Die SVP hat bei den Wahlen am kommenden Sonntag beste Aussichten auf ein sehr gutes Ergebnis. Bereits jetzt hat sie es geschafft, mit ihrer rechtspopulistischen Stimmungsmache die gesellschaftliche Dynamik maßgeblich zu beeinflussen.
Das Freitagsgebet ist zu Ende. Dutzende von Männern strömen hinaus auf den Parkplatz. Der Schnellzug nach Zürich rauscht direkt durch das Industriegebiet der 17.000-Einwohner-Stadt Wil, und einige der Gläubigen halten sich die Ohren zu. Schnell führt Alimi Bekim, der Imam der Islamischen Gemeinschaft, den Besucher in den mit türkisgrünem Teppich ausgelegten Gebetsraum. „Es ist immer eng hier“, sagt der 32-Jährige, „wir brauchen dringend mehr Platz.“ Mit den Neubauplänen für eine repräsentative Moschee samt Minarett hat seine Gemeinde freilich etwas losgetreten, was längst die Grenzen des Städtchens im Kanton St. Gallen gesprengt und den ohnehin hitzigen Schweizer Wahlkampf noch angeheizt hat.
Wie das kam, ist schnell erzählt: Nach Bekanntgabe der Moscheepläne im August vergangenen Jahres machte die Jugendorganisation der Schweizer Volkspartei (SVP) erst vor Ort gegen das Projekt mobil, um anschließend die Mühlen der eidgenössischen direkten Demokratie in Gang zu setzen. Mit einer Volksinitiative, für deren Annahme bis Mitte nächsten Jahres 100.000 Unterschriften gesammelt werden müssen, wollen die jungen Rechtspopulisten erreichen, dass die Schweizer über folgenden Satz abstimmen: „Der Bau von Minaretten ist verboten.“
„Die Hälfte der erforderlichen Unterschriften haben wir schon beisammen“, verkündet Lukas Reimann stolz. Der 25-jährige Sunnyboy versinkt im schwarzen Sessel einer trendigen Lounge am Bahnhof von Wil, wo er von seinem Kreuzzug gegen die von ihm vermutete „Islamisierung“ der Schweiz berichtet. Da sei ein Minarett in seiner Heimatstadt nur das „Tüpfelchen auf dem i“, weil es für die Muslime ein „Zeichen des Sieges“ darstelle und deren „Machtanspruch“ verkörpere. Den sieht der rechte Jurastudent schon durch andere Beispiele zuvor belegt. Hatte es nicht die Forderung gegeben, die Schulweihnachtsfeier zu streichen? Und wollten nicht Basler Muslime ihren Friedhof von ungläubiger Erde gesäubert wissen? Er geißelt Zwangsehen und die Benachteiligung der Frauen. Was auch anerkannte Islamkritiker umtreibt, gerät bei Reimann allerdings zur bloßen Angstkampagne: Nur das Nein zu Minaretten und die Wahl seiner Volkspartei könnten das gegnerische Ansinnen durchkreuzen, „einem an der Scharia orientierten Rechtssystem auch in der Schweiz zum Durchbruch zu verhelfen“.
Solche Befürchtungen treiben offenbar immer mehr Eidgenossen um. In aktuellen Umfragen kann die SVP, schon bisher stärkste Partei, nochmals leicht zulegen. Knapp unter 30 Prozent werden ihr prognostiziert, wenn am Sonntag abgerechnet wird. „Bei differenziert denkenden Menschen verfangen solche Parolen nicht“, glaubt Hisham Maizar, der Chef des muslimischen Dachverbands in der Ostschweiz, doch kennt auch er „viele einfache Leute, die denken: Heute ein Minarett, morgen ruft der Muezzin und übermorgen werden Dieben im Namen der Scharia die Hände abgehackt“.
Was auch anerkannte Islamkritiker umtreibt, gerät bei der SVP zur bloßen Angstkampagne: Nur das Nein zu Mina-retten und die Wahl ihrer Volkspartei könnten das Ansinnen durchkreuzen, einem an der Scharia orientierten Rechtssystem in der Schweiz zum Durch-bruch zu verhelfen.
Dem jungen Reimann macht der muslimische Funktionär nur indirekt einen Vorwurf: „Der ist eben darauf gedrillt zu wiederholen, was ihm die Parteioberen eintrichtern“, sagt Maizar in breitestem Schwyzerdütsch. Ein politisches Unschuldslamm ist Reimann, der schon seit vier Jahren im Kantonsrat St. Gallen sitzt, freilich nicht. Mit dem Stolz eines rebellischen Tabubrechers erzählt er, wie seine Wahlplakate regelmäßig heruntergerissen und von einem 40-köpfigen Klebekommando wieder aufgehängt werden.
Ziel der Bilderstürmer ist nicht vorrangig Reimanns Konterfei. Es geht ihnen vor allem um das SVP-Plakat mit den drei auf einer Schweizer Fahne grasenden weißen Schafen, von denen eines das vierte im Bunde mit einem kräftigen Tritt aus der Eidgenossenschaft hinausbefördert. Dass es sich bei letzterem um ein schwarzes Schaf handelt, ist Sinnbild der restriktiven Migrationspolitik der SVP. Ihre so genannte Ausschaffungs-Initiative sieht vor, dass straffällig gewordene MigrantInnen abgeschoben werden – und bei Tätern unter 18 Jahren die Familie gleich mit.
Reaktionen auf die Kampagne rund um das schwarze Schaf, die sich die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) in Hessen bereits zu eigen gemacht hat, ließen nicht lang auf sich warten. Die verschiedensten Einwanderergruppen meldeten sich ebenso zu Wort wie die in Genf beheimateten Vereinten Nationen. Doudou Diène, der UN-Berichterstatter über Rassismus, warnte, dass eine „rassistische und fremdenfeindliche Dynamik“ zum normalen Bestandteil des politischen Systems der Schweiz geworden sei. Die Reaktion des einflussreichen SVP-Abgeordneten Ulrich Schlüer auf Diènes Kritik ließ ebenso wenig Interpretationsspielraum: „Er ist aus Senegal, wo sie eine Menge eigener Probleme haben, die gelöst werden sollten. Ich weiß nicht, warum er hierher kommt.“
Der grüne Generalsekretär Hubert Zurkinden spricht angesichts der gesellschaftlichen Stimmung von einem „Rechtsrutsch, darf sich aber zugleich darüber freuen, dass seiner Partei kräftige Zugewinne und ein Stimmanteil von gut zehn Prozent vorhergesagt werden. Ihren potenziellen Partner, die sozialdemokratische SP, sehen die Demoskopen stabil bei gut 20 Prozent. Auch deren Berner Kandidatin Irene Marti Anliker schimpft über die „rassistische Kampagne“, den „Sozialabbau“ und die „Privilegien für Reiche“, welche die SVP plane. Ja sicher, die Schweiz stehe vor einer Richtungswahl.
Die Mittfünfzigerin, die auf dem Berner Casinoplatz Wahlwerbung macht, hat geahnt, was an diesem sonnigen Oktobersamstag passieren würde. „Halten Sie sich lieber im Hintergrund, wenn es nachher kracht“, rät die Sozialdemokratin, die die Stimmung im Land aufgeputscht nennt. Und sie behält recht. Auch Hunderte von Polizisten in Kampfmontur, die eine Mauer aus Absperrgittern durch die malerischen Hauptstadtgassen gezogen haben, können die schweren Ausschreitungen am Nachmittag des 6. Oktober nicht verhindern.
Ziel der linken Demonstranten ist es gewesen, den ursprünglich so genannten Marsch auf Bern der nationalkonservativen SVP zu verhindern. Zur Begründung verweist ihr Sprecher, der grüne Stadtrat Daniele Jenni, auf den „historischen Bezug“ zum „Marsch auf Rom“, der für die Machtübernahme der Faschisten in Italien 1922 steht. Die Schwarzes-Schaf-Kampagne hatte ihr Übriges getan. Und so protestieren die SVP-Gegner in Bern unter dem Namen „Schwarzes Schaf“ lange friedlich blökend und in Felle gewickelt, ehe sich eine Gruppe von etwa 500 Autonomen aus ihnen herauslöst, die die Mitglieder der „Sehr Verdächtigen Partei“ daran hindern, ihre Kundgebung vor dem Parlament abzuhalten.
Der Mann, um den sich in diesem Wahlkampf alles dreht, steht jetzt unten im Bärengraben, dem Eingang zur malerischen Altstadt Berns. Die ungeteilte mediale Aufmerksamkeit ist ihm sicher. Sogar das japanische Fernsehen ist gekommen. „Was interessieren Sie sich denn für unsere kleine Schweiz“, fragt Christoph Blocher spitzbübisch, wo er doch genau weiß, wie er selbst sein Land verändert hat. Kritischen Fragen weiß der Schweizer Justizminister und Vordenker der SVP auch jetzt elegant auszuweichen. Die Sache mit dem schwarzen Schaf? „Das ist jemand, der sich nicht an die Regeln hält.“ Also kein Rassismus? „Aber das wissen Sie doch!“
Blocher schimpft stattdessen lieber auf die rot-grüne Stadtverwaltung und die Polizei, welche die Ausschreitungen nicht zu verhindern gewusst, sie sogar toleriert hätten, um die genehmigte Kundgebung seiner Partei zu verhindern. „Das Programm von Rot-Grün besteht nur darin, den Blocher aus der Regierung zu werfen.“
Die Möglichkeit besteht: Vor vier Jahren ist er mit nur einer Stimme Mehrheit zum Regierungsmitglied gewählt worden. In diesem Bundesrat sind alle großen Parteien vertreten; es regiert eine ganz große Koalition, die von Zeit zu Zeit in Referenden das Volk befragt. Anfang Dezember muss sich Blocher dem dann neu gewählten Parlament stellen. Für eine sichere Wiederwahl braucht die SVP also mehr Sitze. Kommt Blocher erneut durch, erfüllt sich für den Rechtsausleger ein Traum: dann rotiert der 67-Jährige aus dem siebenköpfigen Team des Bundesrates in das Amt des Bundespräsidenten, das höchste im Staate. Zwar nur für ein Jahr, doch wäre der gesellschaftliche Wandel der Schweiz damit manifest.
Die alte Schweiz hat sich ohnehin schon zurückgezogen. In eine unscheinbare Mehrzweckhalle am Rande von Biel im Kanton Bern, wo die FDP tagt. Lange Jahre sind die Liberalen zusammen mit der konservativen CVP die staatstragende Partei gewesen, fast im Alleingang gründeten sie 1848 den Schweizer Bundesstaat. Nun krebsen sie in Umfragen bei 14 Prozent herum und oben auf der Bühne beschwört eine lokale Kandidatin ihre Partei, zum Schlussspurt anzuziehen. Die programmatische Kraft dazu sei schließlich vorhanden ? weniger Steuern, mehr Bildung, mehr Weltoffenheit, mehr Gerechtigkeit. Zu den Klängen von George Michaels „Freedom“ joggt sie anschließend durch die Sitzreihen.
Von der Inszenierung bekommt jedoch kaum einer etwas mit. Nur ein lokales Kamerateam ist akkreditiert, weil sich parallel dazu die SVP-Gegner in der Hauptstadt mit der Polizei herumschlagen. Fast trotzig sagt der Generalsekretär Guido Schommer die ruhige Veranstaltung hier auf dem Land bilde „ganz bewusst einen symbolischen Gegenpunkt zum Krawall in Bern“. Wobei der FDP-Mann, dessen Partei in der Vergangenheit oft mit Blochers SVP gestimmt hat, die Schuldfrage klar beantwortet: „Wenn man permanent Ängste schürt, muss man sich nicht wundern, dass es zu entsprechenden Szenen kommt.“
Auch in Wil. Vor ein paar Tagen ist dort eine Podiumsdiskussion zum Wahlkampf in eine wüste Schreierei ausgeartet. Gereizte Stimmung in einem Ort, dem es eigentlich gut geht, sehr gut sogar. Er profitiert von seiner Nähe zu Zürich, eine der weltweit reichsten Regionen, die Arbeitslosenquote liegt mit zwei Prozent noch unter den niedrigen schweizweiten 3,3 Prozent.
Einen guten Job hat auch der palästinensische Zahnarzt aus Wil, der zumindest in seiner Praxis nicht zu spüren bekommen hat, dass er als Muslim zum Wahlkampfthema geworden ist. „Ich bin keine Parallelgesellschaft“, sagt er im Gespräch vor dem Gebetsraum, der so viel Wirbel verursacht, „ich will auch niemanden islamisieren. Jeder soll doch glauben dürfen, was er will.“ Ob das in der neuen Schweiz, in der die größte Partei des Landes Islamisten sowie moderate Muslime in einen Topf wirft und alle anderen Parteien zu dem Thema schweigen, um nicht noch Öl ins Feuer zu gießen, noch etwas nützen wird? Der Konflikt ist da.
Christopher Ziedler ist Redakteur der „Stuttgarter Zeitung“.