VORARLBERG: Agent der Sehnsucht

von | 29.08.2008

Ein literarisches Geschenk: Michael Köhlmeiers Erzählung „Idylle mit ertrinkendem Hund“.

Michael Köhlmeier bei einer Lesung in Olmütz.

Es ist betörend, wie vorsichtig tastend diese Geschichte beginnt. Jeder Satz des Buches möchte mehrmals gelesen, möchte untersucht werden auf die verschiedenen Perspektiven, die er enthält, bevor er den Blick schließlich frei gibt auf den Zusammenhang, in dem er steht. Vorsichtig tastend beginnt die Geschichte wohl auch deshalb, weil das, was in ihr erzählt werden soll, so schmerzhaft ist, dass es einem – dem Autor Michael Köhlmeier – die Worte nimmt.

Und so beginnt die Geschichte mit dem Besuch des Lektors, den der Schriftsteller zuhause bei sich in Vorarlberg empfängt. Es ist tatsächlich eine Idylle, die auf den ersten Seiten beschrieben wird. Doch dann beschleicht den Leser, der von der Biografie des Autors nichts weiß, dessen tastendem Schreiben folgend, das Gefühl, dass diese Idylle längst schon gebrochen ist. Köhlmeier begleitend, langsam den Gegenstand umkreisend, erfährt er mehr, bis er schließlich versteht, dass das Thema des Buches der Verlust eines geliebten Menschen ist.

Vorsichtig tastend beginnt die Geschichte, weil das, was in ihr erzählt werden soll, so schmerzhaft ist.

Vor einem Jahr wurde sein Generationenroman „Abendland“ als „Epos“ gefeiert. Nun liefert Michael Köhlmeier das schmale Bändchen „Idylle mit ertrinkendem Hund“ hinterher, dass kaum aus Versehen ohne den Zusatz „Roman“ auskommen muss. Zu deutlich sind die Bezüge zum privaten Leben des Autors und seiner Familie. Tochter Paula Köhlmeier, mit 21 Jahren selbst bereits eine hoffnungsvoll beachtete Autorin, verunglückte im August 2003 bei einer Bergwanderung tödlich. Das Buch lässt sich als Versuch des Autors lesen, sich diesem Verlust vorsichtig anzunähern.

In der Erzählung bekommt der Schriftsteller also Besuch vom Lektor seines Frankfurter Verlages. „Dr. Beer“ ist ein Sprachpapst und ansonsten ein recht zugeknöpfter Mensch, den der Autor nicht ohne Furcht vor dessen Handwerk und Charakter empfängt. Ihm gewährt er Einblick ins Private, erhofft sich von ihm eine Nähe, über deren gewünschte Substanz sich der Schriftsteller aber selbst nicht im Klaren scheint. Doch das Ersehnte stellt sich nicht ein, und so fungiert der Besucher letztlich als Projektionsfläche, als Kandidat für ein auch im Roman nur fiktiv stattfindendes Zwiegespräch über den Verlust der Tochter, das der Autor sich zu führen wünscht. Der Besucher wird zu Köhlmeiers autosuggestivem Agenten, der das Verdrängte zurück ins Bewusstsein des Autors holen soll, etwa in der (fiktiven) Diskussion um die Frage, wie über den Tod der eigenen Tochter zu schreiben sei.

Fast wider Erwarten gipfelt die Geschichte übrigens tatsächlich im Ringen um einen ertrinkenden Hund, den der Schriftsteller, in eisiger Kälte auf brüchigem Eis liegend, verzweifelt zu retten versucht. Ein wütender, stellvertretend ausgefochtener Kampf gegen die Vergänglichkeit und den Tod geliebter Menschen, dem man meist noch viel hilfloser ausgeliefert ist, als der Protagonist auf dem Eis.

„Idylle mit ertrinkendem Hund“ ist eine wunderbar literarische Prosa, mit der Michael Köhlmeier bei aller Trauer zugleich eine zärtliche Liebeserklärung an seine Familie, seine Frau und an das Leben geschrieben hat.

Michael Köhlmeier – Idylle mit ertrinkendem Hund. Deuticke Verlag, 112 Seiten.

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