Landtagswahlen in Bayern
: Szenen eines Wahlkampfs

Am kommenden Sonntag wird nicht nur in Luxemburg, sondern auch im Bundesland Bayern gewählt. 9,5 Millionen Wahlberechtigte bestimmen dann die 180 Landtags-
abgeordneten. Mehr als sonst überstrahlte der Wahlkampf und der damit verbundene Dauerstreit zwischen CSU und CDU die Bundespolitik.

Der Ministerpräsident Bayerns Markus Söder und Bundesinnen-
minister Horst Seehofer 
bei einem gemeinsamen Wahlkampfauftritt. (Foto: EPA-EFE/Lukas Barth-Tuttas)

Zurzeit sind im Bayerischen Landtag vier Parteien vertreten: die CSU, die SPD, die Freien Wähler sowie Bündnis 90/die Grünen. Insgesamt treten für diese Wahl 18 Parteien an, unter anderem die Piraten, die ÖDP, die AfD, die Linke und die FDP. Rezenten Umfragen zufolge würde die schwächelnde CSU fünf Prozentpunkte verlieren, während die Grünen mit 16-18 Prozent zweitstärkste Kraft würden. Besonders hart trifft es die ehemalige Volkspartei SPD, die sich mit der AfD und den Freien Wählern in einem engen Kopf-an-Kopf-Rennen um den dritten Platz streiten muss.

Trotz des Ministerpräsidentenwechsels ist in Bayern keine Ruhe in die Münchner Staatskanzlei eingekehrt. Auf den umstrittenen Horst Seehofer folgte der ebenfalls umstrittene Markus Söder. Die „Mia san mia“-Rhetorik des neuen bayerischen Sonnenkönigs erinnert fatal an die „America First“-Parolen eines Donald Trump. Zwar hat Söder eine mögliche Regierungskoalition mit der AfD kategorisch ausgeschlossen, aber ein Blick über die bayerischen Grenzen hinweg in österreichische Gefilde zeigt, dass eine Koalition mit Rechtspopulisten längst kein Tabuthema mehr ist.

Die Situation in Bayern

Wenn die AfD einen eklatanten Wahlsieg einfährt, steht Söder unter doppeltem Zugzwang. Die politische Integrität seiner Person und seiner Partei würde mit einer möglichen AfD-Koalition massiven Schaden erleiden, doch echte politische Ausweichmöglichkeiten und Alternativen sind rar gesät. Ein Regierungsbündnis mit den Grünen hat die CSU ebenfalls so gut wie ausgeschlossen. Gegebenenfalls kann Söder nur auf ein starkes Wahlresultat der SPD hoffen, um dann auf eine Große Koalition in Bayern zu setzen. Doch die Umfragen legen dies nicht nahe. Dann müsste der bayerische Ministerpräsident womöglich eine Dreierkoalition schmieden um zu verhindern, dass die AfD Regierungsverantwortung übernimmt.

Die anhaltende Schwäche der CSU hat sehr viel mit der Person Söders zu tun, auch wenn reine Monokausalität in politischen Willensbildungsprozessen meistens abwegig ist. Markus Söder, der als Jugendlicher ein überlebensgroßes Poster des früheren bayrischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß über seinem Bett in der elterlichen Wohnung aufhängte, trägt seine konservative Gesinnung wie eine Monstranz vor sich her. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit als bayerischer Ministerpräsident geriet Söder aufgrund seines Kreuz-Erlasses massiv in die Kritik. So soll seit dem 1. Juni 2018 im Eingangsbereich jeder bayerischen Behörde ein christliches Kreuz hängen. Kirchenkreise wie Atheisten-Verbände protestierten gleichermaßen gegen diese Maßnahme Zudem bereitet der Bund für Geistesfreiheit eine Verfassungsbeschwerde vor. Der Ministerpräsident aus Bayern darf sich wohl auf einen Gang durch die Gerichte gefasst machen.

Ebenfalls schwer unter Beschuss steht das Polizeiaufgabengesetz der bayerischen Landesregierung. Hier werden die Eingriffsschwellen einer Vielzahl von polizeilichen Befugnissen deutlich abgesenkt (Online-Untersuchungen sollen bereits bei einer drohenden anstatt erst bei einer konkreten Gefahr angewendet werden können). Gegen das neue sicherheitspolitische Gesetz des Freistaates gingen in München zehntausende Demonstranten auf die Straße.

Ein weiterer, parteiübergreifender Kritikpunkt ist der Verkauf von 33.000 Sozialwohnungen der Gemeinnützigen Bayerischen Wohnungsgesellschaft (GBW) im Jahre 2013. Der damalige Finanzminister der Landesregierung, Markus Söder, weigerte sich, die Sozialwohnungen im Namen der Staatsregierung Bayerns zu übernehmen und machte damit den Weg frei für eine regelrechte Privatisierungsorgie. Söder sprach zu seiner Verteidigung von einem De-facto-Verbot der EU-Kommission. Der damals eingesetzte Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtages hat jedoch ergeben, dass es weder ein rechtliches noch ein faktisches Verbot der EU-Kommission gab, das den Erwerb der Immobilien durch die bayerische Landesregierung verhindert hätte.

Die Spitzenkandidatin der SPD für die Landtagswahlen, Natascha Kohnen, gilt vielen als Anti-Söder: skandalfrei, bodenständig, Populismus meidend. Eines der Hauptthemen der Spitzenkandidatin der bayerischen Sozialdemokraten ist der überteuerte Wohnungsmarkt in München. Kohnen fordert eine regelrechte Wohnungsmarktoffensive für ganz Bayern und spricht sich außerdem für temporäre Preisstopps bei Wohnmieten aus. Besonders scharf kritisierte sie in der Vergangenheit mehrmals den Verkauf der GBW-Sozialwohnungen durch Finanzminister Söder. Die Beliebtheit von Natascha Kohnen an der sozialdemokratischen Basis scheint sich laut Umfragen aber nicht in der bayerischen Bevölkerung widerzuspiegeln, denn die SPD dümpelt in den Umfragewerten bei unter 15% (2013: 20,6%).

Bündnis 90/Die Grünen setzen mit ihrem Spitzenkandidaten Ludwig Hartmann auf altbewährte, traditionelle grüne Themen wie Tempolimit, Umweltschutz und die strafrechtliche Freigabe von Cannabis bei geringfügigen Mengen. Obwohl Schwarz-Grün im Rest der bundesrepublikanischen Politwelt eine quasi normale Regierungsalternative geworden ist, bildet der Freistaat hier eine auffällige Ausnahme. Vor allem bei den Streitigkeiten um einen dritten Naturpark in Bayern und um eine dritte Startbahn des Münchner Flughafens stehen sich die Ansichten der Grünen und der Christsozialen diametral gegenüber. Dies erklärt ebenfalls die tiefe Abneigung Söders für eine schwarz-grüne Landesregierung.

Martin Hagen, der Spitzenkandidat der FDP, legt den Fokus des liberalen Wahlkampfes auf den Abbau von überflüssiger Bürokratie und auf die Verringerung unterschiedlicher Bildungschancen mithilfe von Programmen zur frühkindlichen Förderung. Außerdem kämpfen die Freidemokraten für eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten und für die Abschaffung der Grunderwerbssteuer für die erste, selbstgenutzte Immobilie. Die FDP lehnt ihrerseits das Polizeiaufgabengesetz von Ministerpräsident Söder und die damit verbundene stärkere Überwachung der bayerischen Bürger durch den Freistaat ab. Die frühere liberale Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger reichte zudem eine Verfassungsbeschwerde gegen das Überwachungsgesetz ein.

Die Wahlplakate von CSU und AfD mit dem weißblauen Hintergrund betonen ein diffuses Heimatgefühl. (Foto: EPA-EFE/Philipp Guelland)

Mögliche Konsequenzen auf  Bundesebene

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel sind die kommenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen eine weitere Bewährungsprobe. Die Große Koalition befindet sich seit Regierungsbeginn in einem Krisengewitter. Die Dieselmanipulationen der Autoindustrie, die Streitigkeiten um den Verbleib im Amt des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie die immer stärker werdende Ausländerfeindlichkeit in den ostdeutschen Bundesländern standen und stehen weiterhin im Fokus von mangelhaftem staatlichem Krisenmanagement und ungenügendem Regierungshandeln.

Die Abwahl von Volker Kauder als Fraktionsvorsitzendem der Union im Bundestag ist eine ernstzunehmende Warnung an das unionsinterne Merkel-Lager. Der konservative Flügel probt den Aufstand. Einen Vorgeschmack hierzu lieferte schon der aktuelle Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der mithilfe eines parteiinternen Votums erfolgreich den Vorschlag zur Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft torpedierte und schlussendlich verhinderte. Dieser Parteitagsbeschluss markierte einen Pfadwechsel in der Unionspolitik der letzten Jahre und war gleichzeitig ein Affront gegen die großzügige Flüchtlings- und Integrationspolitik der Kanzlerin.

Im Falle einer Wahlschlappe der CDU in Hessen dürften die Diskussionen um den Parteivorsitz der Christdemokraten erneuten Auftrieb bekommen. Um den parteiinternen Kritikern entgegenzukommen, könnte die Bundeskanzlerin den Parteivorsitz abgeben. Auf der anderen Seite könnte diese Kompromissbereitschaft den Erosionsprozess der Macht Merkels noch weiter beschleunigen. Mögliche Kandidat*innen für den Parteivorsitz und die nächste Kanzlerkandidatur stehen bereits in den Startlöchern: Julia Klöckner, Annegret Kramp-Karrenbauer, Ursula von der Leyen sowie Jens Spahn.

Für die CSU in Bayern sind die Landtagswahlen am Sonntag die Stunde der Wahrheit. Vor allem die Christsozialen taten sich in der Vergangenheit als vehemente Kritiker von Merkels Flüchtlingskurs hervor. Am 14. Oktober wird sich zeigen, ob die Bürger*innen in Bayern diese politische Einstellung honorieren werden. Die wiederholten, öffentlich geäußerten Bedenken von Alexander Dobrindt, Andreas Scheuer, Markus Söder und Horst Seehofer zur Flüchtlings- und Asylthematik spielen eine wichtige Rolle in der parteiinternen Wahlkampftaktik der CSU, da man hofft, der erstarkenden AfD so Stimmen wegnehmen zu können.

Falls die CSU massive Wahlverluste einfahren sollte, dürften Horst Seehofers Tage als Parteivorsitzender gezählt sein. Fraglich bleibt auch, ob er weiterhin Bundesinnenminister bleiben wird. Dies wird auch von der inhaltlich-programmatischen Neuausrichtung der Partei nach der Landtagswahl abhängen. Wenn die CSU im Falle einer Wahlniederlage den flüchtlingskritischen Politkurs verlassen sollte, dürfte auch das Amt des Bundesinnenministers für Horst Seehofer in Gefahr geraten. Die Glaubwürdigkeit des Richtungswechsels würde schwer beeinträchtigt werden, falls die CSU und die Bundesregierung an einer Personalie festhielten, welche Migration als Mutter aller Probleme ansieht. Außerdem hat sich Seehofer wiederholt schützend vor den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen und seine Äußerungen über die Verharmlosung des grassierenden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern gestellt.

Sollte die CSU die bayerischen Landtagswahlen haushoch gewinnen, gehen die Krisen und Streitigkeiten in der Großen Koalition aller Wahrscheinlichkeit nach weiter, da die parteiinternen Merkel-Kritiker ihren politischen Kurs durch das Votum der Wähler bestätigt sähen. So oder so werden die Landtagswahlen einen heißen Herbst in Bayern und auf Bundesebene einleiten.

Raphael Lemaire studiert Soziologie und Politikwissenschaften in München.

Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.