Weihnachtslieder
: Santa is watching you!

Neben Plätzchen und Glühwein sind auch Sexismus und emotionale Erpressung nicht aus den alljährlichen Weihnachtsritualen wegzudenken – so scheint es jedenfalls, wenn man sich die Texte mancher der bekanntesten Weihnachtslieder anhört.

Schaut man sich die Texte mancher Weihnachtslieder genauer an, kann es richtig unheimlich werden. (Bildquelle: flickr)

Es ist wieder einmal die Jahreszeit, in der man genötigt wird, Weihnachtslieder zu hören. Allen, die sich dem entziehen wollen, bleibt nicht viel übrig, als Einkaufsstraßen, Supermärkte und kommerzielle Radiosender zu meiden. Doch warum sollte man das wollen, handeln die meisten dieser Lieder doch von Verliebtheit, Spaziergängen im Schnee oder dem Weihnachtsmann, der Groß und Klein mit Geschenken beglückt? Nach kritischen Tönen sucht man in den Texten zwar meist vergebens, doch davon einmal abgesehen scheinen diese Lieder keinen größeren Schaden anzurichten.

Doch auch Weihnachtslieder sind ein Produkt unserer Gesellschaft und spiegeln somit bestimmte Werte und Ideologien wider. Unabhängig davon, ob man Weihnachten feiert oder nicht, sind diese Lieder tief in der westlichen Kultur verankert und unterscheiden sich so nicht von Popmusik im Allgemeinen. Grund genug, einen genaueren Blick darauf zu werfen, welche Botschaften manche der besinnlichen Klassiker vermitteln.

„Santa Claus is Coming to Town“

Es geht doch nichts über ein Lied zur emotionalen Erpressung kleiner Kinder. So könnte man jedenfalls meinen, wenn man sich den Text von „Santa Claus is Coming to Town“ anhört. Melodie und Rhythmus laden einen zwar zum Mitschnippen und -singen ein. Im Text jedoch wird von der ersten Zeile an eine eher gruselige als herzerwärmende Atmosphäre generiert: „You better watch out, you better not cry, better not pout, I’m telling you why: Santa Claus is coming to town“. Mit der Warnung, der Weihnachtsmann komme in die Stadt, wird das Kind ermahnt, jegliches Weinen oder Schmollen sein zu lassen. Santa Claus wird als bedrohliche Figur gezeichnet, die das Kind besser nicht verärgern sollte. „He knows if you’ve been bad or good, so be good for goodness sake!“ Moment mal – geht es hier um den Weihnachtsmann oder den Geheimdienst? Dieser Mann scheut scheinbar keine Mittel, um an die Infos zu kommen, die er benötigt; Respekt vor Privatsphäre ist da offenbar nebensächlich. Spätestens wenn es an einer Stelle heißt, „he sees you when you’re sleeping; he knows when you’re awake“, kann man sich sicher sein, dass das angesprochene Kind sich im eigenen Schlafzimmer nie mehr wirklich geborgen fühlen wird. Im Grunde bringt das Lied jedoch nur auf den Punkt, was zum Beispiel auch hinter dem hierzulande gängigeren Nikolausbrauch steckt: Kinder anzulügen und ihnen Angst einzuflößen, damit sie sich benehmen.

„All I Want for Christmas is you“

Auf den ersten Blick scheint „All I Want for Christmas is you“ eine einzige Liebeserklärung zu sein. In der Originalversion behauptet Mariah Carrey gleich anfangs, sie brauche nur eines. Geschenke? – Mitnichten! Eine Behauptung, wie man sie in Weihnachtsliedern allzu selten hört. Doch beim genaueren Hinhören wirkt der Liedtext schon weniger romantisch.

Die Sängerin wünscht sich nämlich nicht etwa Weltfriede, Gesundheit, und dergleichen mehr. Was sie sich mehr als alles andere wünscht, ist Weihnachten mit ihrem Geliebten zu verbringen. Jenseits der fragwürdigen Botschaft, alles, was diese Frau wolle und brauche, sei ein Mann, der sie fest in den Arm nimmt, fallen bei diesem Lied noch weitere bedenkliche Aspekte auf. So sehr diese Frau nämlich von Sehnsucht getrieben scheint, ist sie doch nicht bereit, auch nur einen Finger für die Erfüllung ihrer Wünsche zu rühren. Durch den gesamten Text ziehen sich Hinweise auf ihre Passivität wie etwa „I’m just going to keep on waiting underneath the mistletoe“. Liefern soll der Weihnachtsmann. Immer wieder bettelt sie, bis sie irgendwann völlig verzweifelt klingt: „Santa, won’t you bring me to the one I really need? Won’t you please bring my baby to me?“. Diese Frau scheint noch nichts von Bus und Bahn gehört zu haben. Und falls ihr das nötige Kleingeld fehlt: Wäre es dann nicht sinnvoller – wenn auch nicht zielführender –, sich vom Weihnachtsmann eine Fahrkarte zu wünschen? Mit ihren Bitten scheint sie jedenfalls davon auszugehen, alles in ihrer Macht stehende getan zu haben („What more can I do?“).

„All I Want for Christmas Is You“ wurde auch von allerlei Männern gecovert und man könnte meinen, dass sich bei dieser Variante die Sexismus-Problematik nicht mehr stellt. Doch wird der Text beispielsweise von Justin Bieber gesungen, erinnert er plötzlich bedrohlich an die Perspektive eines Stalkers, wie die US-amerikanische Bildungsorganisation „Feminist Frequency“ hervorhebt. Kadeen Griffiths, Redakteurin des US-amerikanischen Magazins „Bustle“, hat jedenfalls die Nase voll und eine feministische Version von „All I want for christmas“ geschrieben.

(Foto: Pixabay)

„Baby It’s Cold Outside“

Das Setting dieses Liedes scheint zunächst recht romantisch: Ein Mann und eine Frau sitzen mit Getränk am Kaminfeuer, draußen ist es bitterkalt. Als die Frau meint, nach Hause gehen zu müssen, lädt ihr Gastgeber sie ein, die Nacht mit ihm zu verbringen. Was zunächst nach einem harmlosen Austausch aussieht, erweist sich als zutiefst asymmetrisches Machtverhältnis zwischen den beiden, schaut man sich die Lyrics einmal genauer an.

Das Lied fängt damit an, dass die Frau sagt, sie könne nicht mehr bleiben und anfängt, sich zu verabschieden. Der Mann unterbricht sie mehrmals mit Gründen, zu bleiben: Draußen sei es kalt, er könne ihr die Hände aufwärmen. Ab einem bestimmten Punkt bleibt es jedoch nicht nur bei Vorschlägen: er zieht ihr den Hut aus und fragt, ob er sich näher an sie heransetzen dürfe. Im Laufe des Liedes wird die Handlungsmacht der Frau so immer wieder unterwandert. Der Mann schreckt auch nicht davor zurück, seinen Gast emotional zu manipulieren: Ihre Ablehnung verletze seinen Stolz, und sie solle sich nur seine Trauer vorstellen, wenn sie an einer Lungenentzündung sterben würde. Das Lied zeigt, wie schmal die Grenze zwischen Überredung und Einschüchterung bisweilen ist. Die Frau ihrerseits besteht einerseits darauf zu gehen und nennt andererseits Argumente, um die Einwände des Mannes zu entkräften: ihre Eltern würden sich Sorgen machen und ihr Gastgeber könne ihr ja seinen Mantel ausleihen. Sie formuliert ihre Aussagen vorsichtig, als sei sie darauf bedacht, seine Gefühle nicht zu verletzen („I ought to say ’no, no, no’“, „Why don’t you see?“).

Bei allen angeführten Liedern gehen die Meinungen darüber auseinander, ob oder inwiefern der Inhalt als problematisch zu bewerten ist. Doch an nur wenigen Zeilen scheiden sich die Geister so sehr, wie an „Say, what’s in this drink?“. Die Frau, die die Frage stellt, gehe eindeutig davon aus, dass irgendeine Substanz in ihr Getränk gemischt worden sei, behaupten einige. Andere führen die Frage darauf zurück, dass sie die Verantwortung für ihr Verhalten ablegen und dieses stattdessen der Wirkung des Alkohols zuschreibe. Eigentlich wolle sie nämlich durchaus bleiben, wisse jedoch, dass sich das für eine unverheiratete Frau nicht gehöre – immerhin wurde das Lied in den 1940er-Jahren veröffentlicht. Egal ob man das Lied so interpretiert, dass sie gehen oder aber bleiben will, jedoch Angst vor der drohenden gesellschaftlichen Stigmatisierung hat: Ihr Date nimmt darauf keine Rücksicht und bedrängt sie. Letztes Jahr veröffentlichte das Gesangsduo Lydia Liza und Josiah Lemanski eine umgedichtete Version von „Baby it’s cold outside“, die den Fokus auf das Einvernehmen aller Beteiligten legt.

Solange die aufgeführten Lieder nichts an ihrer Popularität eingebüßt haben, sollte man ihre Wirkkraft nicht unterschätzen. Sie mit kritischer Distanz zu betrachten, bedeutet nicht nur, sich tradierte gesellschaftliche Sinngehalte bewusst zu machen und diese zu hinterfragen. Es bedeutet auch, die Wirkung zu bedenken, die solche Lieder auf – vor allem junge – Zuhörer*innen haben können. Als integraler Bestandteil alljährlicher Weihnachtsrituale tragen sie dazu bei, bedenkliche Botschaften zu vermitteln – ob diese nun darin bestehen, Kinder emotional zu erpressen oder ein sexistisches Bild von Frauen zu reproduzieren.


Weitere erwähnenswerte Lieder:


„Do They Know It’s Christmas?“: Dieses Lied enthält zahlreiche ethnozentrische („the other ones“; „Do they know it’s Christmas time at all?“) und schier geschmacklose Aussagen.
 Bedenklichste Liedpassage: „Tonight thank God it’s them, instead of you.“
„Santa Baby“: Wird da etwa impliziert, dass eine Frau sich schlecht benommen hat, wenn sie mehr als einen Mann geküsst hat?
 Bedenklichste Liedpassage: „Think of all the fun I’ve missed, think of all the fellas that I haven’t kissed; next year I could be just as good, if you check off my Christmas list.“

„You’re a Mean One, Mr. Grinch“ ist nichts anderes als eine Aneinanderreihung schmerzhafter Beleidigungen.
 Bedenklichste Liedpassage: „Your soul is an apalling dump-heap, 
overflowing with the most disgraceful assortment of deplorable rubbish imaginable.“


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