„Terra Nil“: Abbausimulation

Nachdem Spieler*innen jahrzehntelang virtuelle Wirtschaftsimperien und Nationen aufgebaut haben, ist mit „Terra Nil“ vor Kurzem ein Spiel erschienen, bei dem das Gegenteil praktiziert wird: Ziel ist es, eine möglichst intakte Umwelt und keine Spuren zurückzulassen.

Wenn die Arbeit zur Renaturierung erledigt ist, herrschen wieder paradiesische Zustände, doch Menschen haben in „Terra Nil“ keinen Platz. (Screenshot: Devolver Digital/Free Lives)

Ob „Age of Empires“, „Siedler“, „Civilization“ oder eins der vielen Games, die auf „-tycoon“ enden: In sogenannten Aufbausimulationen geht es darum, eine funktionierende Wirtschaft oder einen Staat aufzubauen, nur selten spielen Umweltaspekte eine Rolle. Zwar sind schlechte Luftqualität und Umweltzerstörung manchmal ein Faktor, doch lässt der sich meist leicht aus der Welt schaffen: Kommt die Müllabfuhr in „Sim City“ nicht, beschweren sich die Bürger*innen, also baut man als virtuelle*r Bürgermeister*in flugs eine neue Müllverbrennungsanlage, und das Problem ist gelöst.

„Terra Nil“ verfolgt einen ganz anderen Ansatz: Statt einer Aufbau-Simulation handelt es sich um eine Abbausimulation. Ein komplett verwüsteter Planet soll Region für Region renaturiert werden. Die einzige Hilfe, die den Spieler*innen dabei zur Verfügung steht, ist ein Handbuch, in dem die verschiedenen Schritte der Renaturierung erklärt werden.

Zuerst müssen der Boden und das Wasser entgiftet, ausgetrocknete Flüsse wieder mit Wasser gefüllt und Bewässerungssysteme angelegt werden. In einer zweiten Phase steht der Aufbau verschiedener Ökosystem im Mittelpunkt. In der dritten Phase müssen die vielen technischen Geräte und die Infrastruktur, die man errichtet hat, wieder abgebaut werden. Außerdem können die Spieler*innen überprüfen, ob sich die ersten Tiere zurück in ihre Biotope gewagt haben. Sobald alles abgebaut ist, fliegt das Luftschiff, das als Kommandozentrale für die Renaturierungsmission dient, weiter zur nächsten Region.

Die Spielmechanik erinnert an bekannte Aufbausimulationen: Gebäude haben bestimmte Kosten und einen gewissen Radius, in dem sie ihre Wirkung entfalten. Bei „Terra Nil“ gibt es lediglich eine Währung: Am Anfang verfügen die Spieler*innen über 1.000 Punkte, die sie zu verschiedenen Anteilen in die Gebäude und Infrastrukturen stecken können; eine gelungene Renaturierung füllt die Kasse wieder auf. Das Konzept ist unkompliziert, dafür aber auch nicht besonders innovativ.

Die Platzierung der einzelnen Gebäude wird oft zu einer Angelegenheit, bei der man viel knobeln muss. Manchmal kommt das Gefühl auf, dass dieser Prozess unnötig kompliziert ist. Ein weiteres Ärgernis sind die Aufräumarbeiten: Sie passieren mal per Schiff, mal mit einer sich selbst abbauenden Einschienenbahn, zum Schluss mit einer Drohne. Logisch erscheint das alles nicht, gibt es doch das Luftschiff, das diese Aufgaben erledigen könnte.

Das Konzept von „Terra Nil“ ist zwar so schön, dass man sich zwischendurch fragt, warum niemand früher auf diese Idee gekommen ist, , doch sowohl die Umsetzung als auch inhaltliche Aspekte lassen zu wünschen übrig. Vor allem die Tatsache, dass der zerstörte Planet zwar renaturiert wird, dann aber sämtliche Spuren menschlichen Lebens wieder verschwinden müssen, leuchtet nicht ganz ein. Einerseits ist das Spiel enorm technikaffin, denn die großen Probleme wie verschmutzte Böden, radioaktive Strahlung oder unwirtliches Klima werden durch Maschinen gelöst. Andererseits wird diese Technik nur temporär gebraucht und muss nach ihrem Einsatz wieder komplett abgebaut werden. Lediglich in einer Region – einer im Meer versunkenen Großstadt – werden die Stahlskelette von Wolkenkratzern als Kletterhilfe für Pflanzen verwendet. Ein Miteinander von Mensch und Natur scheint in der Welt von „Terra Nil“ unmöglich.

Magische Maschinen und menschenleere Landschaften

Noch dazu laufen die Prozesse, die im Spiel dargestellt werden, in der Realität meistens komplett anders ab. Um kontaminierte Böden zu reinigen, werden keine „magischen“ Maschinen benutzt, sondern ganz andere Methoden: Entweder können Pflanzen und Bakterien eingesetzt werden, oder es bleibt nichts anderes übrig, als die verschmutzen Böden abzutragen und an einem sicheren Ort zu lagern. Manchmal wird auch einfach der Zweck der Bodennutzung geändert: So kann man zum Beispiel auf dem Gebiet eines früheren Stahlwerkes zwar keine Landwirtschaft mehr betreiben, aber hervorragend eine Universität ansiedeln.

Die Schaffung einzelner Biotope ist bei „Terra Nil“ sicherlich eins der Elemente, das am meisten Spaß macht, ist aber auch weit von der ökologischen Realität entfernt: Es reicht nicht, einen Bienenstock aufzuhängen, um eine artenreiche Blühwiese zu erschaffen und die Wundermaschine, die aus einer Wiese ein Feuchtgebiet macht, in dem es nur so kreucht und fleucht, gibt es auch nicht. Zu Renaturierung gehören leider neben einem Bagger oft Glück, Zeit und viel Geduld.

Im Grunde genommen sind diese faktischen „Fehler“ nicht schlimm, denn auch bei herkömmlichen Aufbausimulationen gibt es solche Ungenauigkeiten zuhauf, und sie mindern das Spielvergnügen nicht, sondern ermöglichen es erst: Wenn eine Simulation die Realität allzu sorgfältig darstellt, wird aus einem Spiel schnell eine interaktive, aber wenig reizvolle Excel-Tabelle. Was bei „Terra Nil“ dennoch stört, ist der unerfüllte Anspruch, ein ökologisches Spiel zu sein. Leider ist eine eher eskapistische Techno-Fantasie herausgekommen, die wenig von ökologischen Kreisläufen zu vermitteln mag.

Hinzu kommt, dass das Spiel nicht sehr umfangreich ist und sich in wenigen Stunden durchspielen lässt. Das ist nicht unbedingt ein Problem, immerhin haben viele Spieler*innen auch andere Hobbys oder einfach nicht unbegrenzt Zeit. Allerdings ist der Preis für das, was geboten wird, dann mit 25 Euro doch eher hoch. Auch wenn die Entwickler*innen einen Teil der Einnahmen an die südafrikanische NGO „Endangered Wildlife Trust“ spenden.

Ein Tipp für alle, die Netflix abonniert haben: Abonnent*innen können das Spiel als App für Handy und Tablet herunterladen und kostenlos spielen. Netflix bietet seit einiger Zeit Zugang zu Spielen an, besonders viel Werbung hat die Firma für das Angebot aber noch nicht gemacht. Die Steuerung ist am Touchscreen nicht unbedingt leichter, aber große Probleme gibt es dabei nicht. Am Ende ist „Terra Nil“ ein netter, kurzweiliger Zeitvertreib – besonders für alle, die umsonst oder günstig an das Spiel kommen – , mehr gibt das Game jedoch trotz guter Idee nicht her.

Für PC und Mac über Steam, GOG und Epic Games, ca. 25 Euro. Für Netflix-Abonnent*innen kostenlos auf Android und iOS.

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