RUSSLAND: Nach dem Feuer

Mit den Bränden in Russland waren die Behörden und die mit dem Katastrophenschutz beauftragten Firmen überfordert. Doch die Konsequenzen dürften sich auf die Absetzung untergeordneter Politiker beschränken.

Vom Ausmaß der Aufgabe überfordert: Die Löschteams der russischen Forstbehörde.

Die Hitzewelle ist endlich vorüber. Zwei Monate lang herrschten in weiten Teilen des europäischen Russland tropische Temperaturen, begleitet von extremer Trockenheit. Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten: Eine verheerende Dürre und Waldbrände sorgten nicht nur für unerträgliche Hitze und gesundheitsschädlichen Smog in den betroffenen Gebieten, sondern vernichteten auch wertvolles Nutzland.

Die Weizenernte wird voraussichtlich um etwa 40 Prozent unter dem Vorjahresergebnis liegen. Erhebliche Preissteigerungen für Brot lassen sich bereits jetzt beobachten. Die gewaltigen Schäden werden sich auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Auch wenn der beißende Rauch nun langsam abzieht, ist es für ein Aufatmen also noch zu früh.

Besondere Aufmerksamkeit schenkten die Medien dem in ätzenden Rauch gehüllten Roten Platz in Moskau. Doch waren die Zustände in den östlicher gelegenen Regionen um Nizhnij Nowgorod, Rjazan, Wladimir oder den Republiken Mordowa und Marij El ebenso erschreckend. Im Süden war insbesondere das Gebiet um Woronezh betroffen. Überdies wurden großflächige Brandherde im Brjansker Raum festgestellt, der seit der Atomkatastrophe im nahegelegenen ukrainischen Tschernobyl im Jahr 1986 radioaktiv verseucht ist. Zwar wurden die Brände relativ schnell gelöscht, radioaktive Partikel könnten dennoch in die Atmosphäre gelangt sein.

Vielerorts griff die lokale Bevölkerung aus der Not heraus zu Wassereimern, um ihr Hab und Gut vor dem Feuer zu retten. Doch versuchte auch so mancher, Kapital aus dem Unglück zu schlagen. In einigen Fällen sollen Menschen ihre Häuser eigenhändig angezündet haben, um so in den Genuss einer Schadensprämie und womöglich zu einem neuen Haus auf Staatskosten zu kommen. Was völlig irrational klingt, ist tatsächlich durchaus pragmatisch. Die Erfahrung mit der russischen Staatsmacht lehrt: Wenn überhaupt mit Unterstützung zu rechnen ist, dann nur, weil die ungeliebten Bürokraten versuchen, mit Erfolgsmeldungen vor der nächst höheren Instanz zu glänzen, um ihren Kopf zu retten.

Die extremen Temperaturen des Sommers haben auch im Gesundheitswesen deutliche Mängel offenbart. Kaum ein Krankenhaus verfügt über eine Klimaanlage, so dass selbst auf Intensivstationen und in Operationssälen Temperaturen bis zu 40 Grad herrschten. Nach Angaben von Bestattungsunternehmen soll die Sterberate in Moskau das Dreifache des Durchschnittswerts betragen haben. Das Gesundheitsamt wollte dies allerdings nicht bestätigen und wartet lieber, bis die monatliche Sterbestatistik erstellt wird.

Leichen wurden mancherorts tagelang nicht abtransportiert, bis schließlich ein Teil des Fuhrparks der Rettungsdienste zu Leichenwagen umfunktioniert wurde, um den Mangel zu kompensieren. Die Nezavisimaja Gazeta berichtete über ein inoffizielles Verbot für die Ärzte, die Diagnose „Hitzschlag“ zu stellen. Denn Patienten mit dieser Diagnose hätten auf die Intensivstationen verlegt werden müssen, die ohnehin völlig überlastet waren.

Greenpeace Russland macht neben der extremen Trockenheit die Auflösung der Forstaufsichtsbehörde für die Brandkatastrophe verantwortlich.

Aleksej Jaroschenko, der Leiter des Waldprogramms der Umweltorganisation Greenpeace in Russland, macht neben der extremen Trockenheit die im Jahr 2004 vollzogene Auflösung der staatlichen Forstaufsichtsbehörde für die Brandkatastrophe verantwortlich. Viele Brände seien daher nicht rechtzeitig entdeckt worden. Mit dieser Meinung steht Jaroschenko nicht allein da.

Zu den Profiteuren jener Forstreformen gehört einer der wichtigsten Holzkonzerne des Landes, das russisch-schweizerische Unternehmen Ilim Pulp. Anfang der Neunzigerjahre war Wladimir Putin, damals Leiter des Komitees für außenwirtschaftliche Beziehungen, für dessen Registrierung verantwortlich. Auch Dmitrij Medwedjew, sein politischer Ziehsohn und Nachfolger im Präsidentenamt, hielt einen Aktienanteil. Aber auch die Gas- und Öllobby war an einer Schwächung der Umweltkontrollen interessiert, die von der Forstaufsicht durchgeführt worden waren.

Jaroschenko hält die seit 2006 auf etwa ein Viertel verringerte Zahl der Angestellten in der Forstwirtschaft, in deren Zuständigkeit die Löscharbeiten nach der Branderkennung fallen, für viel zu gering, um eine Katastrophe solchen Ausmaßes zu bekämpfen. Zumal die Angestellten wegen der in den vergangenen Jahren gewachsenen bürokratischen Anforderungen mit der Erstellung von Rechenschaftsberichten für verschiedene Instanzen bereits mehr als ausgelastet seien. Die Einbindung nicht speziell für das Löschen von Wald- und Torfbränden ausgebildeten Personals des Katastrophenschutzministeriums oder des Militärs hält Jaroschenko für wenig effektiv.

Die meisten Brände um Moskau betreffen ungenutzte Torffelder, deren Zustand nicht regelmäßig überprüft wird. Das Problem ist nicht neu. Zu Sowjetzeiten diente Torf anfangs als Brennstoff. Nach der Umstellung der Kraftwerke auf Gas wurden die getrockneten Torffelder in Datschensiedlungen umgewandelt oder sich selbst überlassen. Pläne für die an sich notwendige Flutung landeten in den Schubladen, denn bislang waren sie allen postsowjetischen Regierenden zu teuer.

Auch der Brandschutz sollte das staatliche Budget nicht belasten. Im brandgefährdeten Landkreis Schatura östlich von Moskau, dessen brennende Torffelder in der Millionenstadt für beißenden Rauch gesorgt haben, waren in diesem Jahr nur etwa 7.700 Euro für den Brandschutz vorgesehen. Wirtschaftsliberalen Modellen folgend, delegierten die Lokalregierungen in unverpachteten Forstgebieten diese Aufgaben an Privatfirmen. Ob diese dann in der Lage sind, den vertraglich festgelegten Aufgaben nachzukommen, erweist sich erst im Ernstfall.

Der Ernstfall ist nun eingetreten. Doch heißt das nicht unbedingt, dass entsprechende Veränderungen auf der politischen und administrativen Ebene anstehen. Die Erkenntnis, dass das lange Jahre gepflegte Bild vom starken und funktionstüchtigen Katastrophenschutzministerium ein Mythos ist, reicht nicht aus, um eine Abkehr von dem fast überall im Land praktizierten Modell des Katastrophenmanagements zu bewirken. Auch Premierminister Wladimir Putin mag seiner sich selbst auf den Leib geschriebenen Rolle als Held dieses Mal nicht gerecht geworden sein. Doch allein die Botschaft, dass es ohne ihn noch schlimmer gekommen wäre, verhindert einen Popularitätsverlust.

Weniger günstig ist die Lage für den Moskauer Bürgermeister Jurij Luzhkow und für Boris Gromow, den Gouverneur des Moskauer Umlands. Sie werden für den mangelhaften Katastrophenschutz verantwortlich gemacht. Wenn sie abgesetzt werden, wäre die Gerechtigkeit im Sinne der geltenden politischen Normen wieder hergestellt.

Ute Weinmann arbeitet als freie Journalistin und lebt in Moskau.


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