SPANIEN: Aufstand der Empörten

In Spanien protestieren junge Menschen gegen prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen und gegen den Umgang der Regierung mit der Wirtschaftskrise. Bei den Regionalwahlen hat sich gezeigt, dass nicht nur Jugendliche mit der Krisenpolitik der Sozialisten unzufrieden sind.

Trotz Demonstrationsverbot: Vollversammlung der Protestierenden am vergangenen Wochenende in Barcelona.

Sie nennen sich „Indignados“ (die Empörten), das sind die prekär lebenden Jugendlichen, die in diesen Wochen Zeltlager auf zentralen Plätzen von mehr als 60 spanischen Städten errichten. „Bewege dich, das ist der Anfang“, heißt es auf einem großen Transparent auf der Plaza de la Encarnación in Sevilla, in Málaga wird gefordert, die Verantwortlichen der Wirtschaftskrise sollten deren Kosten bezahlen.

An der Puerta del Sol, dem bekanntesten Platz Madrids hat sich unter großen Planen ein selbstorganisiertes Zeltdorf gebildet. Am Rande des Platzes stehen Mülltonnen und Infostände, es gibt eine Essens- und Getränkeausgabe, eine Küche, WCs. Die Leute bringen Essen vorbei, organisiert wird alles von Komitees, die für diese Mobilisierung gegründet wurden. Im Mittelpunkt der Debatten stehen die Kritik an der Sparpolitik der Regierung von José Luís Rodríguez Zapatero sowie konkrete sozialpolitische Forderungen. Am Montag wurde beschlossen, das Protestcamp mindestens noch eine Woche fortzusetzen und die Mobilisierung in die Stadtteile hinein zu tragen. In Barcelona soll das Camp bis in den Juni hinein fortgesetzt werden.

Die Bewegung, die sich unter dem Motto „Reale Demokratie – Jetzt!“ zusammengefunden hat, entstand vor dreieinhalb Monaten und ist unabhängig von Parteien oder Gewerkschaften. Alles begann mit Diskussionen an den geisteswissenschaftlichen Fakultäten der Universität Complutense in Madrid. „Wir haben eine schwarze Zukunft vor uns, mit wertlosen Universitätsabschlüssen und ohne Zugang zum Arbeitsmarkt“, sagte der Student Olmo Masa im April „El País“, die damals als einzige größere Zeitung darüber berichtete. Am Rande der ersten Demonstration der neuen Jugendbewegung am 5. April befragte „El País“ die Teilnehmenden. Viele berichteten, sie hätten einen Abschluss und arbeiteten bis zu zwölf Stunden am Tag für höchstens 1.000 Euro brutto im Monat. Die meisten wohnen noch bei ihren Eltern, weil sie sich keine eigene Wohnung leisten können. Diese Situation ist nicht neu. Der deregulierte Arbeitsmarkt und das große Ausmaß an Zeitarbeit sind in Spanien schon längst Realität. Bereits 2004 hatte über die Hälfte der Lohnabhängigen unter 29 Jahren einen Zeitvertrag.

Mit der Wirtschaftskrise platzte im Jahr 2008 die spanische Immobilienblase. Zuvor war viel gebaut und zu rasant steigenden Preisen teuer verkauft worden. In Spanien gibt es kaum Mietwohnungen, sondern fast nur Eigentumswohnungen. Nach 2008 sind die Immobilienpreise zwar gesunken, aber wer keine feste Arbeit hat, kann sich nichts kaufen. Die Arbeitslosenquote liegt derzeit bei 21 Prozent. Die Hälfte der spanischen Arbeitslosen ist jünger als 34 Jahre. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt. Vor einem Jahr begann die sozialdemokratische Regierung von Zapatero unter dem Druck der EU und der Finanzmärkte mit einer Sparpolitik, die soziale Einschnitte und gleichzeitig Entlastungen für Unternehmen vorsieht. Jetzt müssen die Spanierinnen und Spanier länger für ihre Rente arbeiten gehen. Die Rentenhöhe wurde ebenso gekürzt wie der Lohn der Staatsbediensteten. Die großen sozialdemokratischen Gewerkschaften UGT und CCOO haben nur halbherzig, mit einem symbolischen eintägigen Generalstreik, dagegen protestiert, aber mittlerweile die Heraufsetzung des Rentenalters und die Aushöhlung des Kündigungsschutzes akzeptiert.

Die Kritik der Protestierenden beschränkt sich aber nicht auf die Lösungen der spanischen Regierung zur Bewältigung der Wirtschaftskrise. Wie auch die Kommunal- und Regionalwahlen am vergangenen Sonntag zeigten, kommt bei den Protesten die allgemeine Unzufriedenheit gegen die spanische politische Klasse zum Ausdruck. Die Sozialistische Partei PSOE erlitt eine Niederlage, die in den Medien als „historisch“ bezeichnet wurde und kam auf 27,8 der Wählerstimmen.

Im vergangenen Jahrzehnt haben Korruptionsfälle bei den beiden großen Parteien, dem PSOE und dem konservativen PP stark zugenommen. Der eigentliche Skandal war für viele Spanierinnen und Spanier der Umgang der Parteien mit diesen Fällen. Bei den Kommunalwahlen standen 260 Personen auf den Listen, die entweder bereits rechtskräftig wegen Korruption verurteilt oder angeklagt sind. Zurückgetreten ist deswegen niemand.

„Wir haben eine schwarze Zukunft vor uns, mit wertlosen Universitätsabschlüssen und ohne Zugang zum Arbeitsmarkt.“

Die neue Bewegung legt Wert darauf, keine Anführer zu haben, doch schon im April trat der 26-jährige erwerbslose Anwalt Fabio Gándara als Sprecher der Protestierenden auf. Er erklärte, sie seien offen für alle, die unter der Krise leiden und kündigte die Großdemonstration vom 15. Mai an.

Mehr als 400 Gruppen schlossen sich dann zur Plattform „Reale Demokratie jetzt!“ zusammen, unter anderem Attac, die große Umweltorganisation „Ecologistas en Acción“ und der landesweite Zusammenschluss der Arbeitslosen. Über Facebook und Twitter wurden schnell Treffen in zahlreichen spanischen Städten organisiert. Es wurde ein Manifest verfasst, in dem zu einer „ethischen Revolution“ aufgerufen wird. Vom Kapitalismus wird darin eher geschwiegen, dafür wird die „Korruption unter Politikern, Geschäftsleuten und Bankern“ kritisiert und mit dem personifizierenden Ressentiment gegen „böse Banker“ und „Spekulanten“ gearbeitet.

Bei den Demonstrationen am 15. Mai gingen schließlich in über 50 Städten insgesamt etwa 150.000 Leute auf die Straße. Die Slogans der Demonstrierenden richteten sich gegen die antisozialen Reformen und gegen Regierungen, die sich „in den Händen von Bankern“ befinden. Gefordert wurde etwa ein Grundrecht auf bezahlbare Wohnungen, die freie persönliche Entwicklung oder der „Zugang zu den Basisgütern, die für ein gesundes und glückliches Leben notwendig sind“. In einigen Zeitungen wurden die Demonstrierenden als „antisistemas“ bezeichnet, der spanische Begriff für jenes linksradikale Spektrum, das auf Deutsch als „Autonome“ bezeichnet wird.

Linksliberale Medien betonten, kleine Gruppen solcher Autonomer und Linksradikaler hätten bei den Demos Müllcontainer angezündet und Schaufensterscheiben eingeschlagen. In Madrid wurden 24 Teilnehmer einer Demonstration verhaftet, die meisten von ihnen, als Polizeieinheiten Sitzblockaden auflösten. Die Repression hatte jedoch nicht den erhofften Abschreckungseffekt. Spontan fanden sich etwa hundert Leute zusammen, die das erwähnte Protestcamp an der Puerta del Sol errichteten. Das Camp wurde zwei Tage später geräumt, doch am selben Abend wurde es neu aufgebaut.

Vergangenen Donnerstag beschloss die spanische Wahlaufsichtsbehörde ein Verbot für alle Demonstrationen und Versammlungen, die für das Wochenende geplant waren. Vor der Wahl müsse es die übliche Pause der Politik „zum Überdenken der Wahlentscheidung“ geben, sagte Zapatero. Er versprach aber gleichzeitig, die Polizei würde „mit Bedacht vorgehen“ und Versammlungen nicht mit Zwangsmitteln unterbinden. Die Bewegung zog ihren Aufruf zurück, am Wahlwochenende zu demonstrieren. Aber viele Camps wurden aufrechterhalten.

Unter dem Hashtag „#spanishrevolution“ Twitter und auf der Webseite „spanishrevolution.eu“ kann man verfolgen, wie sich die Mobilisierung entwickelt. Über die Zukunft der spanischen Jugendrevolte sagt der Soziologe Antonio Alaminos von der Universität Alicante: „Die jungen Spanier und viele Europäer zeichnen sich dadurch aus, dass sie wie ihre Eltern leben wollen, in einer kapitalistischen Konsumwelt. Nicht sie wollen dies beenden, es ist der Kapitalismus, der mit ihnen bricht.“

Gaston Kirsche berichtet für die woxx aus Spanien.


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