US-Präsident Donald Trump, der nicht darum verlegen war, Verschwörungserzählungen über die angebliche Verwicklung politischer Kontrahenten in den sexuellen Missbrauchsring von Jeffrey Epstein zu befeuern, gerät in dieser Angelegenheit nun selbst unter Druck.

Noch im Januar zu Scherzen aufgelegt: Obama und Trump bei der Beerdigung des ehemaligen Präsidenten Jimmy Carter. (FOTO: EPA/RICKY CARIOTI/POOL)
Von Beginn an basierte die politische Karriere Donald Trumps zu einem nicht unwesentlichen Teil auf der Verbreitung von Verschwörungsmythen. Zunächst beteiligte er sich an den rassistischen Spekulationen sogenannter „Birther“, die unter anderem behaupteten, der damalige Präsident Barack Obama sei nicht in den USA, sondern in Kenia geboren und hätte demnach nicht Präsident werden dürfen. Später verbreitete er allerlei Halb- und Viertelwahrheiten über Hillary Clintons E-Mail-Server und Hunter Bidens Laptop. Vor allem aber biederte er sich den Anhängern des antisemitisch gefärbten QAnon-Kults an. Dieser behauptet unter anderem, die Demokraten stünden im Zentrum einer satanistischen Verschwörung des sogenannten „Deep State“, der Pädophile schütze. Trump spielt dabei immer mal wieder die Rolle des Anführers im Kampf gegen dieses angebliche elitäre Machtkartell.
Vermeintlicher Kindesmissbrauch gehört seit Jahren zu den zentralen Themen der globalen extremen Rechten. Selbsternannte „Pedo Hunter“ organisieren sich im Netz und machen gezielt Jagd auf Homosexuelle, auch in Luxemburg (woxx1846), Vorlesestunden von Drag Queens werden zu Zielen von Protesten und Angriffen (woxx1744). In Deutschland behauptete der AfD-Politiker Thomas de Jesus Fernandes kürzlich im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, auf CSDs könnten „auch Pädophile ihren kranken Neigungen freien Lauf lassen“.
Doppelmoral
Geht es jedoch um Kindesmissbrauch und Sex mit Minderjährigen in den eigenen Reihen, wird es insbesondere in der US-amerikanischen Rechten oft sehr schnell sehr leise. Das gilt auch und vor allem für Trump. Als 2017 gegen Roy Moore, der damals für die Republikaner in Alabama für den Senat kandidierte, Vorwürfe sexuellen Missbrauchs gegen Minderjährige laut wurden, gab Trump nach anfänglicher Zurückhaltung dennoch eine offizielle Wahlempfehlung für ihn ab.
Als 2018 Ralph Shortey, der zwei Jahre zuvor Trumps Wahlkampagne in Oklahoma geleitet hatte, zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde, weil er mehrfach einen männlichen Minderjährigen für sexuelle Handlungen bezahlt hatte, schwieg Trump. Und 2024 nominierte er den damaligen Kongressabgeordneten Matt Gaetz, dem Sex mit einer Minderjährigen vorgeworfen wurde und gegen den das Ethikkomitee des Abgeordnetenhauses unter anderem wegen „Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“ 2021 Ermittlungen einleitete, für den Posten des Generalstaatsanwalts. Gaetz zog später seine Kandidatur von sich aus zurück.
Da überrascht es eigentlich nicht, dass Trump derzeit alle Hebel in Bewegung setzt, um die sogenannten Epstein-Akten unter Verschluss zu halten, schließlich pflegte er mit dem verurteilten und 2019 in Untersuchungshaft verstorbenen Sexualstraftäter Jeffrey Epstein eine jahrzehntelange Freundschaft. Doch der Fall Epstein ist seit Jahren gerade in rechten Milieus ein zentraler Bestandteil von Spekulationen über Pädophilie in Regierungskreisen, in denen der Investmentbanker gut vernetzt war. Trump selbst hatte diese Mutmaßungen befeuert, um insbesondere Bill Clinton zu diffamieren, der ebenfalls mit Epstein befreundet war.
Rechte Verschwörungsgläubige vermuten, dass sich in den unter Verschluss gehaltenen Dokumenten eine Kundenliste befindet, aus der hervorgeht, wem der verurteilte Sexualstraftäter Jeffrey Epstein sexuelle Kontakte mit Minderjährigen vermittelt hat. Seit Jahren fordern sie deren Herausgabe. Auch wenn nicht klar ist, ob eine solche Liste tatsächlich existiert, ist es doch sehr wahrscheinlich, dass es zahlreiche Dokumente gibt, die Personen aus Epsteins Umfeld belasten könnten – wenn nicht juristisch, dann doch zumindest moralisch.
Unter Verschluss
Die Frage, die nun quer durch alle politischen Lager diskutiert wird, lautet, warum Trump, der bereitwillig Akten zu den Morden an John F. Kennedy und Martin Luther King Jr. freigegeben hat, gerade diese Akten mit allen Mitteln unter Verschluss halten will. Es liegt nahe zu vermuten, dass er dabei vor allem in eigenem Interesse handelt. Es gibt zahlreiche Fotos, die seine über ein Jahrzehnt andauernde Freundschaft mit Epstein bezeugen, die 2004 an einem Streit über eine Luxusimmobilie zerbrach. Vergangenen Dienstag gab Trump vor Journalist*innen an, er habe sich vor vielen Jahren mit Epstein zerstritten, weil dieser Mitarbeiterinnen aus Trumps Strandklub Mar-a-Lago in Florida „gestohlen“ habe. Darunter auch die Schlüsselzeugin Virginia Giuffre, die im April mit 41 Suizid beging. Vor dem Bruch zwischen Trump und Epstein hatte sich dieser selbst als Trumps „engsten Freund“ bezeichnet, Trump wiederum nannte Epstein einen „terrific guy“. Der Journalist Michael Wolff behauptet, Epstein habe ihm erzählt, dass Trump an Bord seines Privatjets, bekannt als „Lolita Express“, erstmals Sex mit seiner späteren Ehefrau Melania gehabt habe.
Für den liberaleren Teil der US-Bevölkerung ist Trumps Verhalten in der Causa Epstein wenig überraschend. Schließlich ist sein eigenes – gelinde gesagt – problematisches Verhältnis zu Frauen gut dokumentiert. Mindestens 27 Frauen haben ihm im Lauf der Jahre sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen. Als der Radiomoderator Howard Stern ihn 2006 in einem Interview nach einer Altersgrenze für Frauen, mit denen er Sex haben würde, fragte, stammelte der damals 59jährige, er habe keine, aber es sollten nicht gerade Zwölfjährige sein.

(Foto: EPA/JUSTIN LANE)
Für die Rechten hingegen ergibt sich aus der Situation eine gewisse kognitive Dissonanz. Vielen fällt es sichtlich schwer, ihr Bild von Trump, den sie sich als mutigen Krieger gegen Deep State und Kindesmissbrauch imaginieren, damit in Einklang zu bringen, dass er Akten über einen Ring zur sexuellen Ausbeutung Minderjähriger unter Verschluss hält. Selten, wahrscheinlich nie in den vergangenen Jahren war sich die US-Bevölkerung derart einig wie nun in der Frage nach den Epstein-Akten: 86 Prozent der Harris-Wähler*innen und 83 Prozent der Trump-Wähler*innen gaben in einer Umfrage von Mitte Juli an, dass sie von der Regierung die Veröffentlichung der Dokumente forderten.
Um zu verhindern, dass das Parlament – auch mit den Stimmen von Republikanern – die Herausgabe der Dokumente beschließt, schickte der Sprecher des Repräsentantenhauses, der Republikaner Mike Johnson, die Abgeordneten in eine vorgezogene Sommerpause. Auch die Generalstaatsanwältin Pam Bondi, die dem Wall Street Journal zufolge im Mai Trump in einer Aktennotiz gewarnt hatte, sein Name stehe in den Epstein-Akten, und der FBI-Direktor Kash Patel – der 2023 noch vehement die Freigabe der Dokumente gefordert hatte – halten fest zu Trump und beschlossen gemeinsam, die Dokumente weiter unter Verschluss zu halten.
Der Rückhalt bröckelt
Doch es gibt Risse an der Maga-Front. Lauren Boebert und Marjorie Taylor Greene, zwei Abgeordnete der Republikaner, die in der Vergangenheit zu den lautesten Anhänger*innen des QAnon-Kults gehört hatten, forderten öffentlich die Herausgabe der Akten. Der aufgrund seiner Verkleidung während des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar 2021 als QAnon-Schamane bekannt gewordene Jacob Chansley schrieb auf X (ehemals Twitter) von Betrug und über Trump: „Fuck this stupid piece of shit“. Chansley gehört zu denjenigen Straftäter*innen, die Trump in einer seiner ersten Amtshandlungen nach seiner Wiederwahl begnadigt hatte.
Trump droht die Kontrolle über den bizarrsten, aber bis jetzt auch loyalsten Teil seiner Anhängerschaft zu entgleiten. Er reagiert darauf offensiv und verklagt nun sogar seinen langjährigen Weggefährten Rupert Murdoch, dessen Sender Fox News nicht unwesentlich zu seinem kometenhaften Aufstieg beigetragen hatte. Murdoch ist auch Eigentümer des Wall Street Journal, gegen das sich Trumps Klage auf zehn Milliarden US-Dollar Schadensersatz richtet. Die „Müllzeitung“, wie Trump sie nun nannte, hatte über einen Geburtstagsbrief Trumps an Epstein von 2003 geschrieben, der die Freundschaft der beiden als enger zeichnet, als ihm lieb sein kann. Die Grußbotschaft beinhaltete die Zeichnung einer nackten Frau und einen imaginären Dialog zwischen Trump und Epstein, in dem es andeutungsvoll um ihre Gemeinsamkeiten ging.
Trump scheint die Sache nun gehörig um die Ohren zu fliegen. Darauf reagiert er mit diversen Ablenkungsversuchen. Während seines Ausflugs auf einen Golfplatz in Schottland am vergangenen Wochenende setzte er Dutzende bizarre Posts auf seiner privaten Propagandaplattform Truth Social ab – unter anderem ein Foto von der Verfolgungsjagd auf O. J. Simpson, wobei dessen Kopf durch den Barack Obamas und die Köpfe seiner Verfolger durch grinsende Gesichter Trumps und seines Vizepräsidenten J. D. Vance ersetzt wurden.
Fast schon verzweifelt versuchen Trump und seine Anhänger, wie etwa Mark Levin auf Fox News, einen Skandal um Obama herbeizureden. So verbreitete Trump ein gefälschtes Video von einer angeblichen Festnahme Obamas und wirft diesem vor, 2016 versucht zu haben, die Wahl zu manipulieren – jene Wahl, die Trump bekanntlich gewonnen hat.
Langsam, aber sicher muss man sich selbst bei nüchterner Betrachtung die Frage stellen, was in den Epstein-Akten über Trump steht, wenn der offenbar befürchtet, dass ihre Veröffentlichung ihm mehr schaden kann als sein eigenes Verhalten in den vergangenen zwei Wochen.

