CHANCE FÜR DEN WANDEL: Kuba ohne Castro

Fidel Castro tritt noch einmal zu den Parlamentswahlen an. Doch der Führungswechsel wurde eingeleitet, Fidels Bruder Raúl befürwortet ökonomische Reformen.

Seit 1953 dominiert ein Name die Geschichte Kubas: Fidel Castro. Damals stürmte er gemeinsam mit seinen Getreuen die Moncada-Kaserne von Santiago de Cuba, mit dem Angriff nahm die Revolution am 26. Juli 1953 ihren Anfang. Hier könnte auch die Karriere des comandante en jefe ihr Ende finden. Castro kandidiert am Sonntag in Santiago de Cuba ein letztes Mal für einen Abgeordnetensitz. In der Stadt wird bereits spekuliert, ob er am 20. Januar persönlich in die ciudad heroíca, die Heldenstadt, kommt oder nicht. Als sicher gilt, dass er in diesem Jahr zum letzten Mal für das kubanische Parlament, die „Nationalversammlung der Volksmacht“, kandidiert.

Jüngst mehrten sich sogar die Zweifel, ob Castro tatsächlich noch einmal antreten wird. Denn Mitte Dezember erschien ein Artikel des Comandante im Parteiblatt Granma, der mit dem Satz endete: „Es ist meine elementare Pflicht, mich weder an Ämter zu klammern noch dem Aufstieg jüngerer Menschen im Wege zu stehen, sondern Erfahrungen und Ideen einzubringen.“ Für Omar Everleny Pérez, Sozialwissenschaftler vom Forschungsinstitut der kubanischen Wirtschaft (CEEC), ist damit klar: „Er will oder kann seine unzähligen Ämter nicht wieder antreten.“

Seit der Veröffentlichung dieses Briefes wird auf Kuba darüber spekuliert, ob der 81-jährige Fidel Castro nicht in letzter Minute noch seine Kandidatur für den Parlamentssitz zurückzieht und endgültig seinen politischen Abschied nimmt. Doch für viele Beobachter, darunter auch Omar Everleny, ist das gar nicht mehr so entscheidend: „Kuba verändert sich und die Zeit lässt sich nicht einfach zurückdrehen. Die Leute warten auf Veränderung.“ Eine Rückkehr von „El“, wie Fidel Castro auf Kuba oft genannt wird, können sich immer mehr Kubaner immer weniger vorstellen.

Der Alltag auf Kuba hat sich merklich verändert. Ersatzlos gestrichen wurden die propagandistischen Kampagnen, die Auf- und Protestmärsche, mit denen Kubas máximo líder in den vergangenen Jahren das Land in Atem hielt. Stattdessen wird, wenn auch in abgestecktem Rahmen, über die Defizite der Revolution diskutiert, und die Kubaner werden nach ihren Wünschen befragt. Zudem werden die USA nicht mehr für alle Probleme verantwortlich gemacht. Interimsstaatschef Raúl Castro, aber mittlerweile auch die Medien, benennen und kritisieren hausgemachte Fehler und Versäumnisse. „Das ist neu, und langsam macht sich Hoffnung breit, dass es nicht nur bei der Kritik bleiben wird“, sagt Oscar García, ein ehemaliger Universitätsprofessor.

Eine Rückkehr von „El“, wie Fidel Castro auf Kuba oft genannt wird, können sich immer mehr Kubaner immer weniger vorstellen.

Die vom 76-jährigen Bruder Fidel Castros initiierten Diskussionen in Betrieben und auf Nachbarschaftstreffen sind alles andere als gleichgeschaltete Abnickveranstaltungen, berichtet Omar Everleny. „Die Dinge, die die Leute stören, kommen dort auf den Tisch.“ Zuoberst auf der internen Mängelliste steht die schlechte Versorgungslage, wofür vor allem die Krise in der Landwirtschaft verantwortlich ist. Die will Raúl reformieren, denn die Revolution soll sich endlich auch am Mittagstisch der Kubaner beweisen.

Der Grund dafür liegt auf der Hand, denn der im Gegensatz zu seinem charismatischen Bruder eher blasse Raúl weiß als Armeechef, dass die gute Versorgung der Soldaten ihm auch viel Loyalität einbringt. Legitimation durch Versorgung könnte man die Strategie dahinter nennen, die nun auf das ganze Land übertragen wird. Nahrungsmittel sind nach wie vor knapp und teuer auf Kuba. Von Jahr zu Jahr müssen mehr Lebensmittel aus dem Ausland importiert werden, 2007 kosteten diese Einfuhren rund 1,7 Milliarden Dollar. Raúl will deshalb den Agrarsektor neu strukturieren.

Erstmals hat er das im Dezember 2006 angekündigt, doch auch ein Jahr später warten die Kubaner noch auf den großen Wurf. Ein Indiz für Auseinandersetzungen hinter den Kulissen, denn längst wird in den Forschungsinstituten Kubas offen über die Landfrage debattiert. „Die Ackerfläche dem, der sie bebaut“, heißt die Devise hinter vorgehaltener Hand im CEEC in Havanna. Mit Raúl ist die vorgesehene Agrarreform denkbar, mit Fidel jedoch kaum vorstellbar, argumentieren die dortigen Experten, die lieber anonym bleiben wollen.

Offenbar hält der kranke Comandante seine Hand über das, was er für unverzichtbare Errungenschaften der Revolution hält. Die zentralisierten Wirtschaftsstrukturen will Bruder Raúl allerdings auf den Prüfstand stellen. „Mehr Leistung“ ist eine seiner Devisen, und dafür nimmt er die Kader genauso wie die Arbeiter in die Pflicht. Zwei Gesetze, die Funktionären genau wie Angestellten mit harten Strafen drohen, wenn sie ihre Arbeit nicht ordentlich machen beziehungsweise ihr fern bleiben, belegen das. Dazu gehört andererseits auch die Einsicht, dass das Lohnniveau den Lebenshaltungskosten nicht entspricht. Raúls Motto, „um mehr zu haben, muss man auch mehr produzieren“, fasst diese Strategie zusammen.

Eine vierköpfige Familie benötigt nach Berechnungen des CEEC etwa 1.600 Peso (nach offiziellem Wechselkurs knapp 1.100 Euro), der kubanische Durchschnittslohn liegt aber unter 400 Peso. Diebstahl, Veruntreuung und Korruption sind die Folge. All dem hat Raúl den Kampf angesagt, es soll aber auch die Versorgung verbessert werden, und die Preise sollen sinken. Dafür braucht er mehr Produktivität, um nicht noch stärker von Venezuela abhängig zu werden. Der „Bruderstaat“ ist längst zum größten Investor und wichtigsten Öllieferanten geworden, der venezolanische Präsident Hugo Chávez freut sich hingegen über die Arbeit von kubanischen Ärzten, Lehrern und Technikern.

Gleichwohl hat die Wirtschaft der Insel ein Problem, denn auf Kuba fehlt es an wirtschaftlicher Dynamik, urteilen kubanische Experten wie Omar Everleny. Die Opposition auf Kuba und im benachbarten Miami glaubt, die Insel sei zu sehr von Venezuela abhängig, und stellt Raúl kein gutes Zeugnis aus. „An der Repression hat sich nichts geändert, und echte Partizipation sieht anders aus“, kritisiert zum Beispiel Oswaldo Payá. Er tritt für ein Referendum über die politische Zukunft des Landes ein und für das Ende von Wahlen, „wo man die Leute bis an die Urne begleitet und wo die Kandidaten von der kommunistischen Partei aufgestellt werden“. Echten Wandel hat es auf Kuba noch nicht gegeben, sagt Payá. Gleichwohl scheint die Ära des Comandante vorbei.

Knut Henkel ist Politikwissenschaftler und hat in Hamburg und Havanna studiert.


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