Widersprüche, Teil 1: „Defizit linksradikaler Debatten“

Andreas Blechschmidt war Anmelder der von der Polizei gewaltsam aufgelösten „Welcome-to-Hell“-Demo beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg. Im ersten Teil des nächste Woche fortgesetzten woxx-Gesprächs mit ihm geht es um Polizeigewalt, linke Militanz und die Unfähigkeit zur Selbstkritik.

Nicht selten ist linke Militanz kaum mehr als Selbstverteidigung gegen massive Polizeigewalt – oft wird sie allerdings auch unkritisch glorifiziert. Demonstrant*innen schützen sich bei Protesten gegen den G20-Gipfel im Hamburger Schanzenviertel mit improvisierten Schilden gegen die Kanonade eines Wasserwerfers. (Foto: EPA-EFE/Carsten Koall)

woxx: Was hat Sie dazu bewegt, neben Ihrer Lohnarbeit und politischen Aktivitäten ein Buch über Polizeigewalt und linke Militanz beim G20 in Hamburg zu schreiben?


Andreas Blechschmidt: Vor zwei Jahren hat mit dem G20-Gipfel der größte Polizeieinsatz in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands in Hamburg stattgefunden. Erwartungsgemäß hat es im Nachgang bei den politisch und polizeilich Verantwortlichen für die systematischen Rechtsbrüche und die massive Polizeigewalt keinerlei erkennbare Selbstkritik gegeben. Was mich aber dann doch überrascht hat, war die Tatsache, dass auch innerhalb der radikalen Linken in den öffentlich wahrnehmbaren Analysen und Reaktionen überwiegend nur Erfolgsmeldungen verbreitet wurden.

Kritik Fehlanzeige?


Ja, und das hat sich weder mit meinen Wahrnehmungen, noch mit denen vieler Genossen und Genossinnen, mit denen ich diskutiert habe, gedeckt. Für mich drückte sich darin ein grundlegendes Defizit linksradikaler Debatten aus, in denen nämlich politischer Widerspruch zu oft als unsolidarisch, spalterisch und als Ausdruck von Renegatentum abgetan wird. Diese unerfreuliche Erfahrung durfte ich leider auch persönlich machen, da hatte ich keine Lust, das so stehen zu lassen.

Sind in das Buch auch Debatten aus der Roten Flora eingeflossen? 


Tatsächlich nein! Wir haben in der Roten Flora sehr kontrovers miteinander gestritten, weil es innerhalb des Projekts über das öffentliche Agieren der Flora insbesondere nach den militanten Auseinandersetzungen von Freitagnacht auch intern Kritik gab. Aber wenigstens war hier das menschliche Miteinander fair und respektvoll. Mein Buch ist ausdrücklich eine persönliche Positionierung, die erst mal nichts mit der Haltung der Aktivistinnen und Aktivisten der Roten Flora zu tun hat.

Dennoch haben Sie schon unmittelbar nach dem „Barrikadenabend“ im Schanzenviertel in einem Interview mit dem Rundfunksender NDR Kritik an verschiedenen Formen der praktizierten Militanz geübt.


Das war nicht mein Privatvergnügen, sondern ich habe im Auftrag und mit dem Mandat für die in der Nacht in der Flora befindlichen Aktivistinnen und Aktivisten gesprochen. Mir wurde im Nachhinein aus der Szene vorgeworfen, ich hätte hier als Altkader persönlich meinem Geltungsbedürfnis Raum verschaffen wollen. In der Sache haben wir jedenfalls geäußert, dass wir Militanz für berechtigt halten, aber Widerspruch zu den Ausdrucksformen hatten, womit wir natürlich die Brandstiftungen von Geschäften, über denen sich Wohnungen befanden, meinten, die uns tatsächlich entsetzt haben. In der Nacht haben wir aus taktischen Gründen diese Brandstiftungen, von denen wir eben wussten, bewusst nicht aktiv benannt. Deswegen klang im Nachhinein diese Kritik der Militanz mit der sehr allgemeinen Formulierung, sie habe sich an sich selbst berauscht, natürlich altbacken und beleidigt.

„Ich habe überhaupt kein Problem damit, sich im Streit um politische Ansichten voneinander abzugrenzen.“

Und deshalb wurde Ihnen persönlich von anarchistischen Gruppen in der Broschüre Rauchzeichen „kriecherischer Opportunismus“ vorgeworfen. Wie gehen Sie mit solchen Vorwürfen um?


Naja, der ehemalige GEO-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede hat mir unmittelbar nach dem Gipfel persönlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in einem offenen Brief seine Verachtung erklärt. Da müssen die anarchistischen Genossinnen und Genossen damit klarkommen, in welche Gesellschaft sie sich begeben haben, wenn sie mich ihrerseits für einen kriecherischen Opportunisten halten, vor dem sie übrigens, um das Zitat mal vollständig zu machen, Ekel empfanden.

Neben solchen Diffamierungen fällt auf, dass in einigen Veröffentlichungen zum militanten G20-Protest die Rote Flora ignoriert und Kritik verschwiegen wird. Wie soll auf diese Weise eine Debatte stattfinden?


Diese Frage reiche ich mit meinem Buch an die diejenigen weiter, die in ihren Publikationen nicht offen ihren politischen Widerspruch zu den Positionierungen der Roten Flora formuliert haben. Ich habe überhaupt kein Problem damit, sich im Streit um politische Ansichten voneinander abzugrenzen. Aber missliebige Ansichten zu Einschätzungen der Ereignisse im Schanzenviertel in der Analyse komplett zu unterschlagen und damit unsichtbar zu machen, finde ich inakzeptabel.

Weshalb wird in der autonomen Debatte nach dem G20-Gipfel auch die Geschichte militanter Auseinandersetzungen im Schanzenviertel ausgeblendet, von der Besetzung der Roten Flora bis hin zu den Schanzenfesten von 2002 bis 2012?


Diese Frage stelle ich mir selbst. Meine vorläufige Antwort darauf lautet, dass diese fehlenden Bezugnahmen der Ausdruck einer Geschichtsvergessenheit innerhalb der radikalen Linken sind. Zwischen den letzten Schanzenviertelriots und dem Juli 2017 lagen fünf Jahre, offenbar eine zu lange Zeit, als dass hier ein politischer Zusammenhang erkannt werden konnte. Dabei gab es beim Schanzenfest 2012 bereits einen Vorfall, der deutlich machte, dass ein Riot nicht immer links ist: Als Aktive aus der Roten Flora verhinderten, dass unter dem Vordach des Zentrums ein Feuer entzündet wird, wurde mit Messern auf sie eingestochen.

So was wird gerne vergessen.


Und verdrängt.


Andreas Blechschmidt engagiert sich seit der Besetzung der Roten Flora im Hamburger Schanzenviertel 1988/89 im dortigen autonomen Zentrum. Der 53-jährige ist häufig als Sprecher und Anmelder für Versammlungen der autonomen Linken aktiv, auch für die von der Polizei gewaltsam aufgelöste „Welcome-to-Hell“-Demo beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg. Während seines Studiums der Germanistik und Wirtschafts- und Sozialgeschichte und auch danach war er als ausgebildeter Altenpfleger erwerbstätig und dabei zeitweilig Betriebsratsvorsitzender. Er hat in einem Anwaltskollektiv gearbeitet und ist jetzt in einem alternativen Bestattungsunternehmen beschäftigt. Soeben ist von ihm das Buch „Gewalt. Macht. Widerstand. G20 – Streitschrift um die Mittel zum Zweck“ in der „reihe antifaschistische texte“ (rat) im Unrast Verlag erschienen.

Rückblick auf den Hamburger G20-Gipfel: Polizeiliche Chaostage

Als vor zwei Jahren der G20-Gipfel in Hamburg tagte, fand auch ein breites zivilgesellschaftliches Spektrum zu Protesten zusammen. Die Polizei hoffte, diese durch kompromissloses Vorgehen und mit Härte zu unterbinden. Über die Folgen einer rücksichtslosen Machtdemonstration.

Es waren zehn prägende Tage, damals im Juli 2017, während derer sich Hamburg veränderte. Der Grund dafür war die Austragung des G20-Gipfels, zu dessen Schutz die Stadt de facto in einen Ausnahmezustand versetzt wurde, aber auch der vielfältige Protest gegen beides.

Den Auftakt hatte die Räumung eines Zeltplatzes für Protestierende im Elbpark Entenwerder durch die Polizei gebildet. Das Camp wurde aufgelöst, obwohl es gerichtlich erlaubt worden war. Die Hamburger Polizeiführung wollte auswärtige G20-Kritiker*innen durch die Verhinderung von Übernachtungsmöglichkeiten in Camps von der Anreise abschrecken. Sogar Grenzkontrollen wurden wieder kurzfristig von der Bundespolizei durchgeführt, um die Anreisenden aus dem Ausland zu kontrollieren und zu behindern.

Aber es gab eben auch Brandstiftungen in Geschäften, über denen sich Wohnungen befanden.

Die Proteste konnte all dies letztlich nicht unterbinden. In Hamburgs Innenstadt herrschte über eine Woche lang ein produktives, teilweise recht chaotisches Nebeneinander unterschiedlichster, sich teilweise widersprechender Aktionsformen. So fand am Sonntag vor dem Gipfel eine explizit gesetzestreue „Protestwelle“ professioneller NGOs statt, in Abgrenzung von der großen Bündnisdemonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20“ am zweiten Gipfeltag, die von Jan van Aken, seinerzeit Bundestagsabgeordneter der Partei „Die Linke“ angemeldet worden war.

Die Beteiligten an dieser Bündnisdemo hatten noch die brachiale Zerschlagung der autonomen „Welcome-to-Hell“-Demonstration durch die Polizei zwei Tage zuvor vor Augen, bei der es zahlreiche Schwerverletzte gab. Auch der Luxemburger Justin Turpel berichtete damals von den Gewalt-
exzessen: „Es ging nicht darum die Demo unter Kontrolle zu bekommen, einzelne Demonstranten oder Gruppen zu neutralisieren oder abzutrennen, es ging schlicht darum, die Demo zu zerschlagen“, so Turpel in seinem Online-Artikel für die woxx. Die bunte Abschlussdemonstration konnte trotz kleinerer Polizeiprovokationen dennoch stattfinden: Für einen Angriff waren wohl zu viele Menschen auf der Straße – 80.000 an der Zahl.

Die Stimmung in der westlichen Innenstadt rund um den Austragungsort des G20-Gipfels, inmitten alternativer Altbauviertel, war aufgeladen. In bis auf Polizeifahrzeuge ausnahmsweise nahezu autofreien, alternativ bis grün geprägten Stadtteilen standen überall Menschen auf den Straßen, schauten, unterhielten sich. Es gab viel Aufbegehren gegen die ständige Polizeipräsenz, gegen die auf Unterordnung, Kontrolle und Eskalation angelegte Strategie der Polizeiführung.

Es war ein warmer Sommer in Hamburg, überall war Leben auf den Straßen. Ein Alptraum für die Polizeistrategen, die den größten Polizeieinsatz der Hamburger Geschichte mit 31.000 zum Gipfelschutz beorderten Beamten leiteten. Der vom Staat unabhängige, mehr oder weniger dissidente linke Teil der städtischen Zivilgesellschaft sah sich herausgefordert durch einen als Herrschaftspropaganda wahrgenommenen Gipfel der mächtigsten 19 Staaten der Welt plus der EU.

Kritisiert wurde erstens, dass der G20-Gipfel im Gegensatz zur Uno keine demokratische Legitimation habe, über die Probleme der Welt zu verhandeln; zweitens wurde die Aufnahme von Geflüchteten in der Stadtgesellschaft ebenso propagiert wie „offene Grenzen“; drittens wurde diffus bis pointiert Unbehagen und Kritik am Kapitalismus und seinen Folgen formuliert, insbesondere an der Entfremdung und Vereinzelung. Aber es gab eben auch Brandstiftungen in Geschäften, über denen sich Wohnungen befanden, ein paar ausgebrannte Kleinwagen, und an einem Abend überdimensionierte brennende Barrikaden, deren Flammen auf Wohnhäuser überzugreifen drohten.


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