STREIT UM FLOTTENSTÜTZPUNKT IN SÜDKOREA: Destroyer gegen Delfine

Auf der Insel Jeju, 2003 zur „Insel des Weltfriedens“ erklärt, kämpft ein Dorf gegen den Bau eines Flottenstützpunkts in einem Naturschutzgebiet. In Südkorea hat die Demokratie eine kurze, die Unterdrückung dagegen eine lange Geschichte.

Die Stimmung ist angespannt, als ein Fahrzeug vor dem Eingangstor zur Baustelle des größten Flottenstützpunkts Asiens stehen bleibt. Ein Mann kriecht hastig darunter und kettet sich mit Handschellen fest, während ein anderer, mit Stacheldraht umwickelt und durch eine Gesichtsmaske unkenntlich gemacht, aufs Dach klettert. Eine Gruppe Menschen, darunter eine Handvoll protestantischer Pfarrer und katholischer Priester und Ordensschwestern, häufen Brennholz, Steine und Müll um das Auto herum auf und bilden einen Ring. Nach ein paar Minuten stürmen über 300 Polizisten über die Brücke heran, auf der ein Meer von gelben Flaggen mit der Aufschrift „kein Flottenstützpunkt!“ wogt. Die Protestler werden umstellt und einer nach dem anderen hinter die Reihen der Polizisten geschleppt.

Die Sirene fängt an zu heulen, zum Zeichen, dass die Einwohner des 2.000 Seelen-Dorfs Gangjeong sich zum Tor begeben sollen. Immer mehr Fischer und Bauern nähern sich der Polizeiblockade. Einige beginnen heftige Diskussionen mit den Polizisten und versuchen sie bei ihren Maßnahmen zu behindern. Trotzdem wird der Mann auf dem Autodach schließlich in eine Decke gehüllt und vom Auto heruntergerissen. Die Polizei braucht jedoch eine gute Viertelstunde, um ihn in den Polizeiwagen zu verfrachten, weil mehrere ältere Frauen sich an der Autotür festklammern. Schmerzensschreie sind zu hören, als Polizisten versuchen, die Handschellen des unter dem Wagen liegenden Mannes aufzutrennen. Nach etwa eineinhalb Stunden ist der Weg leergeräumt, und eine schier endlose Kolonne von Betonmischer donnert in die Baustelle.

Sobald der letzte Lastwagen hinter dem Tor verschwunden ist, ziehen sich die Polizisten so schnell wie sie gekommen sind wieder zurück. Einige Aktivisten sitzen weinend auf dem Boden. Die 42-jährige Sung Sim Jang, die seit zwei Wochen im Hungerstreik ist, klammert sich am Stacheldraht fest und schreit verzweifelt. Die Nachricht verbreitet sich schnell, dass drei Männer festgenommen wurden, wodurch die Zahl der Verhaftungen seit 2009 auf 589 angestiegen ist. Nach und nach erheben sich alle wieder und schieben das Geröll vors Tor zurück. Alle wissen, dass die Polizei in spätestens einer Stunde wieder auftauchen wird, um den Weg für die Betonmischer ein weiteres Mal freizumachen. Seit 2010 besetzen Protestler den Eingang der Baustelle täglich, und im Stundenrythmus werden sie aus dem Weg geräumt.

Die subtropische Vulkaninsel Jeju, ungefähr 80 Kilometer vom koreanischen Festland entfernt, wurde wegen ihrer einzigartigen Natur und biologischen Vielfalt von der UNESCO zum Weltnaturerbe ernannt. Das Meer vor dem Fischerdorf Gangjeong beherbergt seltene Weichkorallen und stellt einen der wichtigsten Lebensräume des vom Aussterben bedrohten indo-pazi?schen Flaschennasendel?ns dar. Die Küste um das 2.000-Seelendorf Gangjeong wurde deshalb 1991 zur „Absoluten Erhaltungszone“ deklariert. Im Jahr 2009 annullierte der Gouverneur der Insel diese Einstufung, um den Bau des Flottenstützpunkts zu ermöglichen.

Der 1,2 Kilometer lange Gureombi Felsen, auf dem der 49-Hektar-Flottenstützpunkt angelegt werden soll, hat einen hohen Wert für die Einwohner. Er ist der einzige glatte vulkanische Frischwasserfelsen in Korea; die Frischwasserquellen unter ihm speisen wahrscheinlich den Gangjeongfluss, der 70% des Trinkwassers für die südliche Hälfte der Insel liefert. Sung-Hee Choi, eine Aktivistin vom Festland, erregt sich: „Nur drei Prozent der Küste Jejus sind geschützt. Und gerade hier wollen sie jetzt einen Flottenstützpunkt bauen. Wenn es unbedingt sein muss, gibt es andere Orte auf der Insel, die besser geeignet wären.“

Im Kampf der Wale wird eine Krabbe zermalmt

Zunächst wurden zwei andere Orte an der Südküste Jejus für die Errichtung des Flottenstützpunktes vorgeschlagen, was dort sofort heftige Proteste auslöste. Der ehemalige Bürgermeister Gangjeongs beschloss im April 2007, ohne Absprache mit seinen Bürgern, sein Dorf als Bauplatz vorzuschlagen. Normalerweise muss der Bürgermeister eine öffentliche Abstimmung organisieren und eine Woche Wartezeit einhalten. Das lokale Abstimmungsprotokoll wurde allerdings ignoriert, und nach nur drei Tagen stimmten 87 Wahlberechtigte über das Projekt ab. Heftige Demonstrationen folgten und der Bürgermeister wurde seines Amtes enthoben. Der neue Bürgermeister organisierte ein Referendum, in dem 94% der Einwohner sich gegen den Bau des Flottenstützpunkts aussprachen. Die Regierung in Seoul weigerte sich, dieses Resultat anzuerkennen.

Der Stützpunkt ist nicht nur als Heimathafen für bis zu 20 Kriegsschiffen konzipiert, sondern soll auch zwei Anlegestellen für jeweils bis zu 150.000 Tonnen große Kreuzfahrtschiffe umfassen. Der Bau des Stützpunkts sei unabdingbar für die nationale Sicherheit und die Kontrolle des militärischen und zivilen Seeverkehrs in den umliegenden Gewässern, argumentiert die koreanische Marine. Das Meer südlich von Jeju sei „wie ein nicht-umzäumter Hof“ und brauche Schutz.

„Wir verstehen nicht, warum Südkorea mit mehr als 100 militärischen Anlagen noch eine Militärbasis braucht“, empört sich der Bürgermeister Gangjeongs. „Wir sind nicht überzeugt von dem Argument, dass dieser Flottenstützpunkt die Sicherheit unseres Landes erhöhen wird. Bei der Planung wurden jegliche demokratischen Werte einfach ignoriert.“ Die Einwohner Gangjeongs, die vorwiegend vom Fischfang und der Landwirtschaft leben, machen sich Sorgen um ihre berufliche Existenz, ihr Familienerbe und das allgemeine Wohl des Dorfes. Die Regierung ist der Meinung, dass die Einwohner finanziell korrekt entschädigt wurden, während viele Dorfbewohner sich unter Druck gesetzt fühlen und beteuern, ihnen sei keine vollwertige Alternative für den Verkauf ihres Landes angeboten worden.

Die Flottengegner befürchten, Opfer zu werden: „Im Kampf der Wale wird eine Krabbe zermalmt“, wie es in einem koreanischen Sprichwort heißt. Südkorea streitet mit seinen Nachbarn Japan und China um Hoheitsrechte auf dem Meer sowie um kleine Inseln. Gangjeong befindet sich nur 500 Kilometer vor der Küste Shanghais, und viele Einheimische sowie Friedensaktivisten aus ganz Südkorea befürchten, dass der Militärstützpunkt zu Spannungen mit China führen wird. In Gangjeong sind sich weiterhin viele darin einig, dass der Flottenstützpunkt nur gebaut wird, weil die Regierung von den Vereinigten Staaten unter Druck gesetzt wird. Obwohl die Regierung darauf beharrt, dass das Projekt nicht für die Bedürfnisse Amerikas gebaut wird, musste sie doch zugestehen, dass die US-Navy aufgrund des geltenden Verteidigungspakts das Recht hat, alle Häfen und Flughäfen in Südkorea zu nutzen.

„Seit über 60 Jahren sind die Vereinigten Staaten der Hauptstrippenzieher in Korea“, regt sich Jeanne d’Arc auf. Sie ist eine katholische Ordensschwester, die seit über einem Jahr täglich an den Protesten teilnimmt. „Es ist jetzt Zeit, dass Südkorea seine eigenen Entscheidungen in punkto Sicherheit trifft.“ Die Vereinigten Staaten sind seit dem Koreakrieg (1950-1953) noch immer der wichtigste militärische Verbündete Südkoreas: 28.000 Soldaten sind im Land stationiert. Jeanne d’Arc kommt zu dem Schluss „Jedesmal, wenn die Vereinigten Staaten sich einmischen, sind die Folgen katastrophal.“

Vom Massaker zur Insel des Weltfriedens

Im Jahre 1948 befand sich letztmalig ein Militärstützpunkt auf Jeju. Am Ende des Zweiten Weltkrieges waren viele Einwohner Jejus enttäuscht, dass es kein selbstbestimmtes, vereintes Korea geben würde, sondern dass durch fremde Mächte Treuhandgebiete eingerichtet wurden. Nachdem die Polizei am 3. April desselben Jahres bei einer öffentlichen Erinnerungsfeier zur Unabhängigkeitserklärung vom 1. März 1919 (gegen die japanische Kolonialmacht) sechs Menschen erschoss, was zu einem Generalstreik führte, entschied die US-Militärregierung, ein Untersuchungsteam nach Jeju zu entsenden. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass Jeju „eine rote Insel“ sei. Mitglieder der ultrarechten paramilitärischen Gruppen der Nord-West-Koreanischen Jugend (Nkya) wurden nach Jeju abkommandiert und terrorisierten unter dem Vorwand einer Jagd auf Kommunisten die Inselbewohner. Eine kleine Gruppe schlecht bewaffneter Rebellen setzte sich zur Wehr. Der amerikanische Militärgouverneur in Korea erklärt der Presse, dass die Angreifer nordkoreanische kommunistische Soldaten seien, woraufhin die amerikanischen Befehlshaber sich zu einer gewaltsamen Beendigung des Aufstands entschlossen.

Während der nächsten vier Monate wurden 30.000 Menschen getötet und über 40.000 Häuser niedergebrannt. 90.000 Menschen wurden obdachlos (bei einer Bevölkerung von damals 300.000). Der offizielle Urheber dieser Maßnahmen war zwar Präsident Syngman Rhee, tatsächlich wurden sie jedoch von den amerikanischen Besatzern in die Wege geleitet. Ein langes Schweigen folgte, und erst 2003 entschuldigte sich Präsident Roh Moo-Hyun (2003-2008) offiziell und erklärte Jeju zur „Insel des Weltfriedens“. Es war dieser Präsident, der vier Jahre später den Bau des Flottenstutzpunkts auf derselben Insel beschloss.

Die drei festgenommenen Protestler werden drei Tage nach ihrer Festnahme wieder freigelassen. Dass dies so schnell geschieht, führen viele auf die zeitliche Nähe der Ereignisse zu den Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember zurück. „Wenn die regierende konservative Saenuri-Partei mit Park Geun-hye, der Tochter des verstorbenen Diktators Park Chung-Hee gewinnt, dann landen wir wahrscheinlich alle für sehr lange Zeit hinter Gittern. Sie hat erklärt, dass sie Jeju in das Hawaii Koreas verwandeln will“, erklärt Jeanne d’Arc. „Wenn die oppositionellen Demokraten gewinnen, dann haben wir die Hoffnung, dass sich etwas ändert“. Der Bürgermeister Kang bekräftigt: „Wir kämpfen schon seit fünf Jahren gegen den Bau dieses Flottenstützpunkts. Wenn es sein muss, werde ich noch weitere 50 Jahre dagegen kämpfen. Dies ist die Insel des Weltfriedens! Wir sind der festen Überzeugung, dass friedliche Proteste Diktaturen zu Fall bringen können. Deshalb werden wir kämpfen, bis wir gewonnen haben. Egal was passiert.“

Carole Reckinger war im Auftrag von „Peaceworkers USA“ vor Ort, um die Proteste zu dokumentieren.
Mehr Fotos von ihr findet man unter: http://carolereckinger.co.uk/blog/


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