IRAN: Machtkampf ohne Ende

Die Parlamentswahlen haben an der innenpolitischen Lage im Iran nichts verändert. Präsident Ahmadinejad steht nach wie vor unter Druck. Doch die Aktionen des Regimes werden nervöser – und damit unberechenbarer.

Auf Konfrontationskurs:
Die Bewegung „Green Iran“ hat im Sommer 2009 deutlich gemacht, dass sie keine Reformen, sondern grundlegenden Wandel will.
Vom iranischen Regime wurde sie mit brachialer Gewalt gestoppt.

Man weiß nicht recht, was weniger überraschend war: das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Russland oder das der Parlamentswahlen im Iran. Ging es für Wladimir Putin nur noch darum, wie hoch er gewinnt, stilisierte im Iran das Regime selbst zur Entscheidungsfrage, wie hoch die Wahlbeteiligung sein würde. Dass mit einer neuen Zusammensetzung des Majless, des iranischen Parlaments, irgendwelche inhaltlichen politischen Änderungen verbunden sein könnten, hat in Teheran eigentlich niemand behauptet. Und so kam es, wie es kommen musste: Putin erhielt angeblich mehr Stimmen, als er offiziell erhofft hatte, und im Iran gingen angeblich mehr Menschen wählen, als die offiziellen Prognosen vorausgesagt hatten.

Bei beiden Wahlen ging es darum, ob es gelingen würde, die Wahlen ohne ganz grobe Schnitzer und allzu verdächtige Auffälligkeiten zu inszenieren. Um viel mehr ging es allerdings nicht, und so hat es die Islamische Republik Iran mittlerweile geschafft, dass man ihre Wahlveranstaltung international auch auf diplomatischer Ebene nicht einmal mehr höflich zur Kenntnis nimmt. Früher gab es wenigstens noch ein paar „Reformer“ zu wählen, auf die man in Europa und besonders in Deutschland immer viel Wert legte, um den „kritischen Dialog“ mit dem Iran zu bewerben. Nun hat der frisch gekürte Präsident des europäischen Parlaments, Martin Schulz, zu den iranischen Wahlen auch nichts anderes mehr zu sagen, als dass sie, „unabhängig von der Wahlbeteiligung“, alle demokratischen Standards verfehlten und „lediglich eine Methode zur Messung der internen Machtkämpfe innerhalb des Regimes“ seien.

Das Ergebnis dieser Machtkämpfe ist im Übrigen, trotz aller bemühten schnellen Analysen, wonach der amtierende Präsident Mahmoud Ahmadinejad an Einfluss verloren habe und die „Konservativen“ um den religiösen Führer Ali Khamenei gestärkt worden seien, längst nicht absehbar. Vermutlich bleibt einfach alles beim Alten, denn Ahmadinejad war auch vorher schon in der Defensive gegenüber dem Ayatollah.

Interessanter wird es erst in einigen Wochen mit der Wahl eines neuen Parlamentsprechers, da diese in Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen 2013 von Bedeutung ist. Die Parlamentswahlen waren nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu diesem von den Machthabern gefürchteten Termin. Der „Sieg“ des Regimes bei den aktuellen Wahlen wurde vor allem dadurch ermöglicht, dass es gelang, alles innerhalb eines nur noch recht engen Machtzirkels untereinander abzumachen, ohne sich endgültig gegenseitig zu zerfleischen.

Seine internen Widersacher werden Ahmadinejad auch während seines anstehenden letzten Amtsjahres das Leben schwermachen. Der Iran wird unter zunehmender wirtschaftlicher und außenpolitischer Bedrängnis innenpolitisch weiterhin handlungsunfähig bleiben. Das wird allerdings gefährlicher, denn die Reaktionen des Regimes werden nervöser und noch unberechenbarer, als sie es schon bisher waren. Die offensichtlich hektisch und – glücklicherweise – schlampig ausgeführten jüngsten Attentatsversuche auf israelische Diplomaten in Asien sind dafür ein Beispiel. Wenn die mutmaßlichen iranischen Agenten dort – auch unabsichtlich – ein Blutbad angerichtet hätten, wäre das Resultat womöglich ein veritabler Nahostkrieg gewesen.

Durch die dramatischen Umwälzungen in der Region schwindet die Bereitschaft der anderen regionalen Akteure, die massiven iranischen Interventionen zu akzeptieren.

Irgendjemand auf der anderen Seite weiß zudem mittlerweile sehr genau über das iranische Atomprogramm Bescheid und hat offenbar die Möglichkeit, nicht nur einen Computervirus wie „Stuxnet“ einzuschleusen, sondern auch führende Verantwortliche des Atomprogramms gezielt zu töten. Gerade wenn man die Affinität des politischen Diskurses der Islamischen Republik Iran zu Verschwörungstheorien in Betracht zieht, dürfte das in Militär- und Sicherheitskreisen zu einem regelrechten Schock geführt haben. Und nun ist in Syrien auch noch das Regime Bashar al-Assads bedroht, mit dessen Existenz im Grunde die ganze nahöstliche Machtpolitik des Iran der letzten zwei Jahrzehnte steht und fällt. Die Frage ist, wie panisch der Iran reagieren wird, wenn es ernst wird.

Ganz gleich, um welches Problem im Nahen Osten es sich handelt: Überall spielt die „Islamische Republik“ eine verheerende, destruktive Rolle. Und solange der Iran sich nicht wandelt, wird es dabei bleiben. Durch die dramatischen Umwälzungen in der Region schwindet allerdings die ohnehin schon immer nur widerwillige Bereitschaft der anderen regionalen Akteure, diese massiven iranischen Interventionen zu akzeptieren.

Bisher hat etwa die in der Türkei regierende AKP es zwar bei all ihren Versuchen, die Rolle einer neuen dynamischen Macht im Nahen Osten zu übernehmen, peinlich vermieden, mit dem Iran aneinanderzugeraten. Eine Eskalation in Syrien könnte die bisherige Zurückhaltung aber beenden, sogar gegen den eigentlichen Willen der Türkei. Jüngst hat sich der stellvertretende türkische Ministerpräsident Bülent Arínç bei einem AKP-Treffen publikumswirksam „an die Islamische Republik Iran“ mit der Frage gewandt, ob sie es denn angesichts ihres Schweigens zu Syrien noch verdiene, „islamisch“ genannt zu werden. Die diplomatischere Version kam von Staatspräsident Abdullah Gül, der darauf hinwies, dass „selbst der Iran nicht die Macht habe, Wasser bergauf fließen zu lassen“. Man rede mit den Iranern, um sie von den „unausweichlichen“ Maßnahmen gegen Assad zu überzeugen. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan komplettierte diese Äußerungen mit dem Hinweis, er werde noch im März nach Teheran fliegen. Dass er dort das Regime überzeugen wird, seinen einzigen echten Verbündeten in der Region, also Syrien, fallen zu lassen, wird er selbst nicht annehmen.

In der Frage der leidigen Atomverhandlungen wird sich ohnehin nichts bewegen. Die Atomfrage ist für das gesamte Regime längst zur Staatsräson und damit zur Überlebensfrage geworden. Selbst wenn die Regierung in Teheran es wollte, sie kann gar nicht zurückweichen. Zwar wird es eine neue Gesprächsrunde zwischen dem Iran und den „5 plus 1“-Mächten geben. Dass sie anders endet als die Gespräche vom Januar 2011 in Istanbul, nämlich ohne Ergebnis, erwartet aber niemand.

Ein Problem, für das die Wahlen im Iran exemplarisch sind. Denn es stellt sich die Frage, mit welchen Teilen des Establishments überhaupt über die Atomfrage verhandelt werden kann. Jede auch nur rein rhetorische Andeutung etwa aus dem Lager Ahmadinejads, die man bei gutem Willen als Zeichen der Kompromissbereitschaft deuten könnte, würde unweigerlich zum nächsten internen Machtkampf im Iran führen.

Das Problem für Ahmadinejad und seine Gefolgsleute ist, dass das lange bewährte Taktieren und Zeitschinden nicht mehr funktioniert, seitdem die Sanktionen gegen das iranische Regime in Kraft sind. Die Zeit läuft den Herrschenden davon, der iranische Rial hat sich der Inflation ergeben, die Verbündeten wanken, die Golfländer kaufen sich in der ganzen Region eine Klientel zusammen, welcher der Iran verhasst ist. Selbst die Hamas ist schon dabei, davon zu profitieren und distanziert sich vom Iran. Und so warten alle darauf, dass im Iran selbst etwas Grundlegendes passiert. Die Protestbewegung im Sommer 2009 war eine solche Chance, aber man hat sie auch im Westen verpasst.

Oliver M. Piecha ist freier Autor und schreibt unter anderem für den Blog
http://freeirannow.wordpress.com.


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