FRAUEN IN DER KUNST: Bedingter Subjektstatus

In den Zwanziger- und Dreißigerjahren gestalteten Künstlerinnen die ästhetische Avantgarde aktiv mit. Doch bis heute stehen sie im Schatten ihrer männlichen Kollegen. Die Düsseldorfer Kunstsammlung NRW rückt nun ihre Werke mit einem Ausstellungskatalog ins Rampenlicht.

Begründete den surrealistischen Film: Germaine Dulac.

Wenn man heute die europäischen Avantgardebewegungen der zwei Jahrzehnte zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg aus kunstgeschichtlicher Perspektive betrachtet, ist die Dominanz männlicher Künstler offensichtlich. Künstlerinnen tauchen fast kaum und nur am Rande des Surrealismus, Dadaismus und Konstruktivismus auf. Nicht selten werden sie dabei lediglich als Begleitpersonal der Männer oder als Epigoninnen identifiziert.

Umso erfreulicher ist es, dass die am 15. Januar diesen Jahres in Düsseldorf geendete Ausstellung „Die andere Seite des Mondes. Künstlerinnen der Avantgarde“ sich die Frage stellte, wie es dazu kommen könnte, dass die weibliche Moderne aus dem Kanon verschwand. Für alle, die die Schau nicht sehen konnten, lohnt sich der mit qualitativ hochwertigen Bildern versehene, fast 300 Seiten starke Katalog aus dem Dumont Verlag. Darin werden von verschiedenen AutorInnen acht Künstlerinnen vorgestellt.

Mit dabei sind bekannte Personen wie die Collagekünstlerin Hannah Höch (1889-1978), die die militarisierte Weimarer Gesellschaft anklagend sezierte, die Malerin und Tänzerin Sophie Täuber Arp (1889-1943) oder die Designerin Sonia Delaunay (1885-1979), aber auch weniger bekannte Künstlerinnen wie die Filmemacherin Germaine Dulac (1882-1942), die Fotografin Florence Henri( 1893-1982) oder die nur im Schatten ihres berühmten Mannes Picasso wahrgenommene surrealistische Fotografin Dora Maar (1907-1997). Auch die erst in den letzten beiden Jahrzehnten entdeckte Fotografin und Schriftstellerin Claude Cahun (1894-1954), die sich in ihren Selbstporträts als männlicher Dandy oder als kahlköpfiges, geschlechtsloses Wesen inszenierte, und die heute fast vergessene polnische Konstruktivistin Katarzyna Kobro (1898 -1951) entdeckt man hier.

Zieht man den Titel „Auf der anderen Seite des Mondes“ in Betracht, bekommt man den Eindruck, dass in essentialistischer Manier den Künstlerinnen ein Sonderstatus qua Geschlecht attestiert wird. Geht es hier, wie so oft in Ausstellungen, die ausschließlich das Schaffen von Künstlerinnen fokussieren, um die Präsentation einer spezifischen „Frauenkunst“, oder doch um die Geschichte der Avantgarde?

Die Intention von Museumsdirektorin Marion Ackermann und Kuratorin Susanne Meyer-Büser war wohl eher Letzteres, denn ihr Ziel ist es, die historischen Avantgardebewegungen zu „erweitern“ und sie um Facetten zu „bereichern“. Die beiden wissen sehr wohl um die geringen Erfolgsaussichten ihres Vorhabens. Ist eine bestimmte Phase der Kunstgeschichte einmal kanonisiert und damit scheinbar auf den Begriff gebracht, lässt sich der spezifische, etablierte Blick darauf nachträglich nur schwer korrigieren.

Wichtig war Organisatorinnen, die maßgebliche Rolle der Künstlerinnen für die Avantgarden zu unterstreichen und zu zeigen, dass sie nicht anders, sondern gleichrangig kreativ, professionell und innovativ wie ihre männlichen Kollegen waren. Statt sie als Mitläuferinnen oder dienende Musen anzusehen, wie die Kunstgeschichte (auch die feministische) es bis heute macht, seien sie als „Pionierinnen“, „Impulsgeber“ und „Initiatoren künstlerischer Prozesse“ zu betrachten, die „nachhaltigen Einfluss auf die Kunstbewegung“ ausübten.

Als beispielhaft und überzeugend wird Germaine Dulacs Film „La coquille et le clergyman“ (1927)angeführt. Diese Arbeit begründete den surrealistischen Film, und nicht, wie heute allgemein angenommen, Luis Buñuels „Chien andalou“ (1929). Auch auf Claude Cahun wird verwiesen, die als eine der ersten Künsterlnnen Identität zum Inhalt ihrer Kunst machte.

Dass Ackermann und Mayer-Büser die Künstlerinnen als Pionierinnen und Protagonistinnen verstehen ist ein Affront gegen den Blick der gängigen Kunstgeschichte, der sich mit dieser Sichtweise immer schwer getan hat. Die Designerin Delaunay etwa versteht man bis heute mit ihren Stoffentwürfen als Pionierin im Kunsthandwerk, aber nicht in der Kunst. Umso mehr ist die Aussage Büsers zu unterstützen, dass Frauen wie Täuber-Arp, die Taschen mit modernen, geometrischen Mustern in Knallfarben herstellten, oder Delaunay mit ihrer Verbindung von Mode und Malerei, die avantgardistische Aufhebung der Kunst in Lebenspraxis umsetzten. Das Titelbild des Katalogs, das die Collage „Siebenmeilenstiefel“ von Hannah Höch zeigt und für die Überwindung künstlerischer Grenzen steht, ist ein gelungener Ausdruck davon. Zwar verweist die Kuratorin darauf, dass einige Künstlerinnen, wie Dora Maar oder Sophie Täuber-Arp, zeitlebens und posthum im Schatten ihrer berühmten Ehemänner standen und auch Höch zu einigen wichtigen Schauen nicht zugelassen wurde. Doch in den Texten des Ausstellungsbandes erfährt man, dass einige der Frauen durch die Teilnahme an wichtigen Ausstellungen und Veröffentlichungen in das Kunstleben der Moderne integriert waren.

Auf der „Schattenseite des Mondes“ blieben die Frauen aus Büsers Perspektive nicht in erster Linie, weil sie von ihren männlichen zeitgenössischen Kollegen, sondern als Künstlerinnen aus der Geschichte und dem Kunstbetrieb ausgegrenzt wurden und werden. Museumsdirektorin Marion Ackermann macht daher mit ihrem Projekt auch auf die Erwerbs- und Sammlungsgeschichte des eigenen Düsseldorfer Museums aufmerksam. In dessen Bestand befinden sich nämlich keine Werke einer Künstlerin der Moderne.

Auch wenn nicht explizit von „weiblicher Ästhetik“ gesprochen wird, bietet der Katalog eine Auffassung an, wonach künstlerische Perspektiven und Sensibilitäten qua Geschlecht vermittelt sind.

Leider fällt mit der Präsentation möglichst vieler Künstlerinnen die intensive Betrachtung der einzelnen Werke in den Texten unter den Tisch, mit Ausnahme vielleicht des von Ralf Burmeister verfassten Porträts von Hannah Höch. Eine nachträgliche Integration der Künstlerinnen in die Geschichte der Avantgarde wird damit zusätzlich erschwert. Man vermisst zum Beispiel die Auseinandersetzung mit dem Film Germaine Dulacs, lediglich Bildausschnitte enthält der Katalog. Auch der Artikel über Florence Henri und Sophie Täuber-Arp fokussiert in erster Linie auf das Ausloten ihrer persönlichen Begegnungen, statt sich fundiert mit ihren Kunstwerken auseinanderzusetzen.

Die mangelnde Auseinandersetzung mit den Werken der Künstlerinnen ist nicht nur ein Indiz für die Ignoranz seitens der kunsthistorischen Forschung. Sie ist auch im Ausstellungskonzept fundiert, das den Fokus auf das „Talent zum Networking“ der Frauen legt. Büsers Anliegen ist es nicht, zu zeigen, wie gut die Kunst der in dem Band versammelten Künstlerinnen ist. Sie legt den Fokus darauf, die kommunikativen und künstlerischen Verbindungen der einzelnen Frauen herauszuarbeiten und das „Künstlerinnennetzwerk“ zu untersuchen.

Einige der in dem Band Genannten kannten sich persönlich und waren über die europäische Kunstszene miteinander verbunden. Überdies wird in den verschiedenen Texten des Bandes eine gegenseitige Beeinflussung und Inspiration durch „Ähnlichkeiten und Beziehungen“ in Motivik und Thema, Struktur und Farbe der Werke angenommen. Deswegen werden immer zwei Künstlerinnen kontrastierend oder ergänzend in den einzelnen Artikeln vorgestellt. Walburga Krupp verweist zum Beispiel auf die gemeinsame Kunstgewerbepraxis von Arp und Delaunay. Höch und Delaunay werden von Burmeister über ihr persönliches Bekanntsein und Maar und Cahun von Karoline Hille über ihre gemeinsame Verbindung von Politik und Kunst identifiziert. Überzeugend sind die Angaben zu ästhetischen Gemeinsamkeiten nicht, Indizien über einen künstlerischen Austausch fehlen ebenfalls. Auch wenn hier nicht explizit von einer „weiblichen Ästhetik“ gesprochen wird, drängt sich eine Sichtweise auf, wonach (künstlerische) Perspektiven und Sensibilitäten qua Geschlecht zum Ausdruck kommen, eine Behauptung, die jedoch nicht nachgewiesen wird.

Die kontroversen Aspekte und die Komplexität der Künstlerinnen geraten nicht nur durch das Fehlen der intensiven Werkbetrachtung aus dem Blickfeld. Auch die Analyse der Pers-pektiven einiger Künstlerinnen auf die Geschlechterkonstruktionen der Avantgarde bleibt aus. So bleibt etwa Hannah Höchs Kritik an der Kontinuität patriarchaler Denk- und Verhaltensmuster in avantgardistischen Zusammenhängen wie Dada unbenannt, die zum Beispiel in dem Bild „Der Maler“ von 1919 zum Ausdruck kommt. Höch kritisiert in dieser Arbeit die Anmaßung ihrer männlichen Kollegen, die weibliche Sexualität reglementieren zu dürfen. Und auch Claude Cahun setzte mit ihrer provokativen Verwandlungskunst die herrschenden Genderhierarchien des Surrealismus außer Kraft.

Insgesamt verfehlt der Katalog den proklamierten Anspruch, die Künstlerinnen gleichwertig in die Avantgarde einzuordnen, weil die ?vres nicht genügend untersucht und gewürdigt werden. Auch durch die fehlende Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Radikalität in den einzelnen Werken verliert der Katalog an Spannung. Dazu gehört auch die beliebig erscheinende Auswahl der Fotos von Claude Cahun, die nicht deren provokanteste Porträts zeigt. Eine lohnende Rarität ist hingegen der von ihr verfasste und dem Buch beigelegte Text „Achten Sie auf die häuslichen Gegenstände“, nicht allein, weil keines von Cahuns Büchern bislang ins Deutsche übersetzt wurde. Vielleicht sollte der Katalog als Zwischenbilanz betrachtet werden. So gesehen, böte er Anregungen für eine sorgfältigere Beschäftigung mit den Künstlerinnen und ihren Werken, nicht nur durch ein Fachpublikum, sondern auch durch die Allgemeinheit.

Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Susanne Meyer-Büser (Hg.) – Die andere Seite des Mondes. Künstlerinnen der Avantgarde. Dumont Verlag, 288 Seiten.


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