GLEICHSTELLUNG: „Ein starkes Signal“

Als Ministerin für Chancengleichheit will Lydia Mutsch Betriebe, Unternehmen und die Politik stärker in die Pflicht nehmen. 40 Prozent Frauen in Führungspositionen bis 2019, lautet ihre Zielvorgabe. Im Gespräch mit der woxx erläutert die Ministerin, wie sie das erreichen will und warum sie keine Alternative zur Quote sieht.

Will stereotype Vorurteile aus den Köpfen und bis 2019 mehr Frauen in Führungspositionen kriegen: Lydia Mutsch bei der Vorstellung ihres Strategiepapiers und der neuen Sensibilisierungs-Kampagne. (Foto: ©Nicolas Bovy/Sip)

woxx: Jean-Claude Juncker hat vergangene Woche seine frischgebackene EU-Kommission vorgestellt. In seiner 28-köpfigen Kommission sind neun Frauen, die der neue Kommissionspräsident mit Ach und Krach aufgetrieben hat, und damit genauso wenige wie unter seinem Vorgänger Manuel Barroso. Bestätigt das nicht mal wieder das Vorurteil, dass es in der Politik zu wenig Frauen in Spitzenpositionen gibt?

Lydia Mutsch: Das ist eigentlich ein gutes Beispiel, um das zu illustrieren, was ich gestern anlässlich der Pressekonferenz gesagt habe. Wir müssen gegen zwei Vorurteile ankämpfen. Das eine ist, dass es keine Frauen gibt, die sich für Führungspositionen eignen, und das andere ist das Vorurteil, dass Frauen nicht an Spitzenpositionen interessiert sind. Tatsache ist, dass es einfach noch zu wenige Frauen in Entscheidungspositionen gibt, und da kann man natürlich hundert Jahre darüber diskutieren, wo die Gründe dafür liegen, oder man kann versuchen – wie ich das jetzt mit dem Strategiepapier tue – etwas daran zu ändern.

In Ihrem Strategiepapier für mehr Chancengleichheit nennen sie elf Maßnahmen, die auf den guten Willen der Betriebe setzen, aber auch mit der Einführung von Quoten Politik und Wirtschaft in die Pflicht nehmen. Doch die „actions positives“ für Privatunternehmen und „Quoten“ waren auch schon Maßnahmen Ihrer Vorgängerin. Was ist neu, und inwiefern gehen Sie radikaler vor?

Die „actions positives“ waren das Kernstück der vorigen Regierung, mit dem eigentlich versucht wurde, auf freiwilliger Basis die Firmen zu ermutigen, sich selbst Ziele zu setzen – ohne eine Verpflichtung, eine Verbesserung der Partizipation der Frauen in den Betrieben zu erzielen. Das ist zum Teil ein Erfolg. Ich möchte mich darüber aber nicht in Zahlen auslassen, weil die Evaluation noch nicht abgeschlossen ist. Was man aber sagen kann, ist, dass es in Zukunft unbedingt verbindliche Zielvorgaben geben muss. Verbindlich insofern, als man eine klare Ist-Situation ausweisen muss. Und als Firma muss man sich auch entscheiden, nach welchen Kriterien man den Fortschritt messen möchte, und klare Zielsetzungen benennen, die man sich in einem bestimmten, klar definierten Zeitraum gestellt hat. Dann natürlich zulassen, dass es eine neutrale Bestandsaufnahme in diesem Zeitraum geben kann. Das ist bis jetzt nicht ausreichend der Fall gewesen. Das hat nichts damit zu tun, dass die Firmen es nicht machen möchten, sondern, dass es eigentlich nur dann statistisch ausgewertet werden kann, wenn die Parameter klar sind. Sonst tun sich die Betriebe für die Gesamtevaluation keinen Gefallen. Es bleibt dann bei Absichtserklärungen, die man nicht messen kann. Wir haben keine Sanktionen für Betriebe vorgesehen, haben aber in den letzten acht Monaten in der Regierung gemerkt, dass man dort, wo wir bei unseren Nominations-Prozeduren diese 40 Prozent als Richtlinie gesetzt haben, das erreichen kann. Ich spreche jetzt wohlverstanden von den Verwaltungsräten. Insofern gehen wir davon aus, dass auch Betriebe sich solche klaren Richtlinien setzen können – ohne, dass es da Sanktionen gibt. Und diese Politik möchten wir also auch einklagen bei den Betrieben, und gleichzeitig wollen wir mit den actions positives, die wir weiter ausbauen werden, ein richtiges Netzwerk von Betrieben schaffen, die sich auf freiwilliger Grundlage verpflichten, diese 40-Prozent-Quote anzustreben.

„Ich sehe Quoten als Hilfsmittel, als Brücke zu einer gerechteren Partizipation von Frauen und Männern in Entscheidungsgremien, und finde sie als solche absolut gerechtfertigt.“

Für die Aufstellung der Wahllisten der Parteien haben Sie sich allerdings einen Sanktionsmechanismus ausgedacht. Falls die Parteien bei der Aufstellung ihrer Listen die 40-Prozent-Quote nicht erfüllen, wollen Sie Ihnen künftig bis zu 75 Prozent der Finanzierung streichen, das Parteienfinanzierungsgesetz soll dahingehend modifiziert werden … Gilt das auch für die Kommunalwahlen?

Das Parteienfinanzierungsgesetz, das wir in Luxemburg haben, bezieht sich nur auf die Landeswahlen und nicht auf die Komunalwahlen. Das stellt uns vor die Herausforderung, eine andere Vorgehensweise für die Komunal- und Sozialwahlen zu definieren. Das ist nicht Bestandteil des Strategiepapiers, da eben die Parteienfinanzierung sich nicht auf die Komunalwahlen bezieht. Da müssen wir in den nächsten Monaten andere Verfahren entwickeln. Wir konzentrieren uns jetzt erstmal in der Zeitachse 2018 auf die kommenden Landes- und Europawahlen, und da wird diese neue Regel gelten, und das wird auch entsprechend im Gesetz geändert werden. Es wird zu einer Modifikation des Parteienfinanzierungsgesetzes kommen. Da wird festgeschrieben, dass lediglich Listen, die 40 Prozent des unterrepräsentierten Geschlechts aufstellen, Anrecht auf 100 Prozent der öffentlichen Zuwendungen bei der Parteienfinanzierung haben. Und das vermindert sich proportional zum Prozentsatz. Wenn man unter 30 Prozent liegt, dann wird man lediglich 25 Prozent der Parteienfinanzierung bekommen können. Das ist, glaube ich, schon ein starkes Signal.

Um Chancengleichheit geht es ja das ganze Leben. Frauen werden verunsichert, unter Zwänge gesetzt von Anfang an – da hilft eine Quote nur sehr bedingt. Ist die Diskussion um Chancengleichheit im Berufsleben und die Quote auch eine Reaktion auf die aktuellen Arbeitskräfteanforderungen des Wettbewerbs? Gibt es keine alternativen Instrumentarien, um Chancengleichheit durchzusetzen?

Ich habe die Regelungen aller Länder durchstöbert nach Alternativen zur Quote und habe nichts Besseres gefunden. Und ich stelle auch fest, dass überall dort, wo Quoten, auch wenn sie nur als Übergangsinstrument oder Hilfsmittel eingesetzt werden, zu einer wesentlichen Verbesserung der Stellung von Frauen in politischen Positionen und wirtschaftlichen Entscheidungsgremien geführt haben. Insofern möchte ich mich nicht mehr darüber unterhalten müssen, ob Quoten schön klingen. Ich sehe sie als Hilfsmittel, als Brücke zu einer gerechteren Partizipation von Frauen und Männern in Entscheidungsgremien, und finde sie als solche absolut gerechtfertigt. Mein Hauptargument ist, dass diese Vorgespräche im Rahmen der Regierungsverhandlungen stattgefunden haben und ich als Ministerin für Chancengleichheit ein Mandat der Regierung habe, diese 40 Prozent über eine Quote einzuklagen. Insofern reihen wir uns jetzt in die Riege jener Länder ein, die in die Offensive gehen.

Gerade in den Verwaltungsräten und in den Chefetagen gibt es noch immer zu wenig Frauen. Im Schnitt sind 19 Prozent der Verwaltungsratsmitglieder weiblich; in börsennotierten Unternehmen sind es sogar nur 11 Prozent. Die Verbesserung geschieht im Schneckentempo. Bedarf es da nicht einer höheren Quote als nur 40 Prozent, um Chancengleichheit langfristig durchzusetzen?

Man muss auch realistisch sein. Sogar durch die Tatsache, dass wir als Regierung in den letzten Monaten 40 Prozent aller Nominierten mit Frauen besetzt haben, führt noch nicht zu einer 40-Prozent-Repräsentation. Es gibt ja sehr sehr viele Externe, die auch Mitglieder in die Verwaltungsräte delegieren, sei es Berufskammern, Gewerkschaften oder Gemeinden. Insofern ist die nächste Hürde, die wir, jetzt, da wir unsere Hausaufgaben gemacht haben, als Regierung nehmen müssen, zu sagen: was wir können, das könnt ihr auch! Bitte strebt diese 40 Prozent an, damit wir sie bis 2019 – das haben wir ja auch so im Regierungsprogramm festgeschrieben – erreichen. Vierzig Prozent sind noch keine 50. Aber es wird nicht ganz einfach sein. Da werde ich in den nächsten Monaten viel herumreisen und neue Kontakte knüpfen, sowie die bestehenden pflegen, und werde sie im Licht der angestrebten 40 Prozent ermutigen, den gleichen Weg einzuschlagen wie die Regierung.

„Ich habe als Ministerin für Chancengleichheit ein Mandat, diese 40 Prozent über eine Quote einzuklagen. Insofern reihen wir uns jetzt in die Riege jener Länder ein, die in die Offensive gehen.“

Aber dann sind wir immer noch nicht bei 40 Prozent, denn es gibt ja auch eine Ist-Situation, entstanden durch die jahrzehnte-, jahrhundertealte Gewohnheit, in der Regel Männer in Entscheidungsgremien zu delegieren … Wenn wir dann erreicht haben, diesen Automatismus aus den Köpfen herauszubekommen, und die Frauen auch etwas mutiger werden – die riesigen Chancen, die ihre gute Ausbildung und ihre Lebenserfahrung, die sie von den Männern unterscheidet, diesen Mehrwert also, in die Verwaltungsräte einzubringen. Wenn sie das richtig einschätzen und auch den Mut haben, mitzumachen, dann haben wir sehr viel Arbeit. Und wenn dann die nächste Regierung 50 Prozent anstrebt, dann will ich gern mitmachen, wenn mir das vergönnt ist.

Vier Werbespots mit einem Affen sind Teil Ihrer neuen Chancengleichheitskampagne. Welche Vorurteile wollen Sie konkret abbauen? Und wozu der Affe? Steht er für eine manchmal machohafte Attitüde der Männer? Wollen Sie damit gegen Stereotype kämpfen?

Der Affe ist weder Mann noch Frau, noch Arbeitnehmer, noch Arbeitgeber. Der Affe steht geschlechtsneutral für eine Person, die in der Evolution irgendwann stecken geblieben ist, sich nicht weiterentwickelt hat, da immer noch die vielen Vorurteile in den Köpfen vorherrschen, die wir nicht loswerden.

Wieso sind in Ihrer Regierung nur vier der 15 Minister weiblich? Und wie steht es um die Quote in Ihrer eigenen Partei? Die Präsidentin der Femmes socialistes Catia Gonçalves hat ja nach den Wahlen selbstkritisch eingeräumt, dass man in punkto Frauenquote noch aufholen muss …

Ja, ich glaube da haben wir noch eine kleine Strecke zu bewältigen. Aber ich möchte betonen, dass es sowohl bei der Aufstellung des Regierungsprogramms als auch bei den Diskussionen, die ich parteiintern über meine Strategie geführt habe, nur positive Rückmeldungen gegeben hat. Sodass ich glaube, dass wir uns da in die Riege der fortschrittlich orientierten Parteien eingeordnet haben und auch dafür kämpfen werden, das parteiintern durchzusetzen.


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