DEUTSCHLAND: „Knuddel-Wowi“ gegen „Zicken-Renate“

Am 18. September wählt Berlin ein neues Abgeordnetenhaus. Renate Künast von den Grünen möchte den derzeitigen Bürgermeister Klaus Wowereit ablösen. Doch allein die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt bringt etwas Bewegung in den sonst inhaltsarmen Wahlkampf.

Infantile Pose:
Der amtierende Berliner Bürger-meister Klaus Wowereit (SPD), wie er sich zurzeit den WählerInnen präsentiert.

Erst auf der Zielgeraden scheint der langweilige Berliner Wahlkampf endlich ein Thema gefunden zu haben. Am vergangenen Samstag zogen 5.000 Menschen durch Kreuzberg und Neukölln, um gegen steigende Mieten und soziale Verdrängung zu demonstrieren. Lange Zeit galt Berlin als Stadt der billigen Mieten. Doch diese für MieterInnen paradiesischen Zustände neigen sich dem Ende zu. Seit dem Fall der Mauer stieg die Zahl der Haushalte um 165.000 Einheiten, obwohl die Bevölkerungszahl stagniert. Grund ist die zunehmende Zahl von Singlehaushalten. Da nur wenige Wohnungen neu gebaut werden, wird der zur Verfügung stehende Wohnraum knapper. Ärmere BewohnerInnen werden zunehmende aus dem Zentrum vertrieben. Für diese Art der Verdrängung hat sich der aus dem Englischen stammende Begriff „Gentrifizierung“ etabliert. Arme Stadtviertel ziehen StudentInnen und KünstlerInnen an, die die billigen Mieten schätzen. Galerien und Kneipen öffnen, die Umgebung wird immer attraktiver. Am Ende der Entwicklung entdecken die Wohlhabenden die „Authentizität“ dieser Bezirke und treiben die Immobilienpreise in die Höhe. Vor allem Kreuzberg macht diese Entwicklung gerade im Zeitraffer durch. Der ehemals alternative Stadtteil gehört mittlerweile zu den teuren Ecken in Berlin.

Gleichzeitig stagnieren die Einkommen der BerlinerInnen seit Jahrzehnten. Nirgendwo in Deutschland ist die Arbeitslosigkeit höher als in der Hauptstadt, mehr als ein Fünftel der Bevölkerung lebt von Hartz IV. Und die Arbeitsplätze, die neu geschaffen werden, sind oft prekärer Natur.

Es gäbe also genug zu tun in einer Stadt, die von einer linken Mehrheit regiert wird. Seit 2001, als die SPD die Koalition mit der CDU platzen ließ, regieren in Berlin SPD und PDS – beziehungsweise deren Nachfolgepartei „Die Linke“ – zusammen. 2006 hätte es auch für ein rot-grünes-Bündnis gereicht, doch der amtierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) entschied sich für eine Fortsetzung von Rot-Rot. In den vergangenen Jahren wirkte die Koalition allerdings zunehmend ausgezehrt. Neue Akzente wurden nicht gesetzt. Vor allem in der sozialen Frage agiert die Kommunalregierung wie gelähmt.

Exemplarisch ist dabei das Problem der steigenden Mieten. Jahrelang hat der Senat bestritten, dass es ein Problem auf dem Wohnungsmarkt gebe. Offiziell heißt es auch heute noch, der Berliner Wohnungsmarkt sei entspannt. 100.000 Wohnungen stünden leer, behauptet die Senatorin für Stadtentwicklung. Deshalb hat der Senat auf alle Maßnahmen verzichtet, preisdämpfend auf die Mieten einzuwirken. Berlin hat sich zum großen Teil aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen und die meisten der städtischen Wohnungen in den vergangenen Jahren privatisiert. So sollte auch der immense Schuldenberg der Stadt etwas abgetragen werden. Sozialdemokrat Wowereit, der mit seinem Lebensgefährten in einem Loft am Kurfürstendamm wohnt, wertet die hohen Mieten sogar als gutes Zeichen. Denn steigende Mieten seien ein Beleg für die Attraktivität Berlins. Angesichts solcher Stellungnahmen ist es erstaunlich, dass Wowereit innerhalb der SPD zum linken Flügel gezählt wird.

Der ‚Fukushima-Bonus‘ der Grünen scheint aufgezehrt.

Der Berliner Mieterverein hält die Zahl von 100.000 freien Wohnungen für falsch. Viele davon würden von den Eigentümern gar nicht zur Vermietung angeboten oder seien in einem dermaßen schlechten Zustand, dass sie nicht bewohnbar seien. „Vor allem in den Innenstadt-Quartieren stellen wir einen erheblichen Umzugsdruck fest“, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Wild kritisiert unter anderem, dass der rot-rote Senat sich weigert, ein Zweckentfremdungsverbot zu erlassen. 80.000 Wohnungen in Berlin werden von Anwaltskanzleien oder Werbeagenturen besetzt beziehungsweise in Ferienwohnungen umgewandelt, und sind somit dem Wohnungsmarkt entzogen.

Auch in anderen Bereichen macht der Senat keine gute Figur. So musste er durch ein Volksbegehren gezwungen werden, Geheimverträge mit den privaten Betreibern der Berliner Wasserwerke offenzulegen. Diese bekommen eine Art Profitgarantie, was dazu führt, dass Berlin mit die höchsten Wasserpreise in ganz Deutschland hat. Auch der öffentliche Personennahverkehr in Berlin ist ein Sorgenkind. Seit anderthalb Jahren funktioniert die Berliner S-Bahn nur noch nach einem Notfahrplan. Für das Versprechen der Deutschen Bahn, ihren Konzernsitz in Berlin zu belassen, drückte die Stadt beide Augen zu, als das Unternehmen die Berliner S-Bahn kaputt sparte. Folge sind marode Züge und Gleise.

Eigentlich sollten diese Probleme eine Steilvorlage für die Opposition bei den anstehenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus sein. Doch von Wechselstimmung ist derzeit nichts zu spüren. Einzig das Thema Mieten bringt etwas Bewegung in den Wahlkampf. So plakatiert die Linkspartei „Mieter gegen Wild-West schützen“, als würde sie nicht seit zehn Jahren mitregieren.

Aufregung gab es auch kurz, als die Plakate der rechtsextremen NPD im Stadtbild auftauchten. Darauf ist ihr Vorsitzender Udo Voigt auf einem Motorrad abgebildet, und dazu der Spruch „Gas geben“. Dass diese Plakate zuallererst vor dem jüdischen Museum und dem Haus der Wannseekonferenz auftauchten, darf man als gezielte Provokation bewerten. Die Justiz unternimmt nichts und beruft sich darauf, dass die NPD ja keine verbotene Partei sei. Umso empörter zeigen sich viele ausländische BesucherInnen in Berlin über die Hetzplakate.

Die Plakate der großen Parteien werben vor allem mit dem Konterfeis der SpitzenkandidatInnen. Für die Grünen geht die frühere Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz und derzeitige Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Renate Künast, ins Rennen. Sie tritt explizit mit dem Ziel an, Klaus Wowereit im Roten Rathaus abzulösen. Vor einigen Monaten erschien eine grüne Bürgermeisterin zum Greifen nah. Damals stand die Partei in den Umfragen bei 30 Prozent. Doch seit einigen Monaten verliert sie kontinuierlich an Zustimmung. Der ?Fukushima-Bonus‘ der Grünen scheint aufgezehrt, und Wowereit ist beliebter als Künast.

Bei einer Direktwahl des Bürgermeisters würden sich 61 Prozent für Wowereit entscheiden, und nur 17 Prozent für Künast. Die Grüne gilt als verbissen und spröde, während „Wowi“ sich volksnah gibt. Auf Wahlplakaten knuddelt er Omis und lässt sich von Kindern ein Stoffkrokodil ins Gesicht drücken. Künast will die soziale Spaltung in Berlin überwinden, und die Stadt zur Hauptstadt der regenerativen Energien machen. „Renate arbeitet“, verkünden die grünen Wahlplakate. Wowereit dagegen tourt wie ein Sonnenkönig durch Berlin. Bei den Wahlkampfveranstaltungen, die unter dem Motto „Klaus im Kiez“ abgehalten werden, wirft er sogenannte Wowi-Bären ins Publikum. Angesichts der guten Umfragewerte scheint die Taktik der SPD, den Wahlkampf von jeglichen Inhalten zu befreien und nur auf das Zugpferd Wowereit zu setzen, aufzugehen. Nur beim geplanten Weiterbau der Stadtautobahn A100 lehnt sich die SPD aus dem Fenster. Sie ist für den Bau, der 500 Millionen Euro verschlingen und zahlreiche Wohnhäuser und Kleingartenanlagen zerstören würde, während die Grünen dagegen sind.

Eventuelle Verluste der Linkspartei dürfte die SPD mehr als ausgleichen. Und so könnte es am 18. September wieder für eine rot-rote Mehrheit reichen. Da die liberale FDP immer mehr zerbröselt und wohl auch in Berlin an der Fünf-Prozent scheitern wird, könnten schon 41 oder 42 Prozent für SPD und Linke reichen, um ihre Koalition fortzusetzen. Denn beim letzten Mal stimmten 13,7 Prozent der WählerInnen für Kleinparteien, die den Sprung ins Parlament nicht geschafft haben, darunter Gruppierungen wie „Die Grauen“ oder die „Anarchistische Pogo Partei Deutschlands“, die „Freibier für alle“ forderte.

Regierende Bürgermeisterin könnte Künast wahrscheinlich nur in einer Koalition mit der CDU werden, die mit den Grünen um den zweiten Platz in der Wählergunst buhlt. Doch die Chancen auf ein grün-schwarzes Bündnis stehen nicht gut, nicht nur wegen der schlechten Umfragewerte. Die Berliner CDU war immer schon besonders konservativ. Nach dem Verlust des Bürgermeistersessels vor zehn Jahren hat sie sich nie richtig modernisiert. Es sind immer noch die alten Seilschaften aus Westberliner Filzzeiten, die den Ton angeben. Und mit dem blassen Technokraten Frank Henkel hat die CDU einen Spitzenkandidaten nominiert, der in grünen Kreisen auf wenig Begeisterung stößt.

Die Mehrheitsfindung könnte spannender werden, falls eine der kleinen Parteien überraschend ins Abgeordnetenhaus einziehen würde. Die Piratenpartei steht in den Umfragen bei vier bis fünf Prozent und damit besser da als die FDP. Der Spitzenkandidat der „Piraten“ behauptete zwar in einer Fernsehdebatte, dass Berlin nur ein paar Millionen Euro Schulden habe – in Wirklichkeit sind es 63 Milliarden – aber diese Wissenslücke fiel im lauen Wahlkampf nicht weiter ins Gewicht. Die Piraten sind für freies Kiffen und kostenlosen Nahverkehr, und können damit laut Meinungsforschern gerade bei den jungen WählerInnen punkten. Das ginge vor allem zu Lasten der Grünen, die vielen JungwählerInnen zu arriviert und bürgerlich sind. Sollten die Piraten die Fünf-Prozent-Hürde überspringen, dürfte Rot-Rot aller Voraussicht nach die Mehrheit der Sitze verfehlen. Dann könnten die Grünen sich Hoffnungen machen, wenigstens als Juniorpartnerin der SPD am nächsten Senat beteiligt zu werden.

Claude Kohnen arbeitet als freier Journalist und lebt in Berlin.


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