FEMINISTISCHES BUCH?: „Du bist schwarz, Baby!“

Chimamanda Ngozi Adichies Roman „Americanah“ ist ein launige Liebesgeschichte – und zugleich eine Sozialsatire über Rassismus in den USA.

In Nigeria gilt Ifemelu als „Amerikanah“ – nur weil sie, die Protagonistin aus Chimamanda Ngozi Adichies drittem Roman, zum Studieren in die Vereinigten Staaten geht. Erst in den USA wird sie durch die Blicke der Anderen zu einer „Schwarzen“.

Ngozi Adichies dritter Roman trägt deutlich autobiografische Züge. Die 1977 geborene Autorin, deren Muttersprache Igbo ist, kommt allerdings nicht aus bitterarmen Verhältnissen, sondern aus einer Akademikerfamilie, aus der nigerianischen Mittelschicht.

Nach Schulabschluss und anfänglichem Medizin- und Pharmaziestudium geht sie mit 19 Jahren in die USA. 2001 schliesst sie dort ein Studium der Kommunikations- und Politikwissenschaften ab. Von 2005 bis 2006 studiert sie erneut, dieses Mal an der Elite-Uni Princeton und ausgestattet mit einem Stipendium. Im Jahr 2008 erlangt sie an der Yale University den Master-Abschluss in Afrikanistik. 2012 veröffentlicht sie unter dem Titel: „We should all be Feminists“ ihre Überlegungen zu Feminismus. In dem Sammelband an Aufsätzen bezeichnet sie sich nicht ohne Seitenhiebe auf landläufige feministische Ansätze als „glückliche schwarze Feministin“.

Feminismus will Adichie nicht losgelöst vom jeweiligen Kulturkreis begriffen wissen. Ihr Roman „Americanah“ ist heute ein Bestseller, der mit Brad Pitt verfilmt wird, und Adichie eine gefeierte Autorin.

Dabei hatte sie ihre Karriere gar nicht beabsichtigt. Anfangs fiel es ihr schwer, in den USA Fuß zu fassen, die Jobsuche glich einer Odyssee und die ersten Monate stand sie regelrecht unter Kultur-Schock. Als sie mit 19 Jahren dort ankam, klopften ihr andere AfroamerikanerInnen mitfühlend auf die Schulter und nannten sie „Schwester“. – Eine Geste der Solidarität, weiß die Autorin heute. Mit der Kategorie „Rasse“ konnte sie wie auch ihre Romanfigur Ifemelu anfangs gar nichts anfangen. Ihr „Moment in die Initiation der ehemaligen Neger“, wie es ihre Protagonistin Ifemelu in ihrem Blog einige Jahre später provokativ festhalten sollte, fand in einem Collegekurs statt, als sie aufgefordert wurde, die „schwarze Perspektive“ zu erläutern und keine Ahnung hatte, was damit gemeint war.

Jahre später wird sie, um viele Erfahrungen reicher, den verklausulierten Rassismus der US-Amerikaner, den sie am eigenen Leibe zu spüren bekam und die gesellschaftlichen Codes, die in den USA für „Schwarze“ gelten, verinnerlicht haben. Unabhängig, ob du dich bisher schwarz fühltest oder nicht, hier bist du es, schreibt die Protagonistin Ifemelu unter dem Titel „An meine nicht-amerikanischen schwarzen Mitbürger: In Amerika bist du schwarz, Baby“ unverblümt in ihrem Blog, der sich streckenweise wie ein Leitfaden für gerade in die USA eingereiste Afrikaner liest: „Und schwarz zu werden, heißt Folgendes: Du musst gekränkt sein, wenn Worte wie „Wassermelone“ oder „Teerbaby“ in Witzen fallen, auch wenn du nicht weißt, worum zum Teufel es geht (…)“

Festzustellen, dass ihre Hautfarbe in den USA – trotz oder gerade wegen aller politischen Korrektheit gegenüber Minderheiten – mit Misserfolg und Kriminalität verbunden ist, war für Ifemelu eine bittere Pille. Und so lesen sich ihre Beschreibungen wie ein Kanon der Nuancen des US-amerikanischen Rassismus gegenüber Afroamerikanern. Von subtilen Diskriminierungen im Alltag über gedankenlose Beleidigungen bis hin zu offenen rassistischen Anfeindungen sammelt Ifemelu sorgsam Eindrücke auf ihrem Blog und liefert so ein unbequemes Spiegelbild der liberalen, heuchlerisch toleranten US-amerikanischen Gesellschaft.

Spiegelbild der liberalen, heuchlerisch toleranten US-amerikanischen Gesellschaft.

„Bei Rasse geht es nicht um Biologie, sondern um Soziologie. […] Rasse ist wichtig, weil es Rassismus gibt.“ schreibt sie, die sich als „gingerbread“ sieht, in ihrem Blog. „In Amerika entscheidest nicht du, welche Rasse du bist. Es wird für dich entschieden“, stellt sie klar. Im „Stammesdenken“ der Amerikaner spiele Rasse die unangenehmste Rolle. „Wenn ihr euch mit einem Amerikaner unterhaltet, und ihr wollt über etwas diskutieren, was mit Rasse zu tun hat und was ihr interessant findet, und der Amerikaner sagt: „Oh, es ist simplistisch, es auf die Rasse zu schieben, der Rassismus ist so komplex“, dann bedeutet das, dass sie euch jetzt schon den Mund verbieten wollen. Denn natürlich ist Rassimus komplex (…).“ Viele Abolitionisten hätten zwar die Sklaven befreien wollen, aber bestimmt nicht gewollt, dass Schwarze – wenn nicht als Hausangestellte – in ihrer Nähe lebten.

Aus einer weiblichen Perspektive beschreibt sie aber auch den Rassismus weißer liberaler AmerikanerInnen, der ihr oft genug entgegenschlug, wenn sie als schwarze Frau sofort „wunderbar“ oder „unglaublich“ gefunden wurde und sie ihre vermeintliche ‚Exotik` meinten. Nicht ohne Ironie empfiehlt Ifemelu in ihrem Blog daher, im Zusammenhang mit schwarzen Frauen stets das Wort „stark“ zu benutzen. „Denn von schwarzen Frauen in Amerika wird erwartet, dass sie stark sind. Wenn du eine Frau bist, dann sag bitte nicht einfach, was du denkst, wie du es aus deinem Land gewohnt bist. Denn in Amerika gelten willensstarke Frauen als furchterregend.“

Ihr Haar hält als Metapher her, wird immer wieder zur Chiffre über die sie ihr „Schwarz-sein“ und die Wahrnehmung anderer erklärt. Nicht verwunderlich also, dass sie viele Szenen in einen Frisörsalon verlagert: ein Mikrokosmos afrikanischer Frauen. Natürliches, krauses Haar, als Afro getragen, gilt ihrer Auffassung nach als Zeichen für „wild“ und werde mit „mangelnder Bildung“ assoziiert, chemisch geglättetes Haar hingegen als Zeichen von Pflege und gar als intelektuell.

Adichies Blick auf die amerikanische Gesellschaft ist erfrischend frech, doch nicht frei von Naivität. Afrikanern empfiehlt sie: „Wenn von einem Verbrechen berichtet wird, bete, dass es kein Schwarzer begangen hat, und wenn es doch von einem Schwarzen begangen wurde, halte dich wochenlang vom Schauplatz des Verbrechens fern, oder du wirst womöglich angehalten, weil du dem Täterprofil entsprichst (…)“ Adichie entlarvt die subtilen Mechanismen hinter der plakativ zur Schau gestellten Toleranz. Auf diese Weise wird klar, dass – trotz aller Anti-Diskriminierungsmaßnahmen – der Rassismus gegenüber „Schwarzen“ sich durch alle Institutionen zieht.

Witzige Anekdoten, schnoddrige Sprache

So bitter das Thema auch ist, Adichie vermag es, die Anekdoten witzig und in einer teils schnoddrigen Sprache zu erzählen. So beschreibt sie, wie Ifemelu sich im ersten Semester an der Uni einschreibt und die zuständige Sachbearbeiterin wie zu einem Kleinkind mit ihr spricht: Erst denkt Ifemelu, dass die zuständige Sachbearbeiterin einen Sprachfehler oder eine Krankheit hat, später erst begreift sie, dass dies eine Reaktion auf Ifemelus Akzent war und kommt sich für einen Augenblick vor „wie ein kleines Kind, das kaum laufen konnte und sabberte“.

Genial durchleuchtet Adichie die semantischen Floskeln, beschreibt ihre Beobachtung, wonach die Amerikaner nie zugeben, dass sie etwas nicht wissen, sondern stattdessen immer das formelsichere „Ich bin nicht sicher“ wählen. Klare Ansagen und direkte Anweisungen würden grundsätzlich vermieden. „Wenn man stolperte und stürzte, wenn man erstickte, wenn einem irgendein Unglück wiederfuhr, sagten sie nicht: ‚Das tut mir leid‘, sondern: ‚Bist du okay?‘, obwohl offensichtlich war, dass man nicht okay war.

Schade, doch nur verständlich, dass die Konsequenz, die ihre Romanfigur Ifemelu aus dem kulturellen Befremden zieht, ein unbedingter Integrationswille ist. So lernt sie den amerikanischen Akzent, verinnerlicht Redeweisen und dürstet regelrecht danach, alles an Amerika zu verstehen, in eine „neue verständige Haut zu schlüpfen: eine Mannschaft beim Super Bowl zu unterstützen (…) und „Ich habe einen Deal gelandet“ zu sagen, ohne sich dabei albern vorzukommen.

Aus ihrer erfuhrchtsvollen „Hass“-Liebe für das liberale Amerika macht auch die Autorin keinen Hehl. Und vielleicht ist es gerade diese Schwärmerei ihrer Protagonistin, die die Leserin davon abhält, sich mit der Hauptfigur zu identifizieren. Denn Amerika ist für Ifemelu – trotz des für sie oft unerträglichen Rassismus – dennoch ein Land, in dem alles möglich ist. Besonders wird dies an ihrer grenzenlosen Bewunderung für Barack Obama deutlich, verkörpert er doch für sie einen „schwarzen Mann“, der „so wie er aussieht, vor fünfzig Jahren ganz hinten im Bus hätte sitzen müssen.“

Und so möchte man aufatmen, als Ifemelu den sorgsam erlernten amerikanischen Akzent irgendwann selbstbewusst ablegt, um „ihr Englisch“ zu sprechen und schließlich zurück nach Nigeria geht, um dort zu leben und ihre Jugendliebe wiederzutreffen. Nicht zuletzt dürfte der Erfolg von „Americanah“ auch damit zusammenhängen, dass der Roman vor allem eine Lovestory ist. Die Liebe zwischen Ifelemu und Obinze ist gewissermaßen die Klammer, die den 604-Seiten umfassenden Schinken, zusammenhält. Dabei hat Obinze weit weniger Glück, als Ifemelu. Er schlägt sich mit mies bezahlten Jobs und ohne Papiere in England durch und wird schließlich abgeschoben, nachdem er versucht hat, eine Scheinehe einzugehen.

Rund dreizehn Jahre nach ihrer Trennung treffen die beiden in Lagos wieder aufeinander, wo Obinze mittlerweile ins korrupte Geschäft der Immobilienspekulation eingestiegen ist und ein ödes Dasein in der nigerianischen Oberschicht führt.

Sozialsatire und luftige Liebesgeschichte

Eindrucksvoll sind Adichies Beschreibungen der nigerianischen High-Society, wo dicke Autos, Prunk und ein auf Statussymbole fokussiertes Gehabe verblüffende Ähnlichkeit mit den Gepflogenheiten dieser sozialen Schicht in armen Ländern Lateinamerikas hat. Nach seinem Scheitern in England lässt sich Obinze auf Immobilienspekulationen ein und fungiert als Strohmann für einen „Big Boss“. Die Gespräche zwischen Ifemelu und Obinze geben Aufschluss darüber, für welche Werte die Welt der Neureichen Nigerias steht.

„Americanah“, das im englischen Original eine beeindruckendere sprachliche Wirkung entfaltet, ist Sozial-Satire und luftige Liebesgeschichte in einem. Ging es in ihren ersten beiden Büchern noch wesentlich stärker um die Realität Nigerias (um den Biafra-Krieg), so steht in Adichies drittem Roman die Selbst- und Fremdwahrnehmung einer Afrikanerin in den USA im Mittelpunkt. Wirklich feministisch ist der süffige Schmöker freilich nur, wenn man den Begriff wohlwollend weit auslegt – in dem Sinne, dass eine nicht aus ärmsten Verhältnissen kommende Frau selbstbestimmt ihren Weg geht. Denn allen Anfeindungen und guten Ratschlägen zum Trotz agiert Ifemelu nicht fremdbestimmt. In Zeiten von Boko Haram wahrlich keine Selbstverständlichkeit.

Chimamanda Ngozi Adichie: „Americanah“, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014, gebunden, 605 Seiten, 24,99 Euro.


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