In der Galerie Nosbaum & Reding stellen derzeit zwei Künstler aus, bei denen der Schaffensprozess wichtiger scheint als das Endresultat: Stephan Balkenhol und Julius Grünewald.
Stephan Balkenhol ist wohl einer der bekanntesten und zurzeit kontroversesten deutschen Bildhauer. Seine Skulptur „Balanceakt“ vor dem Berliner Axel-Springer-Hochhaus wurde Anfang März mit Farbe übergossen und die Leiterin der documenta 13 fühlt sich bedroht von einer Skulptur, die er auf einem Kirchturm direkt gegenüber des documenta-Geländes installiert hat. Die zwei Meter große Skulptur stellt einen Mann mit ausgestreckten Armen dar, der dermaßen lebensecht wirkt, dass die Feuerwehr bereits wegen eines vermeintlichen Suizidversuches anrücken musste. Die Werke, die derzeit in der Galerie Nosbaum & Reding zu sehen sind, sind jedoch ganz und gar unbedrohlich.
In der Tat bestechen Balkenhols Holzfiguren auf den ersten Blick vor allem durch ihre Neutralität: Nichts erscheint ungewöhnlich oder außerordentlich, weder ihre Haltung, noch ihr Blick oder ihre Kleidung. Alles an ihnen ist gnadenlos normal und sie wirken leer und ausdruckslos. Balkenhol überlässt es nämlich, ganz im Sinne von Umberto Ecos „offenem Kunstwerk“, dem Betrachter, seine Werke zu deuten. Aufgrund der bemerkenswerten Lebensechtheit der ausgestellten Figuren stellt man sich in diesem Fall schnell die Frage, inwieweit der Mensch sich selbst definiert, und inwieweit er, wie Balkenhols Figuren, von anderen „gedeutet“ werden kann.
Dabei sind die Skulpturen alles andere als glatt oder gar langweilig. Im Gegenteil: Bei näherem Betrachten erkennt man klar die groben Spuren des Arbeitsprozesses, und sieht wie viel Textur sich unter dem unscheinbaren ersten Eindruck verbirgt. Manchmal hängen hier und da sogar noch Späne, sodass die Werke unvollendet wirken. Auch dies könnte dahingehend interpretiert werden, dass Kunstwerke, so wie die menschliche Identität, eigentlich nie ganz vollendet sind. Sie werden erst durch den Betrachter zum Leben erweckt, und nachher kann immer noch ein bisschen daran gefeilt werden.
Genau wie Balkenhols Skulpturen wirken auch Julius Grünewalds großformatige Gemälde teilweise unvollendet, und es scheint fast als habe er mittendrin auf einmal keine Lust gehabt, weiterzumalen. Daher bieten seine Bilder eine verschwommene, partielle Sicht der Dinge. Die banalen, alltäglichen Objekte sind eher zweitrangig und es ist die Malerei an sich, die im Zentrum seiner Bilder steht. Auch er räumt dem Arbeitsprozess und der Technik einen fundamentalen Platz ein. Dies bewirkt, dass sich die Bilder zwischen figurativer Malerei und Abstraktion bewegen, und man erkennt oft nicht wo die Abstraktion aufhört und die Realität beginnt. Hierbei hängt die Analyse des Betrachters stark von seinem Blickwinkel ab, denn aus manchen Perspektiven wirken die Bilder vollkommen abstrakt, aus anderen erkennt man jedoch noch einen Hauch von Wirklichkeit. Da Grünewald die Farben teilweise sehr dick aufträgt, wirken seine Bilder fast lebendig. So scheint der Inhalt eines aufgeschlagenen Buches sich zum Beispiel von den Seiten zu lösen, und man glaubt fast die Tabakkrümel in einer Pfeife zu sehen.
Einziger Wehrmutstropfen ist das geringe Ausmaß der Ausstellung, was natürlich der Größe der Galerie geschuldet ist. Dabei wurden die Werke dennoch gekonnt im Raum integriert, sodass ihre Wirkung auf den Betrachter noch verstärkt wird. Balkenhols Skulpturen, ob klein oder überlebensgroß, wirken zum Beispiel immer etwas allein gelassen und verloren, was ihre scheinbare Leere unterstreicht. Bleibt zu hoffen, dass Balkenhol demnächst noch weitere seiner Skulpturen (neben seinen großherzoglichen Porträts) im Mudam ausstellen kann, denn in größeren, offeneren Räumen würden sie bestimmt noch besser zur Geltung kommen. Alles in allem regen die Werke beider Künstler zum Nachdenken über die Ausrichtung der Kunst, und vor allem über das Verhältnis zwischen Künstler, Werk und Betrachter an.
In der Galerie Nosbaum&Reding, bis zum 30. Juni.
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