Weder rechts noch links?

Nach der linken Regierungsüber-
nahme in Griechenland schauen viele gespannt auf Spanien, wo die nächste Partei antritt, um der Krisenpolitik der Troika ein Ende zu setzen.

Institutionalisierter Protest: Pablo Iglesias von der spanischen Podemos und sein griechischer Mitstreiter Alexis Tsipras auf einer Wahlkampfveranstaltung
in Athen.

Nach protestreichen Jahren, mit Massendemonstrationen und Platzbesetzungen, formiert sich in Spanien nun auch auf parlamentarischer Ebene Widerstand gegen die autoritäre Krisen- und Armutspolitik der Troika. Podemos („Wir können“) heißt die junge Links- oder besser Protestpartei, die seit ihrer Gründung vor gerade mal einem Jahr enormen Zuwachs bekommen hat und die politische Landschaft Spaniens ordentlich aufwirbelt. Bei den Europawahlen im vergangenen Jahr erreichte sie auf Anhieb fast acht Prozent der Stimmen und damit fünf Sitze im Europaparlament.

Nun stand die Partei auch das erste Mal bei innerspanischen Wahlen auf dem Wahlzettel. In Andalusien, einer der ärmsten Regionen des Landes, erreichte sie vor zwei Wochen knapp 15 Prozent der Stimmen und wurde damit zur drittstärksten Kraft im Regionalparlament. Zwar blieb Podemos damit hinter manchen Erwartungen zurück, hat aber zugleich gezeigt, dass sie eine ernstzunehmende politische Alternative darstellt. Und das Beispiel Griechenland zeigt, dass eine linke Regierungsübernahme durchaus möglich ist.

Nach dem Wahlsieg des griechischen Linksbündnisses Syriza im Januar war vielerorts bereits die Rede von einem „Linksruck“ in Europa. Der Wahlerfolg gab auch der neuen spanischen Linkspartei weiteren Auftrieb, die kurz nach der Wahl in Griechenland über hunderttausend Menschen auf dem Puerta de Sol in Madrid versammelte.

„Sí, se puede!“ riefen die Menschen in Anlehnung an Obamas „Yes, we can!“ Inmitten der Massen wehten die Fahnen des republikanischen Spanien sowie des griechischen Hoffnungsgebers. „Der Countdown für Rajoy hat begonnen“, erklärte der Vorsitzende von Podemos, Pablo Iglesias, selbstbewusst an den spanischen Staatschef Mariano Rajoy von der rechtskonservativen Volkspartei (PP) gerichtet.

Die Kampfansage könnte wahr werden. In manchen Umfragen liegt Podemos bisweilen sogar vor den beiden etablierten Parteien, der sozialdemokratischen PSOE sowie der regierenden PP, die sich seit Ende der Diktatur 1978 an der Macht abgewechselt haben. Unabhängig davon, wie viele Stimmen Podemos bei den Parlamentswahlen im November tatsächlich bekommen wird, hat die Partei damit bereits die vorherrschende Zwei-Parteien-Landschaft aufgebrochen und sich als dritte politische Kraft etabliert, wie auch die Wahl in Andalusien gezeigt hat.

Nicht zu Unrecht ist in den spanischen Medien seit dem Aufkommen von Podemos von einem „politischen Erdbeben“ die Rede. In Podemos hat die Unzufriedenheit der „Indignados“, der „Empörten“, nun einen neuen Ausdruck gefunden. Sie ist für sie, ebenso wie für viele Arbeitslose, enttäuschte Linke und aktivistische Studierende, zur neuen politischen Heimat geworden, nachdem die Massenproteste und Dauerprotestcamps, die 2011 ganz Spanien in Atem gehalten hatten, in lokalen Initiativen, Kampagnen gegen Zwangsräumungen und Teilbewegungen aufgegangen sind.

Wie bereits in der Protestbewegung geht es auch bei Podemos nicht vorrangig um Inhalte, sondern vor allem darum, wie Politik gemacht wird. Basisdemokratie ist das Schlagwort. Podemos ist „ein Werkzeug der Bürgerbeteiligung“, eine „Methode“, wie es in der Selbstdarstellung heißt. Die Partei arbeitet intensiv mit den so genannten sozialen Medien und versucht neue Entscheidungsstrukturen zu schaffen, die der Bezeichnung demokratisch wieder gerecht werden sollen. Zu den Versammlungen der „circulos“, der lokalen Ableger der Partei, von denen es bereits über tausend im ganzen Land gibt, kommen hunderte Menschen und diskutieren. Jeder und jede hat das Gefühl, dass die eigene Stimme wirklich etwas zählt. Dieses neodemokratische „networking“ ist einer der Gründe für den enormen Erfolg der neuen Formation, auf Facebook hat die Partei fast eine Million „friends“.

Ein weiterer Grund für den Erfolg ist die Person Pablo Iglesias. Der 36-jährige Politologe und Fernsehmoderator wird auf den Kundgebungen als Held gefeiert und gilt als der „lider“ der neuen Linkspartei. Dabei ist es weniger sein Charisma, als vielmehr seine zur Schau getragene Normalität, die in Verbindung mit seinen rhetorischen Fähigkeiten die Leute in seinen Bann zieht. Und dies keineswegs nur aus Kreisen junger Aktivisten. Studien zeigen, dass selbst fast neun Prozent derjenigen, die noch vier Jahre zuvor der rechtskonservativen PP ihre Stimme gegeben hatten, nun für Podemos votieren würden.

Mit Podemos verbindet sich für viele die Hoffnung, endlich real Einfluss nehmen zu können.

Dass Podemos aus allen Spektren Unterstützung erfährt, gehört zur Strategie der Partei, die sich um keinen Preis politisch einordnen lassen will. Obwohl sie klar aus dem Umfeld linker Gruppen und Parteien heraus entstanden ist, betont die Partei unermüdlich, weder rechts noch links sein zu wollen. Dies entspricht dem vermeintlich unpolitischen Selbstbild, das in den Massenprotesten vorherrschend war. Die Hauptforderungen der Partei sind dementsprechend vage: ein Ende der Sparpolitik, der Wiederaufbau des Sozialstaates und die Schaffung wirklich demokratischer Partizipation. Ein bedingungsloses Grundeinkommen soll eingeführt werden, wichtige Sektoren der Wirtschaft und des Staates (Telekommunikation, Energie, Nahverkehr, Nahrung, Bildungs- und Gesundheitswesen) sollen unter öffentliche Kontrolle gestellt werden.

Die Ablehnung der Selbstbezeichnung als Linkspartei unterscheidet Podemos von ihrer griechischen Schwesterpartei Syriza, die aus einer klaren linksradikalen Tradition kommt. Trotzdem sieht man sich als Verbündete, bei der zentralen Wahlkampfveranstaltung von Syriza vor der Wahl in Athen stand Iglesias, die geballte Faust in die Höhe gestreckt, mit auf der Bühne und rief „Syriza, Podemos, wir werden siegen!“

Die durch Podemos in Bedrängnis gebrachten Parteien reagieren auf unterschiedliche Weise. Die PSOE spricht plötzlich selbst wieder vom Sozialismus und fordert, man sollte sich auf die Tradition als Arbeiterpartei besinnen. Die Konservativen der Volkspartei hingegen versuchen erwartungsgemäß die linke Konkurrenz zu diskreditieren. Sie seien „Radikale“ und „Linksextremisten“, die viel reden, aber von Politik keine Ahnung hätten. Aus dem Ausland bezahlt, verfolgten sie das Ziel, aus Spanien ein zweites Venezuela zu machen. Eine Gefahr für die Demokratie und die politische Stabilität des Landes, so der Tenor in konservativen Kreisen.

Mit politischer Stabilität ist gemeint, dass alles so wie gehabt weitergeht. Denn es ist vor allem die Angst vor dem Verlust ihrer Privilegien, die die Konservativen umtreibt. Seit Beginn der Krise jagt ein Korruptionsskandal den nächsten, bis in die höchsten Etagen der regierenden PP werden Millionen an Bestechungsgeldern hin- und hergeschoben und Schwarzgeldkonten geführt, wie der Nationale Gerichtshof gerade erst im März zum wiederholten Male festgestellt hat. Die Elite hat sich gemütlich eingerichtet und verwaltet in oligarchischer Manier das Land, dessen Bevölkerung trotz des zaghaften und lobgepriesenen Wirtschaftswachstums nicht aus ihrer Armut herauskommt. Die Warnungen der Rechten vor einer linken Diktatur, die nach einem Wahlerfolg von Podemos die Folge wäre, wirken angesichts des autoritären Führungsstils der Volkspartei und zunehmender Repression geradezu absurd. Ein jüngst erlassenes Gesetz zur öffentlichen Sicherheit wurde im Januar sogar zum Thema im UN-Menschenrechtsrat, da es das Demonstrationsrecht massiv einschränkt.

Podemos ist ein Beweis des Scheiterns der traditionellen parlamentarischen und gewerkschaftlichen Linken angesichts der tiefgreifenden sozialen wie politischen Krise, die mittlerweile ins achte Jahr geht. Über eine halbe Million Wohnungen wurden seit Beginn der Krise zwangsgeräumt, die Arbeitslosigkeit liegt weiterhin bei 25 Prozent und über 10 Millionen Spanier leben an oder unter der Armutsgrenze. Die Linke hat es weder geschafft, dauerhaft Widerstand zu organisieren noch den Betroffenen Alternativen aufzuzeigen. Stattdessen wird sie selber dem alten politischen System zugerechnet, das kaum noch Vertrauen in der Bevölkerung genießt.

Umfragen zufolge würde das Linksbündnis Izquierda Unida (Vereinigte Linke – IU) – derzeit noch mit elf Sitzen im spanischen Parlament vertreten – momentan etwa ein Drittel ihrer Wählerschaft an Podemos verlieren. Einen Vorgeschmack der drohenden Schlappe gab die Wahl in Andalusien: dort verlor die IU sieben ihrer zwölf Sitze.

Bisweilen bringt dies Podemos den Vorwurf der Spaltung ein. Und es gibt weitere Kritik von links. Vor allem die Institutionalisierung der Proteste stößt vielen in der außerparlamentarischen Linken auf. Schließlich hatte die Ablehnung des politischen Systems und der parlamentarischen Repräsentation Bewegungen wie „15-M“ und „Real Democracia Ya!“ ausgemacht.

Tatsächlich hat sich die Einstellung von Podemos zum parlamentarischen System in kurzer Zeit stark gewandelt. Wurde die offizielle Eintragung als Partei im vergangenen Jahr den Anhängern noch wortreich erklärt und entschuldigt, sieht sich Podemos mittlerweile offenbar nicht mehr vorrangig als parlamentarischer Arm der Protestbewegung, sondern vielmehr als ihr Ersatz. „Die Wahlkämpfe stellen heute das Zentrum der politischen Konfrontation dar“, kann man im Programm der Partei lesen. Das klingt nicht sonderlich revolutionär.

Der Erfolg von Podemos ist auch ein Ausdruck davon, dass die Menschen nach Jahren des Protestes auf der Suche nach neuen Wegen sind. Die Massenproteste führten zu vielen neuen Initiativen und solidarischen Netzwerken, ein politisches Selbstbewusstsein entstand. Damit einher ging eine neue politische Kultur, die über den Urnengang hinausgeht.

An der desaströsen Krisenpolitik jedoch, dem Abbau des Sozialstaates und der Arbeitslosigkeit hat dies nichts ändern können. Noch immer ist Spanien das Land mit der größten sozialen Ungleichheit in der Europäischen Union. Mit Podemos verbindet sich für viele die Hoffnung, endlich real Einfluss nehmen zu können und eine alternative Politik zu etablieren, die sie aus der Misere führt. Die Situation in Griechenland, wo sich die Linksregierung einem enormen politischen und wirtschaftlichen Druck von außen ausgesetzt sieht und mit eingeschränkten Handlungsspielräumen umgehen muss, lässt ahnen, dass auch dies kein einfacher Weg wird.

Thorsten Mense ist freier Journalist und Soziologe. Für die woxx berichtet er vor allem aus Spanien und Lateinamerika.


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