TÜRKEI: Juristisches Gerangel

Formal ist die Generalstaatsanwaltschaft im Verbotsverfahren gegen die Regierungspartei AKP korrekt vorgegangen, doch Experten fürchten nicht nur um die außenpolitische Wirkung. Die AKP wiederum will dem Urteil nun mit einer Reform des Verfassungsgerichts vorgreifen.

Die türkische Generalstaatsanwaltschaft möchte der Partei von Präsident Erdogan gerne ein Ticket in die Illegalität verschaffen. Unser Bild zeigt einen Werbebus der AKP vor den Parlamentswahlen im vergangenen Juli.

Als „zivilen Putsch“ bezeichnen selbst erklärte Gegner von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogans Kabinett das Verbotsverfahren gegen die Regierungspartei AKP. Doch das könnte ebenfalls juristische Schritte der Generalstaatsanwaltschaft nach sich ziehen.

Am 3. April kursierte eine in einem bedrohlichen Tonfall gehaltene Presseerklärung, die freilich eher an einen Aprilscherz erinnerte. Darin erklärte das oberste türkische Gericht, es dulde keine Kommentare zum Verbotsverfahren, die über den „normalen Rahmen der Kritik“ hinausgingen. Weiter hieß es, das Gericht werde juristische Schritte gegen die Verfasser von Pamphleten einleiten, die die „Würde des Gerichts“ und seiner Vertreter schmälerten. Wie der „normale Rahmen“ von Kritik auszusehen hat, soll demnach im Ermessen der kritisierten Institution liegen. Dabei wird in der Türkei momentan ungewöhnlich lebhaft und kontrovers über die Funktionsfähigkeit der Institutionen und das Verhältnis von Staatsbürokratie und Politik diskutiert.

In dem Verbotsantrag von Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya wird etwa ein fünfjähriges Politikverbot für 71 führende AKP-Politiker gefordert, darunter auch Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül. Ihnen und der AKP wird vorgeworfen, „Mittelpunkt anti-säkularer Aktivitäten“ zu sein. Kern der Anklage sind zwei Verfassungsänderungen, mit denen die AKP (unterstützt von der ultra-nationalistischen MHP) das Kopftuchverbot für Studentinnen an Universitäten gelockert hat. Die weniger strikte Handhabung des Verbots konnte aber wegen zähen Widerstands der meisten Rektoren bislang kaum praktiziert werden und wird auch innerhalb der Gesellschaft extrem unterschiedlich beurteilt. Ein Grund mehr, den gesellschaftlichen Diskurs nicht zu beschränken.

Die Ereignisse, die für das Verbotsverfahren als Indizien herangezogen wurden, fanden teilweise in den frühen Neunzigerjahren statt. Gegenstand sind wieder einmal vor allem Reden der Politiker. Als Oberbürgermeister von Istanbul nannte sich Erdogan gerne mal „Imam von Istanbul“ und bezeichnete sich als Anhänger der Sharia und Gegner des Laizismus. Seine Ehefrau, Emine Erdogan, die Tochter eines Scheichs aus dem südostanatolischen Siirt, hüllte sich in einen Ganzkörperschleier. Doch das liegt inzwischen mehr als zehn Jahre zurück.

Die AKP hat innerhalb der islamistischen Bewegung in der Türkei einen Demokratisierungsprozess eingeleitet und sich von zentralen früheren Parolen verabschiedet. Eine Generalabrechnung mit den politischen Äußerungen der vergangenen zwanzig Jahre wird dementsprechend kaum die momentanen Machtkämpfe um die notwendigen Reformen im Land beenden. Damit manifestiert das Gericht stattdessen sein Misstrauen gegenüber den Möglichkeiten politischer Weiterentwicklung.

Der Konflikt ist der Höhepunkt im Machtkampf der islamisch geprägten AKP gegen die alten kemalistischen Eliten in Militär, Bürokratie und Justiz.

Die Vorstellung, die Türkei könnte versuchen, anti-laizistische Tendenzen durch ein Verbot der AKP zu stoppen, jagt so manchem EU-Funktionär Angst ein. „In einer normalen europäischen Demokratie werden politische Themen im Parlament diskutiert und durch Wahlen entschieden, nicht jedoch in Gerichtssälen“, belehrte etwa Erweiterungskommissar Olli Rehn vergangene Woche in Ankara die türkische Judikative. „Die Exekutive sollte sich nicht in die Arbeit der Gerichte einmischen; und die Justiz sollte sich nicht in demokratische Politik einmischen“, betonte er zudem. Die EU ist offensichtlich am Ende ihrer Geduld was den politischen Reformprozess der Türkei angeht. So steht etwa immer noch an, den Zensurparagraphen 301 abzuschaffen, der die „Verunglimpfung des Türkentums“ bestraft.

Fakt ist aber auch, dass das momentane Verbotsverfahren von den zuständigen Richtern einstimmig angenommen wurde. Obwohl vier der elf Richter des Verfassungsgerichts als AKP-freundlich gelten, stimmten auch sie für eine Annahme des Antrags. Nur in Bezug auf Staatspräsident Gül gab es ein Minderheitsvotum: Er stehe über den Parteien und könne nicht mit der AKP identifiziert werden.

Die AKP hat bislang vor allem formal gegen den Verbotsantrag argumentiert. Die Partei will erneut die Verfassung ändern, erstens um Parteiverbote nur noch im Fall einer Befürwortung politischer Gewalt zuzulassen und zweitens um das Verfassungsgericht zu reformieren. Für diese beiden Änderungen wird der Partei allerdings voraussichtlich die erforderliche Zweidrittelmehrheit fehlen. Die AKP könnte aber ein Referendum abhalten. Entscheidend dabei wäre, ein solches Plebiszit noch vor einem Urteil des Gerichts zu organisieren.

Der Konflikt ist der Höhepunkt im Machtkampf der islamisch geprägten AKP gegen die alten kemalistischen Eliten in Militär, Bürokratie und Justiz. Der Ausgang ist ungewiss. Im Verfassungsgericht überwiegen zwar die Kemalisten, aber nach Ansicht des früheren Generalstaatsanwalts Vural Savas wird es der AKP gelingen, das Gericht noch vor der Urteilsfindung zu reformieren. „Statt elf wird es bald 17 Richter geben und das wird das Kräfteverhältnis zugunsten der AKP ändern“, erklärte Savas der Tageszeitung Hürriyet.

Es drängt sich in diesem Zusammenhang natürlich die Frage auf, ob eine Reformierung des Gerichts noch vor dem Verbotsprozess nicht eine politische Instrumentalisierung ist. Erdogan kolportierte bereits gewohnt ungeschickt: Die Attacke richte sich nicht gegen ihn und seine islamische AKP, sondern vielmehr „gegen den Willen des Volkes“. Das ist Mumpitz, denn auch wenn eine Partei demokratisch gewählt ist, so bleibt sie gleichzeitig einer Verfassung und Gesetzen unterworfen.

Jenseits der Frage nach der Sinnhaftigkeit des Verbotsverfahrens ist die momentane Gesetzeslage eindeutig. Nach Artikel 2 der Verfassung ist die Republik Türkei ein „demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat“. Vor allem spielt im aktuellen Zusammenhang das Laizismusprinzip eine wichtige Rolle. In der Präambel heißt es, ganz dem Prinzip des Laizismus verpflichtet, die heiligen religiösen Gefühle dürften in keiner Weise mit den Angelegenheiten und der Politik des Staates vermischt werden. In Artikel 68 Absatz 4 steht zudem, dass „die Satzungen und Programme der Parteien (?) den Prinzipien der demokratischen und laizistischen Republik nicht entgegenstehen“ dürfen. Das Verbot von politischen Parteien erfolgt Artikel 69 Absatz 4 zufolge „durch Entscheidung des Verfassungsgerichts aufgrund einer Klage, die von der Generalstaatsanwaltschaft der Republik zu erheben ist. Wird ein Verstoß der Satzung und des Programms einer Partei gegen die Bestimmungen von Artikel 68 Absatz 4 festgestellt, ergeht die Entscheidung auf endgültige Schließung.“ Formal ist die Bundesstaatsanwaltschaft also durchaus korrekt vorgegangen. Ob das bezüglich der Rechtsauslegung auch so bleiben wird, ist unklar. Paragraphen wie der Zensurparagraph 301 bieten große Interpretationsmöglichkeiten. Olli Rehn betonte in Ankara, die Türkei hätte mit dem momentanen Konflikt nicht zu kämpfen, wenn die Reformen bereits weiter fortgeschritten wären.

Inhaltlich betrachten dagegen viele Experten die Vorwürfe gegen die AKP als überzogen. Can Paker, Chef des sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts Tesev, sieht in der Aufnahme eines Verfahrens eine reine Formsache: „Ein Verbot wäre für die Türkei eine Schande.“

Sabine Küper-Büsch arbeitet als freie Journalistin und lebt in Istanbul.


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