Ein ziemlich ungewöhnlicher Vorgang: Der Direktor einer hohen staatlichen Verwaltung übernimmt den Vorsitz des Verwaltungsrats eines auf seine Unabhängigkeit pochenden wissenschaftlichen Instituts und besetzt interimistisch auch noch dessen Direktionsposten. Die woxx unterhielt sich mit Raymond Wagener, der alles andere als ein Machtmensch ist.
woxx: Im Laufe des Jahres 2011 wurde die Krise des Ceps offenbar, im Jahr darauf trat der amtierende Direktor in den Ruhestand und wurde durch den neu bestimmten Präsidenten des Verwaltungsrats, nämlich Sie, interimistisch ersetzt. Was war der Ursprung dieser Krise?
Raymond Wagener: Da ich 2011 noch nicht Mitglied des Ceps-Verwaltungsrats war, habe ich damals die Krise und ihre Entstehung nur am Rande mitbekommen. Eigentlicher Auslöser der Krise war die Finanzsituation. Das für 2012 ausgewiesene Budget sah ein starkes Defizit vor, hervorgerufen vor allem durch die hohen Mietkosten, die in den gegenwärtig genutzten Räumen im Dexia-Gebäude auf Esch-Belval entstanden waren. Die Miete in Millionenhöhe wird bei Weitem nicht in vollem Umfang von einer spezifischen staatlichen Subventionierung abgedeckt. Zum anderen waren in der letzten Zeit die Anträge an den Fonds National de la Recherche sehr wenig erfolgreich. Das waren zumindest die Auslöser, doch dahinter stand ein, in der Historie des Ceps begründeter, Bedarf an Neuorientierung. Das Institut musste seinen Platz in der modernen Forschungslandschaft Luxemburgs erst finden. Entstanden ist das Ceps durch die Initiative des früheren Direktors der LehrerInnenschule, Gaston Schaber, dem eine Art „Bureau d’études“ für das Staatsministerium, aber auch für andere Ministerien, vorschwebte. Das erkennt man im Gesetz von 1989, welches dem bereits bestehenden Ceps einen legalen Rahmen gab: Der Verwaltungsrat wurde vor allem mit Vertretern diverser Ministerien besetzt. Und etwas anderes wird deutlich: Im Gesetzestext kommt das Wort „Forschung“ kaum vor. Das heißt nicht, dass nicht geforscht werden sollte, aber der Schwerpunkt lag doch anderswo. Die Anbindung an das Staatsministerium, also nicht an das Forschungs- oder das Sozialministerium, zeigt, dass hier ein ganz anderer Ansatz gewählt wurde. Das wurde zwar bei der Reform 1999 revidiert, als die Zuständigkeit für das Ceps dem Forschungsminister übertragen wurde. Doch verwischt werden konnten die Ursprünge nicht – wer mich als Präsidenten des Ceps telefonisch erreichen will, muss immer noch unter „Ministère de l’Etat“ nachschlagen …
„Wer mich als Präsidenten des Ceps telefonisch erreichen will, muss immer noch unter „Ministère de l’Etat“ nachschlagen …“
Diese Konstellation war aber vom Ceps-Gründer Schaber so gewollt.
Ja, er hat bewusst nicht den Weg eines CRP, also eines Centre de recherche publique, gewählt. Die legale Basis hierfür wurde schon zwei Jahre vorher, 1987, gelegt. Doch der spätere Wechsel in die Obhut des Forschungsministeriums hat hier zu einer Um-orientierung geführt. Die jährliche Budget-Dotation unterlag nunmehr den im neuen Ministerium geltenden Prinzipien, und die sehen sogennante „contrats de performance“ vor. Die alte Ceps-Struktur, mit einem aufgeblähten Verwaltungsapparat, war darauf nicht vorbereitet.
Wem muss der Vorwurf gemacht werden, das nicht erkannt zu haben?
Niemandem, es hatte, unter dem Impuls des Forschungsministeriuns, eben ein Wandel stattgefunden, der zu anderen Standards führte. Dazu kam dann der erfolgreiche Aufbau der Universität Luxemburg. Das Niveau im Bereich der Forschung war in der Folge stark gestiegen, und die besondere Personalstruktur des Ceps ließ es nicht zu, hier schnell eine Antwort zu finden. Die älteren Teams beim Ceps betrieben zwar auch Forschung, doch taten sie das nicht, wie die jüngeren Generationen, die angehalten werden, in einem kompetitiven Umfeld zu arbeiten, gekennzeichnet vor allem durch rege internationale Publikationstätigkeit. Ihr Fokus lag eher auf rein nationalen Studien, die zwar den Auftraggeber Staat interessierten, die aber kaum eine Chance hatten, einen Widerhall in einschlägigen internationalen Publikationen zu finden. Wer interessiert sich schon für Luxemburg?
Das Ceps schwächelte im Bereich der Forschung. Doch es lieferte auch Ergebnisse, die dem Staat als Auftraggeber von Nutzen sein mussten.
Sicherlich, das sieht man auch am Budget. 60 Prozent der Einnahmen des Ceps kommen über eine direkte staatliche Basis-Subvention. Bei einem Gesamteinnahme-Budget von 17,7 Millionen Euro für 2012 machen die klassischen Studien, die im Auftrag von Ministerien oder öffentlichen Trägern ausgeführt werden, 3,8 Millionen aus, die „recherche compétitive“ noch einmal 2,8 Millionen. Zusammen mit einigen kleineren Einkünften machen die Auftragsarbeiten also weit weniger aus als die 40 Prozent an nicht direkt staatlichen Mitteln, die eigentlich vorgesehen sind. Der Druck von Seiten des Ministeriums wirkt sich doppelt aus: Kommen nicht genügend Aufträge von Dritten, dann ist auch die staatliche Dotation in Frage gestellt.
War das Zerwürfnis zwischen dem ehemaligen Direktor und dem Verwaltungsrat Ursache oder Auswirkung der Krise?
Jedenfalls war die Stimmung zwischen dem Verwaltungsrat und Pierre Hausmann nicht die beste. Es bestand Unklarheit, ob der Weg in Richtung mehr Forschung wirklich beschritten wurde. Es hatten sich zu viele Schieflagen entwickelt, als dass man noch Vertrauen zueinander hätte haben können. Zudem wurde die Geldbeschaffung immer schwieriger. Da es andere Mitstreiter beim Fonds National de le Recherche gibt, liegt die Erfolgsquote für alle eingereichten Projekte bei nur mehr ungefähr 30 Prozent. Als es dann zum Zweck der Kostenreduzierung zu Entlassungen seitens des Direktors kam, war der Eklat perfekt. Allerdings wurde Hausmann nicht „entlassen“, er hat aus freien Stücken seinen Anspruch auf Pensionierung zum frühestmöglichen Zeitpunkt geltend gemacht.
Das war vor Ihrer Nominierung als Präsident des Verwaltungsrats. Die Krise war da ja noch nicht vorbei.
Nein, denn die Erkrankung meines inzwischen verstorbenen Vorgängers Georges Schroeder führte zu dessen vorzeitigem Rücktritt als Verwaltungsratsvorsitzender des Ceps. Die Struktur war sozusagen kopflos. Zudem war es zu Forderungen gekommen, das Ceps zwischen Uni und Statec aufzuteilen. Doch eine Aufteilung war für Minister Biltgen kein Thema. Langfristig gesehen wäre es wünschenswert, die diversen Forschungseinrichtungen in Luxemburg in einer Art Fraunhofer-Institut zusammenzulegen. Doch muss sich auf dem Weg dorthin das Ceps erst einmal selber neudefinieren. Ich habe solch eine Perspektive nie ausgeschlossen. Dazu ist das Ceps in diesem Moment noch nicht bereit.
Wie lautete dann der Auftrag, der zunächst die Übernahme des Postens des Verwaltungsratspräsidenten einschloss?
Einerseits galt es dem Ceps eine neue Ausrichtung zu geben, die erlaubt, die akademische Forschung zu verbessern, ohne das soziale Standbein des Ceps zu vernachlässigen. Wir haben dann in Seminaren mit der Belegschaft und mit Hilfe eines externen Beraters aus Luzern versucht, eine Art Stärken- und Schwächenanalyse zu betreiben, um daraus ein Modell für die Zukunft zu erarbeiten. Die Ergebnisse wurden im Dezember 2012 vom Verwaltungsrat angenommen.
„Kommen nicht genügend Aufträge von Dritten, dann ist auch die staatliche Dotation in Frage gestellt.“
Es zirkuliert derzeit ein anonymes Papier, das der alten Direktion, aber auch Ihnen als aktuellem Chef, vorwirft, das Ceps zerschlagen zu wollen. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?
Das Papier, das jetzt Anlass zu einer parlamentarischen Anfrage war, spricht ausschließlich Sachen an, die vor meiner Mitgliedschaft im Verwaltungsrat liegen. Zum Teil wird da sehr persönlich abgerechnet, weil vielleicht in früheren Zeiten in Sachen Beförderung sicherlich nicht alles nach objektiv nachprüfbaren Kriterien ablief. Meine Arbeit hat als Ziel, dem Ceps eine Zukunft zu geben.
Wie stellt sich die finanzielle Situation jetzt dar. Ist der Kollaps abgewendet?
Der Abschluss 2012 wird weitaus besser aussehen als geplant. Von Dezember 2011 bis zum gleichen Monat 2013 haben 10 Prozent des Personals den Ceps verlassen. Dabei handelt es sich um berufliche Umorientierungen Einzelner, echte Entlassungen, Pensionierungen und die Nicht-Verlängerung von zeitlich befristeten Verträgen. Das hat zu einigen Ersparnissen geführt, die das Resultat 2012 verbessern. Auch 2013 wird wohl noch ein ausgeglichenes Jahr werden, doch 2014 werden unvermeidlich wieder finanzielle Engpässe entstehen, da auch weiterhin die hohen Mietkosten zu Buche schlagen und die neuen Räumlichkeiten des Ceps erst im zweiten Semester 2014 verfügbar sind.
Wie anpassungsfähig ist das Institut heute?
Der verwaltungstechnische Apparat bleibt weiterhin überdimensioniert. Vor allem musste ich feststellen, dass es intern nicht genügend Prozeduren gibt, um die Abläufe zu steuern. Eine Institution mit 120 MitarbeiterInnen braucht andere Verfahren als in den Pionierzeiten des Ceps, als eine Handvoll Leute dort arbeiteten.
„Langfristig gesehen wäre es wünschenswert, die Zentren in einer Art Fraunhofer-Institut zusammenzulegen.“
Haben die Änderungen Aussicht, von allenangenommen zu werden? Deuten die anonymen Vorwürfe nicht auf ein eher schlechtes Betriebsklima hin?
Die Stimmung ist heute sicherlich anders als zu Beginn des vergangenen Jahres. Ich wurde im Februar 2012 in den Verwaltungsrat berufen und dann zum Präsidenten bestimmt. Ich habe bewusst nicht alle der Sitzungsprotokolle durchgelesen, in denen einzelne Streitigkeiten und Misstrauensbekundungen dokumentiert waren. Mein Mandat war, das Institut aus einer schwierigen Situation herauszuführen, zusammen mit der Belegschaft. Auch innerhalb des Verwaltungsrats ist der Ton kollegial und aufgeschlossen, auch wenn es durchaus Meinungsverschiedenheiten gibt, die dann aber auch offen diskutiert werden.
Wie kam es zu dem Beschluss, international einen neuen Direktor zu suchen. Gab es intern keine Kandidaten?
In einer ersten Phase wurde ein Finanzverwalter eingestellt, da es galt die budgetären Probleme des Ceps im Blick zu behalten. Wir haben dann neben dem alten beigeordneten Direktor als Verwaltungsdirektor auch einen wissenschaftlichen Direktor berufen. Um beide in ihrer nicht einfachen Arbeit zu koordinieren, übernahm ich neben dem Verwaltungsratsvorsitz auch formell den Posten des Direktors. Daraufhin haben wir ein Kandidaten-Profil erstellt, das vorsieht, jemanden zu berufen, der beide Aspekte abdeckt: Er oder sie sollte institutionelle wissenschaftlichen Forschung auf hohem Niveau betrieben, aber auch ein vergleichbares Organ in einer Führungsposition mitverwaltet haben und in dieser Funktion auch schon einmal bei einer weitreichenden strukturellen Umgestaltung beteiligt gewesen sein. Die Ursache meines Einspringens als Dienstchef liegt aber auch am Ceps-Gesetz, das eigentlich alle Verfügungsgewalt dem Verwaltungsrat einräumt. Das kommt noch aus der Schaber-Zeit, wo dieser Vorsitzender dieses Gremiums war und de facto auch Direktor. Einen eigenständigen Direktorposten sieht das bestehende Gesetz eigentlich nicht vor.
„Die Ursache meines Einspringens als Dienstchef liegt aber auch am aktuellen Ceps-Gesetz, das einen eigenständigen Direktorposten nicht vorsieht.“
Es gibt drei Phasen für meine Tätigkeit: Die erste, in der die Konzepte zur Umorientierung des Ceps beschlossen und der Direktionsposten ausgeschrieben und besetzt wurden. Die zweite Phase beginnt, wenn Hilmar Schneider im April seinen Posten antritt, dann beschränke ich mich auf den Verwaltungsratsvorsitz, der allerdings nach geltendem Gesetz immer noch alle Zuständigkeiten bündelt. Die dritte Phase wird dann dazu dienen, nach der Neuformulierung des Gesetzes der Luxemburger Forschungszentren, welches dann auch das Ceps neu definiert, voranzutreiben. Ist diese Phase abgeschlossen, wird die Funktion eines Generaldirektors geschaffen, der mit den vollen Zuständigkeiten ausgestattet ist. Der Verwaltungsrat wird dann neu berufen und muss sich dann nicht mehr um das Tagesgeschäft kümmern müssen.
Entschlackung der Verwaltung, niedrigere Gebäudekosten, reicht das aus, um das Ceps nachhaltig in die wissenschaftliche Landschaft zu integrieren?
Zum einen ist jetzt klar, dass das Ceps zu diesem Zeitpunkt als eigenes Institut weiter bestehen und nicht unter den existierenden Strukturen aufgeteilt werden soll. Das neue Gebäude wird dem Ceps als Eigentum übertragen, eine ganze Etage in der „maison des sciences humaines“. Dieses Gebäude ist wesentlich geeigneter für die Art der Arbeit, die geleistet wird. Darüber hinaus wird der spezifische Auftrag der „policy related studies“ in Verbindung mit der akademischen Forschung anerkannt und honoriert. In diesem Geist wird auch demnächst eine neuer „contrat de perfomance“ zwischen Regierung und Ceps ausgehandelt werden. Dennoch, das Ceps wird seine Sichtbarkeit und seine Publikationstätigkeit verbessern müssen. Es gibt schon jetzt interessante Veröffentlichungen, nur stehen sie nicht im Vordergrund. Die strukturellen Bedingungen dafür sind durch das neue Gesetz gegeben. Wenn dann auch noch die finanzielle Situation sich nach dem Umzug verbessert, sind die Voraussetzungen dafür besser denn je.
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CEPS / INSTEAD
CEPS / INSTEAD (oder verkürzt Ceps) steht für „Centre d‘Études de Populations, de Pauvreté et de Politiques Socio-Economiques / International Networks for Studies in Technology, Environment, Alternatives, Development“. Das multidisziplinäre Institut besteht seit mehreren Jahrzehnten. 1989 bekam es den legalen Status eines „établissement public“. Die von dem früheren Direktor der LehrerInnenschule, Gaston Schaber, ins Leben gerufene Einrichtung sah sich als primäres Standbein der Sozialforschung in Luxemburg, eine Auffassung, die spätestens seit der Schaffung der Universität Luxemburg nicht mehr von allen Teilen der Luxemburgischen Forschungsgemeinschaft geteilt wird. 2011 führten finanzielle Probleme zu einer offenen Krise, die im vorzeitigen Rücktritt des damaligen Direktors kulminierte.
www.ceps.lu