar erhielt diese 2005 noch fast so viele Stimmen und ebensoviele Mandate wie die LSAP. Doch sind ihr seit den Wahlen von 2011 von ihren fünf Mandaten nur drei geblieben – nicht mehr, als die Grünen haben. Beide müssten diesmal zusammen 9 von 17 Mandaten erreichen. Sieht man sich die Zusammensetzung der Listen an, so dürfte die LSAP ihre sieben Mandate locker halten – umso mehr, als die Gesamtzahl von 15 auf 17 steigt. Déi Lénk können darauf hoffen, mehr VertreterInnen als, wie bisher, nur eine einzige in den Gemeinderat zu entsenden. Die Grünen dagegen müssen um ihre drei Mandate – und damit ihren Platz im Schöffenrat – zittern. Geht dann die CSV als zweitstärkste Kraft aus den Wahlen hervor, so ist eine große Koalition das wahrscheinlichste Szenario. Die woxx wird die Entwicklungen nach dem 8. Oktober jedenfalls im Auge behalten.


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