THEATER: Vor- und Gegenmacht

Der Berliner Sven Rücker hat gemeinsam mit der luxemburgischen Theatergruppe Independent Little Lies Schillers „Die Räuber“ neu adaptiert und in „Die Terroristen“ umbenannt. Im woxx-Gespräch bezieht er Stellung zu Terror, Theater und der Notwendigkeit, der medialen Bilderflut wieder Herr zu werden.

Ist kein Terrorist, beschäftigt sich aber gerne damit: Sven Rücker.

woxx: Wir wollen mit einem Rätsel beginnen: „Das Ende dieses Projekts zeigt, dass wir auf diesem Weg nicht durchkommen konnten. Aber es spricht nicht gegen die Notwendigkeit und Legitimation der Revolte.“ Von wem kann das Zitat stammen? Und: hat die Person Recht?

Sven Rücker: Ich würde auf Michel Foucault tippen, aber ich bin mir nicht sicher. Weil dieses Zitat voraussetzt, dass man das Spiel von Vormacht und Gegenmacht durchschaut. Und sich damit über den Fronten bewegt. Und meiner Meinung nach stimmt die Botschaft auch. Es geht um die Erkenntnis, dass es keine Vormacht ohne Gegenmacht geben kann und umgekehrt.

Das Zitat stammt aus der Auflösungserklärung der Roten-Armee-Fraktion.

Ja, das ist doch schön.

Ist Terror denn – im Sinne von Gegenmacht – legitim?

Die Frage der Legitimität stellt sich in diesem Kontext nicht, aber Terrorismus kann nie legitime Gewalt sein, sonst ist sie nicht terroristisch. Aber sie bezieht sich immer auf eine Vormacht. Terror ist immer eine interne Gewalt: Das sieht man auch im Unterschied zu Kombattanten in einem Krieg, wo die Gewalt sich immer an einer festgelegten Front abspielt. Während Terrorismus immer im Innenraum einer Vormacht konzipiert ist.

Das bezieht sich eher auf den linken Terror der Siebziger. Lässt sich diese Definition auch auf den fundamentalistisch-islamistischen Terror unserer Zeit übertragen?

Ich glaube es gehört grundsätzlich zum Terrorismus, dass er Gewalt als Mittel beinhaltet. Aber auch, dass er sich als Antwort auf eine Gewalt versteht, die von außen kommt. Als Gegengewalt eben.

Welche Gewalt haben denn die Attentäter des 11. September 2001 erlebt?

Die haben keine konkrete Gewalt erlebt, aber in ihrer Wahrnehmung haben sie die Gewalt einer globalen und ökonomischen Vormacht, die total ist, erlebt. Und deshalb musste die Antwort auch total sein.

Ist der 11. September nicht gescheitert, in dem Sinne, dass die angegriffene Vormacht die Bilder die das Attentat produziert hat, nun ausschlachtet?

An den Bildern des 11. September kann man sehr gut sehen, warum Terrorismus interne Gewalt ist. Die Bilder sind im Grunde die aus Hollywood-Katastrophen-Filmen, die Türme sind ja schon Tausende Male eingestürzt. Die Terroristen haben lediglich die von der Vormacht produzierten Bilder selbst verwendet. Sie haben sich in die Bilderproduktion eingeschlichen, und dort ihre Spur hinterlassen.

Aber saugt die Vormacht nicht jede Art von Revolte in sich hinein um sie sich zunutze zu machen? Man denke nur an den poppigen RAF-Kult in Deutschland.

Das ist die Logik der Verschwörungstheorie. Die beruht darauf, dass die Gewalt von Vormacht und Gegenmacht auch wechselseitig instrumentalisiert wird. Zum Beispiel sieht man das an den Theorien zum 11. September, die besagen, dass die Katastrophe lediglich eine Inszenierung der Vormacht war. Aber das ist auch nur ein Aspekt des Wechselspiels zwischen Gegen- und Vormacht. Was die Vormacht instrumentalisiert, um zum Beispiel Bürgerrechte abzubauen oder den Überwachungsstaat und seine Industrie durchzusetzen, das benutzt auch die Gegenmacht, um ihre Gewalt zu legitimieren. Wichtig ist, dass es auch da keine einseitige Erklärungen geben kann, sondern dass beide Seiten sich den Ball immer wieder zuspielen. Das heißt auch, dass keine von beiden Seiten einen moralischen Gewinn davontragen kann.

Inwiefern lassen sich solch komplexe Inhalte überhaupt in ein Jahrhunderte altes Drama integrieren?

Zunächst muss man erklären, warum wir überhaupt ein altes Stück genommen haben: Wenn man die Gegenwart verstehen will, muss man die Vergangenheit auch verstehen. Das ist wie bei einem Gesicht. In der Nahaufnahme sieht man nur einzelne Poren – um das Ganze zu sehen, braucht man Abstand. In dem Sinne ist es eigentlich ganz gut, wenn man ein altes Muster benutzt, um dann sozusagen aus der Distanz wieder in die Gegenwart hineinzuspringen. Die Beschreibungsebene und die formale Konstellation in „Die Terroristen“ ist eine der Gegenwart, und das erlaubt es uns auch, die Gegenwart als Ganzes zu beschreiben. Dass es Schiller ist, liegt daran, dass sein Stück diese Konstellation von Vormacht und Gegenmacht bereits enthält. Es gibt die Welt des Moor-Schlosses, das in „Die Terroristen“ zu einem Medienimperium wird und es gibt die Welt der Räuber. Diese sind am Anfang getrennt und vereinen sich erst gegen Ende des zweiten Teils wieder. Vom formalen Bau des Stückes aus kann man eigentlich sehr gut das Wechselspiel von Vor- und Gegenmacht integrieren. Ein weiterer Grund, warum wir uns für ein sehr altes Stück entschieden haben ist, um zu beweisen, dass sich gewisse Muster ständig wiederholen. Wir wollten ein Grundprinzip freilegen von gesellschaftlichen Konflikten mit wechselnden Akteuren, deren Konstellation sich aber nie bedeutend verändert hat. Deswegen fangen wir das Stück ja auch mit einer Szene aus Schillers Version an, um dann zu unserer eigenen Sprache überzugehen. Das, um zu verdeutlichen, dass Schillers Stück lediglich dieses Grundmuster ist, das wir auch verwenden, wiederholen und verändern.

Ist es nicht gefährlich, Räuber und Terroristen gleichzusetzen?

Auf jeden Fall. Aber die Grundaussage dessen, was Schiller als Räuber bezeichnet, ist übertragbar auf das, was der Terrorismus heute ist. Nämlich gleichzeitig Teil der Gesellschaft und auch nicht Teil der Gesellschaft zu sein. Weder ganz außen stehend, noch ganz innen. Das ist der Platz der Terroristen heute und auch der von Schillers Räubern.

In Schillers Original spielt die Liebe zwischen Karl und Amalia ja auch eine große Rolle. Wie wurde das umgesetzt?

Die Liebe taucht als Zitat auf. In dem Sinne, dass die emotionalen Szenen zwischen Karl und Amalia entweder bloße Erinnerungsprojektionen der einzelnen Figuren sind, oder in der direkten Konfrontation in der Sprache Schillers stattfinden. Am Ende geht es eigentlich nur darum, dass Emotionen Teil der Vermarktung und der Kommerzialisierung geworden sind. Am Ende des Stücks ersetzt die Amalia-Figur die von Vater Moor. Die neoliberale Ideologie hat die emotionale Bindung zwischen Karl und Amalia zu einer Marktstrategie gemacht.

Will das Stück für oder gegen den Terror Stellung beziehen?

Weder noch. Wichtig ist, dass die Bilderproduktion gezeigt wird und der Stil der Instrumentalisierung der Bilder erklärt wird. Die Zuschauer werden sowieso ihre Bilder im Kopf haben, ehe sie das Stück gesehen haben: Der eine denkt sich, es sei ein RAF-Stück, der andere vielleicht, dass wir hier mit Turbanen herumturnen und mit falschen Kalaschnikows fuchteln. Diese Bilder sollen erst mal zerstört werden und in einem zweiten Schritt soll gezeigt werden, dass die Bilder, die die Zuschauer selbst vom Terrorismus im Kopf haben, Teil dieser wechselseitigen diffusen Inszenierung wird, die verschiedene Mächte miteinander austragen. Wir wollen den Leuten nahe legen, die Deutungshoheit über die Bilder wieder zu erobern.


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