THAILAND: Bangkok räumt auf

Nachdem das thailändische Militär den Aufstand der Rothemden erfolgreich zerschlagen hat, normalisiert sich die Lage in Bangkok. Mehrere Anführer der Oppositionsbewegung wurden verhaftet oder ergaben sich. Ob und wie die Rothemden sich nun reorganisieren und den Protest weiterführen werden, bleibt offen.

Die Rothemden geben nicht auf: Unser Bild zeigt einen Anhänger der Gruppierung am 20. April im damals noch besetzten Geschäftsviertel Ratchaprasong.

Thailand habe sein 9/11 erlebt, kommentierte Tulsathit Taptim, Chefredakteur der regierungsnahen Tageszeitung „The Nation“, auf Twitter vergangene Woche die Niederschlagung der Proteste der Regierungsgegner in Bangkok. Bei den Khon Seua Daeng (Rothemden), so die Propaganda der Regierung von Premier Abhisit Vejjajiva, handele es sich nicht um friedliche Demonstranten, sondern um Terroristen und folglich um Feinde der Nation. Am Mittwoch vergangener Woche war die thailändische Armee in das von den oppositionellen Rothemden besetzt gehaltene Geschäftsviertel Ratchaprasong eingerückt und hatte es gewaltsam geräumt. Banken, Einkaufszentren, die Börse und ein Theater brannten. Die Soldaten schossen auf die Demonstranten, sechs Menschen starben allein an diesem Tag. Nach stundenlangen Straßenkämpfen erklärte die Armee, die Lage sei unter Kontrolle.

Wenige Tage später, am Sonntagvormittag, traf sich Bangkoks „upper class“ in den geräumten und verwüsteten Protestgebieten zum gemeinsamen Aufräumen. „Hier holen sich die Bewohner physisch und symbolisch ihre Stadt zurück“, sagte begeistert einer der Teilnehmer der Aufräumaktion. Bei dieser Gelegenheit wurden gleich noch Rosen an die Soldaten verteilt.

Die nächtliche Ausgangssperre bleibt weiterhin in Kraft. Am Tag verläuft das Leben in der thailändischen Hauptstadt weitgehend normal, doch die Ruhe ist gespenstisch.

„Gesäubert“ wird nun nicht nur im Geschäftsviertel, sondern auch politisch. Hausdurchsuchungen, Verhöre und Inhaftierungen von Oppositionellen greifen um sich. Die Regierung will gründlich sein und sicher gehen, dass sich nicht doch noch irgendwo rote Zellen des Widerstands befinden.

Die Gegner der Rothemden, die seit Wochen nach einer militärischen Lösung gerufen haben, zeigen sich zufrieden. Sie bezeichnen die oppositionelle Einheitsfront für Demokratie gegen Diktatur (UDD) als „rent-a-mob“ und meinen damit, dass es sich dabei nur um bezahlte Demonstranten des ehemaligen Premiers Thaksin Shinawatra handelte. Die UDD war von Beginn an ein widersprüchliches Bündnis aus progressiven, zum Teil antikapitalistischen und republikanischen Anti-Thaksin-Gruppierungen sowie Politikern aus Thaksins Thai Rak Thai Partei (TRT), die 2007 aufgelöst wurde. Vereint waren diese Gruppen durch ihre Ablehnung des Putsches gegen Thaksin vom 19. September 2006.

Die Basis der UDD bilden die ehemaligen Wähler der TRT, die größtenteils aus der verarmten Landbevölkerung im Norden und Nordosten Thailands bestehen, sowie informell und prekär beschäftige Arbeiter aus Bangkoks ärmeren Stadtteilen. Diese Basis unterstützte das politische Projekt des Milliardärs Thaksin. Während sich der ehemalige Premier auf unverschämte, aber für thailändische Politiker nicht außergewöhnlich korrupte Weise bereicherte, brachten seine Sozialprogramme reale Verbesserungen für weite Teile der Bevölkerung. Kritiker weisen zu Recht darauf hin, dass diese Sozialprogramme keine „echte Umverteilung“ bedeuteten, sondern vielmehr populistische Manöver gewesen seien. Das 30-Baht-Gesundheitsprogramm ist sicherlich noch mangelhaft, jedoch hat es jenen Teilen der Bevölkerung, für die in Abwesenheit eines sozialen Sicherungssystems jede Krankheit oder jeder Arbeitsausfall eine Armutsgefahr darstellt, konkrete Verbesserungen gebracht. Ein Jahr vor Thaksins Amtsantritt, 2001, lebten über zwölf Millionen Menschen in Thailand unterhalb der Armutsgrenze. Vier Jahre später hatte sich deren Anzahl um mehr als fünf Millionen Menschen verringert. Thaksins Modernisierungsprogramm bedeutete zwar keine strukturelle Umverteilung und konnte die relative Armut kaum bekämpfen. Allerdings bedeuteten Kleinkredite, Schuldenmoratorien und Investitionsprogramme für viele Menschen echte Chancen. Thaksins Sozialprogramme waren pragmatische Reaktionen auf einen real existierenden gesellschaftlichen Druck, der sich durch die Asien-Krise 1997 verschärft hatte.

Seit dem Putsch im Jahr 2006, als Thaksin vom Militär abgesetzt wurde und fliehen musste, ist im Lager der Opposition viel passiert. Aus passiven TRT-Wählern sind organisierte Demonstranten geworden. Nach dem Putsch wurden Mechanismen installiert, die unter dem Anschein einer formalen Demokratie verhindern sollten, dass die Rothemden politische Macht erringen. Thaksins Nachfolger Samak Sundaravej und Somchai Wongsawat wurden abgesetzt, und die Nachfolgepartei der TRT, die People’s Power Party, wurde verboten. Gleichzeitig verschärfte sich die Repression gegen die Demonstrationen der UDD seit April 2009 bis hin zur Eskalation in den vergangenen Wochen. Das Budget für Militär und Propaganda wurde entsprechend vergrößert, gleichzeitig wurden oppositionelle Radiosender, Internetseiten und seit vergangenem Monat auch der Satellitensender der UDD, People’s TV (PTV), geschlossen. Die verschärfte Anwendung des Majestätsbeleidigungsgesetzes erwies sich zudem für die Regierung als taugliches Mittel zur Inhaftierung von politischen Gegnern.

Längst geht es bei den Protesten der Rothemden nicht mehr darum, den alten Premier wieder einzusetzen.

Für viele Unterstützer der Opposition wurde in den vergangenen Monaten klar, dass die Rothemden nicht oder nicht mehr aus der traditionellen Elite der Thaksin-Anhänger bestehen und dass es bei den Protesten nicht darum geht, den alten Premier wieder einzusetzen. Viele Rothemden machen in Gesprächen immer wieder deutlich, dass sie nicht für, sondern mit Thaksin kämpften. Populär unter den Demonstranten sind Stirnbänder mit der Aufschrift „Man muss uns nicht bezahlen, wir kommen auch so“. In den Jahren nach dem Putsch politisierte sich die Oppositionsbewegung immer mehr und versuchte, immer breitere Segmente der Bevölkerung für sich zu gewinnen. Inzwischen existieren hunderte lokale Gruppen von Rothemden, auch im Süden des Landes, mit eigenen Radiosendern und Mini-Publikationen. Solidarische Studenten aus Bangkok bieten am Wochenende Workshops in Radioproduktion an. Für viele Menschen stellte die neue Erfahrung einer selbstbestimmten Tätigkeit im Rahmen der Proteste einen positiven Kontrast zu ihrer Erwerbsarbeit dar.

Seit Mitte 2009 gibt es für UDD-Mitglieder Lichtbildausweise für umgerechnet einen Euro. Um einen Ausweis zu beantragen, müssen ein aufwändiges Bewerbungsformular ausgefüllt, Fragen über die eigene bisherige politische Erfahrung beantwortet und Gründe für die Mitgliedschaft angegeben werden. Ein viel zu kompliziertes Prozedere für viele Menschen, vor allem aus den ärmeren und ungebildeten Bevölkerungsschichten. Doch inzwischen liegt die Zahl der registrierten Mitglieder bei weit über 100.000.

Obwohl die Proteste nicht mehr wie eine Veranstaltung einer bestimmten Gruppe von Oppositionspolitikern wirken, wie die Regierung ständig wiederholt, bleibt fraglich, wie progressiv die vom Großkapital finanzierte UDD sein kann.

Vor allem die Teilnahme der Rothemden aus den nördlichen Provinzen an den Protesten in Bangkok bedeutet einen finanziellen Kraftaufwand, der ohne die Hilfe des „roten Großkapitals“ nicht zu bewältigen wäre. Dessen strategischer Einfluss auf die Bewegung wird dadurch indes verstärkt. Die Infrastruktur der ersten Massendemonstration gegen die Regierung zum Auftakt des Protests am 14. März dieses Jahres, an der mehrere hunderttausend Menschen teilnahmen, verrät einiges über den Umfang des finanziellen und organisatorischen Rückhalts der UDD. Über das gesamte Wochenende um den 14. März trafen Busse, Kleintransporter und Boote mit Rothemdengruppen aus allen Richtungen des Landes ein. Es gab Dutzende Bühnen mit professionellen Sound-und Lichtsystemen und Live-Übertragungen auf PTV. Die „rote Stadt“ im Geschäftsviertel Rachaprasong wurde in wenigen Tagen errichtet, mit mobilen Toiletten, Duschen und Volksküchen für die Demonstranten.

Die Regierung spekulierte zunächst auf eine kurze Ausdauer und eine baldige Erschöpfung der Ressourcen im Lager der Demonstranten. Sie riegelte das besetzte Viertel ab. Die Versorgung mit Strom, Wasser und Lebensmitteln wurde eingeschränkt. Doch trotz relativ schwacher Besetzung tagsüber kamen abends mehrere zehntausend Menschen, die den Protest unterstützten, zum besetzten Viertel. Nach Feierabend füllten die in Bangkok lebenden Rothemden die Kanalboote und die Busse in Richtung der „Roten Zone“, wo sie durch den Kauf von Speisen, Getränken und Rot-
hemden-Paraphernalia dazu beitrugen, die dort errichteten Garküchen und Shops zu finanzieren.

Gleichzeitig verstärkte sich der Aktivismus in den Provinzen. Ortsgruppen sammelten Spenden und schickten Kleintransporter mit Nahrungsmitteln zu den Demonstranten nach Bangkok. Als am 22. April bekannt wurde, dass ein Zug in der nördlichen Provinzhauptstadt Khon Kaen mit bewaffneten Soldaten und Militärfahrzeugen Richtung Süden aufbrach, blockierten Rothemden in den Provinzen kurzerhand die Schienen. In derselben Nacht mobilisierten UDD-Radiosender innerhalb weniger Stunden genügend Demonstranten, um drei Militärbusse mit über 200 Soldaten auf ihrem Weg nach Bangkok zu stoppen. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Regierung klar, dass die Proteste, die seit Anfang April ins finanzielle Zentrum der Metropole verlagert wurden, viel länger andauern könnten, als sie erwartet hatte.

Spätestens nach dem ersten Versuch durch die Armee, den Aufstand im April militärisch zu zerschlagen, hielt sich die militante Fraktion innerhalb der Bewegung nicht mehr an den von der UDD propagierten gewaltfreien Widerstand und fing an, sich mit Steinschleudern, Molotow-Cocktails, zum Teil auch Schusswaffen zu verteidigen. Nach der Offensive der Armee am Mittwoch vergangener Woche stellten sich einige Anführer der UDD der Polizei. Nun wird sich zeigen, wie unabhängig die Basis ist. Einige der großen Geldgeber werden ihre Investitionen in die UDD vermutlich noch einmal überdenken, eine Entwicklung, die der Emanzipation der Progressiven nur helfen kann.

Noch gilt das Notstandsrecht, trotzdem versammeln sich schon wieder einzelne Gruppen von Rothemden zu Protesten. Eine Demonstrantin sieht die Zukunft für die Rothemden ganz pragmatisch: „They can’t kill all of us.“

Steffi Jochim berichtet aus Bangkok.


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