Nächste Woche wird Eva Filzmoser (Carbon Market Watch) in Luxemburg einen Vortrag halten und auch dem Kioto-Unterausschuss des Parlaments einen Besuch abstatten. Die woxx unterhielt sich mit der Expertin für internationale Klimapolitik.
woxx: Wie schätzen Sie die Klimadebatte nach der Konferenz von Lima ein?
Eva Filzmoser: Um die Ergebnisse von Lima für die Euroäische Klimaentwicklung beurteilen zu können, muss man bis zum Oktober 2014 zurückgehen, als sich die EU-Regierungschefs ja auf ein Reduktionsziel von minus 40 Prozent bis 2030 verständigt hatten. Diese Entscheidung muss man im Kontext der internationalen Verhandlungen betrachten, die Ende dieses Jahres in Paris in eine Konferenz münden werden, auf der Europa ein gemeinsames Ziel vorlegen will. Es geht um ein Folgeabkommen zum Kioto-Protokoll, denn die zweite Verpflichtungsperiode wird im Jahr 2020 auslaufen. Das Interessante an diesem 40-Prozent-Ziel ist, dass es in Europa selber erreicht werden soll und nicht, wie es in der jetzigen Klimalegislatur möglich ist, auch durch den Kauf von Emissionszertifikaten, quasi in der Art eines Ablasshandels, woanders in der Welt Emissionen reduzieren sollen. Das ist ja ein großer Fortschritt, weil die Erfahrungen mit dem Emissionshandel gezeigt haben, dass mit ihm nicht nur das Ziel einer weltweiten Reduzierung der Klimagase nicht erreicht worden ist, sondern in den so geförderten Projekten auch qualitative und soziale Standards nicht zum Tragen gekommen sind. Zusätzlich sind wegen der viel zu großzügig vergebenen Zertifikate die Preise pro Tonne CO2 so sehr gefallen, dass das ganze System kollabiert ist.
Sind Sie im Vorfeld der Konferenz von Paris, bei der ja Nachfolgeregelungen zum Kioto-Protokoll getroffen werden sollen, optimistisch?
Optimistisch bin ich insofern nicht, als das 40-Prozent-Ziel der EU nicht ausreichen wird. Auch nimmt die EU mit diesem Ziel in der Klimadebatte keine führende Position ein. Aber wir müssen nach vorne schauen. Unsere Aufgabe ist es ja, das Beste aus diesen Verhandlungen herauszuholen. Wichtig ist jetzt, wie die Debatte innerhalb der EU weitergeführt und wie das vereinbarte Ziel jetzt auch in die Tat umgesetzt wird. Dazu muss das bestehende Regelwerk innerhalb der EU angepasst werden. Dabei kommt es vor allem darauf an, dass die Erfahrungen aus dem Emissionshandel so weit aufgearbeitet werden, dass die Altlast an Emissionszertifikaten, nicht in die folgende Periode, die bis 2030 gilt, hinübergetragen werden.
„Wenn wir nichts tun und die Zertifikate so fortschreiben, wird das 40-Prozent-Ziel untergraben.“
Was hat denn beim Emissionshandel nicht funktioniert?
Zum einen wurden die Emissionszertifikate am Anfang einfach zu großzügig verteilt. Die Wirtschaftskrise hat dann zusätzlich dazu geführt, dass die Emissionen sich weniger stark entwickelt haben, sodass viele der auf dem Markt vergebenen Emissionszertifikate gar nicht gebraucht werden. In den meisten EU-Ländern wird das Klima-Ziel von 20 Prozent bis 2020 ohne irgendein Zutun erreicht. Europaweit ist dieses Ziel eigentlich schon erfüllt. Es gibt unterschiedliche Schätzungen, wie hoch der Überschuss an Emissionszertifikaten tatsächlich ist – sie reichen von 2,6 bis 4.5 Milliarden Zertifikaten, die jeweils einer Tonne CO2 entsprechen. Weil man von vorneherein gesagt hat, dass es zu kostspielig wäre, die Emissionen in Europa zu reduzieren, wurde die Möglichkeit geboten, in Entwicklungsländern, also dort wo die Reduzierung am günstigsten erreicht werden kann, eine Ersatz-Reduzierung durch sogenannte Off-Set-Projekte zu erlauben. Diese Zertifikate haben zusätzlich zu dem Überschuss an Emissionzertifikaten geführt, die nun gar nicht alle gebraucht wurden.
Was soll jetzt mit dieser Altlast passieren?
Wenn wir nichts tun und die Zertifikate so fortschreiben, wird das 40-Prozent-Ziel untergraben. In den Jahren 2020-2030 müsste dann gar nichts gemacht werden. Das ist natürlich nicht Sinn der Sache und würde die EU auch international mit leeren Händen dastehen lassen. Um einen Teil des Überschusses zu kontrollieren, gibt es bereits einen Vorschlag, der wohl spruchreif wird, wenn Luxemburg den Ratsvorsitz in der EU innehat, also in der zweiten Jahreshälfte. Es geht dabei um die sogenannte „market stability reserve“. Ein Teil der überschüssigen Zertifikate soll in eine Reserve überführt werden, mit der das Angebot an die Nachfrage angepasst wird. Es geht leider nicht darum, den Überschuss permanent zu stornieren – und genau da liegt das Problem. Der Hintergrund des Vorschlags ist, den Carbon-Preis nach oben zu treiben. Das ist natürlich auch wichtig. Aber es muss eben auch darauf geachtet werden, dass die überschüssigen Zertifikate wieder zurück in das System gelassen werden und Klimaziele an sich verwässern. Dazu soll es einen Folgevorschlag der Kommission geben, den wir erwarten, sobald diese Reservedebatte abgeschlossen ist. Der soll darlegen, wie die Emissionsziele in den vom Emissionshandel abgedeckten Bereichen in der Praxis erreicht werden. In diesem Vorschlag könnten permanente Regelungen festgelegt werden, die es erlauben, diesen Überschuss loszuwerden.
„Jedenfalls ist der Ablasshandel in der bekannten Form ab 2030 vorbei.“
Wie könnten solche Regelungen aussehen?
Das 40-Prozent-Ziel der EU wird ja eigentlich als „domestic“ definiert, das heißt, die Reduktionen sollen im Prinzip, anders als bisher, ausschließlich innerhalb der eigenen Grenzen erreicht werden. Eigentlich würde das heißen, dass es ab 2030 keine internationalen Zertifikate mehr gibt. Die Clean-Develoment-Mechanisms (CDM), wie sie auf UN-Ebene im Kioto-Protokoll vorgesehen waren, spielen dann für die EU keine Rolle mehr. Aber es gibt Stimmen innerhalb der EU, die empfehlen, den innereuropäischen Emissionshandel dennoch mit dem Emissionssystemen in anderen Regionen zu verlinken. Damit wäre das „domestic“-Ziel aufgeweicht, etwas was wir natürlich nicht akzeptieren könnten. Jedenfalls ist der Ablasshandel in der bekannten Form ab 2030 vorbei, da dann auch andere Regionen, wie eben die bislang mit CDM-Projekten ausgestatteten Entwicklungsländer, eigene Zielvorgaben haben werden. Und die haben dann selber kein Interesse daran, die günstigen Emissionsreduktionen an andere abzutreten. Dazu trägt auch bei, dass die Industrienationen in Zukunft auch Zahlungen an die Entwicklungsländer leisten müssen, damit diese ihre Reduktionsziele erreichen können. Diese Zahlungen müssen zusätzlich zu den Reduktionsanstrengungen zu Hause geleistet werden.
Wiederholt sich da nicht die Geschichte? Die CDM sollten anfänglich nur eine Ersatzlösung darstellen, wurden dann aber für Länder wie Luxemburg zum Hauptinstrument. Es gab langen Streit über die Ziele, die dann später, bei der Festlegung der Spielregeln, arg verwässert wurden.
An sich stimmt das schon, aber es ist eben wichtig, zuerst ein Ziel festzulegen. Und wenn es heißt, dass 40 Prozent zu Hause erfüllt werden müssen, so ist das eine wichtige Ausgangsbasis, weil es dann eben keinen Platz mehr für Off-Set-Projekte geben wird. Allerdings bleibt uns die Debatte über die Qualität der CDM erhalten. Besonders für Luxemburg, das umfangreichen Gebrauch von diesem Instrument gemacht hat und dies auch noch bis 2020 tun wird. Luxemburg hat seine Ziele für 2013 nicht erreicht und wird weiter Emissionszertifikate nach den geltenden Regeln kaufen müssen. Daher bleibt hier die Qualitätsdebatte auf jeden Fall aktuell. Es geht um die Frage, welcher Art von Zertifikaten man überhaupt noch trauen kann, welche für echte Reduktionen stehen. Bedenkenswert sind auch soziale Kriterien, zu denen es leider weder auf Regierungs- noch auf EU-Ebene verbindliche Vorgaben gibt. Für Luxemburg wird die Situation nach 2020 eine ganz andere sein als jetzt. Jetzt muss danach getrachtet werden, das Ziel für 2020 so effizient wie möglich zu erreichen, das heißt ohne Rückgriff auf schlechte Zertifikate. Parallel dazu muss aber auch überlegt werden, wie dann ab 2020 das inländische Ziel erreicht werden kann.
Wer ist denn für die Qualität der CDM-Vorhaben verantwortlich?
Die Verantwortung liegt auf jeden Fall bei den Regierungen, die die Zertifikate erwerben. Als politische Instanz treffen sie die Entscheidungen, und es sind die Regierungen, die ja auf UN-Ebene dazu beitragen können, dass bestimmte Standards erreicht werden. Seit Jahren wird über die CDM-Standards debattiert, wobei die Diskussionen unheimlich schleppend vorangehen. Dabei sind die Standards wichtig, auch über die CDM hinaus, auch für andere Ausgleichssysteme die später regional zum Einsatz kommen sollen. Wenn zum Beispiel im Bereich der Energieversorgung, aufbauend auf wissenschaftlichen Studien, festgesetzt wird, dass bestimmte Arten von Kraftwerken als minimaler Stand der Technik gelten, sollen für diese keine Reduktionen mehr gutgeschrieben werden können. Leider gibt es aber international zu viele Widerstände, bestehende Regeln abzuändern. Dadurch obliegt es den Käufern, wie Luxemburg, selbst zu regeln, welche Zertifikate sie überhaupt noch erwerben wollen.
Wie bewerten Sie die Qualität der Luxemburger CDM-Vorhaben?
Es gibt Studien, die davon ausgehen, dass bis 2020 die Hälfte bis drei Viertel der verwirklichten CDM-Projekte keine zusätzliche CO2-Einsparung erbracht haben werden. Wenn Luxemburg keine zusäztlichen Qualitätsvorschriften hat, kann man das folglich auch für die gekauften Zertifikate der luxemburgischen Regierung annehmen. Es werden also öffentliche Gelder dafür verwendet, Vorhaben zu finanzieren, die das vorgegebene Ziel der CO2-Reduzierung nicht erreichen. Diese Gelder fehlen dann bei den Bemühungen, die Reduktionsziele im eigenen Land zu erreichen. Natürlich wird die Luxemburger Regierung, so lange es möglich ist – also bis 2020 -, in solche Zertifikate investieren, weil es viel teurer wäre, entsprechende Reduktionen etwa durch Investitionen in den öffentlichen Transport zu erreichen. Allerdings sollte man auch verstehen, dass in anderen Ländern die Ziele so niedrig angesetzt waren, dass auf diesen Mechanismus nicht mehr zurückgegriffen zu werden braucht. Luxemburg stellt insofern einen Sonderfall dar.
„Die Verantwortung liegt auf jeden Fall bei den Regierungen, die die Zertifikate erwerben.“
Was werden Sie den Abgeordneten der Kioto-Sonderkommission am Donnerstag raten?
Für Luxemburg wird sich eine interessante Debatte darüber ergeben, wie man sich die Flexibilitäten in Zukunft vorstellen soll. Wie könnte man dieses Geld, das bislang verschwendet wird, inländisch besser einsetzen? Oder setzt man sich neuen Gefahren aus, die dasselbe Problem mit einem neuen Namen beschreiben? Des Weiteren ist bemerkenswert, dass die Regierung, obwohl sie ja demnächst federführend sein wird, bei den Regelungen, die die EU sich geben soll, noch keine klare Linie hat. Dabei wäre es an der Zeit, andere Politikinstrumente in den Vordergrund zu rücken und direkt bei Sektoren, in denen es echte Reduktionspotenziale gibt, also etwa beim Transportwesen oder der Energieeffizienz von Gebäuden, konkret anzusetzen, statt sich auf den Emissionshandel zu verlassen. Nicht zuletzt wird Luxemburg auch federführend sein, starke EU-Positionen für den Klimagipfel in Paris auzuarbeiten.
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Donnerstag, 5. Februar, 12h15, im Centre Culturel Altrimenti / Centre Konvikt, 5, av. Marie-Thérèse, Luxembourg:
„Der Emissionshandel nach Lima und vor Paris“ mit Eva Filzmoser.
Die Direktorin des globalen NGO-Netzwerks Carbon Market Watch gibt einen Überblick über die aktuellen Spielregeln bei den verschiedenen Typen von Emissionsrechten nach dem Klimagipfel von Lima: von CDM bis zu „Heißer Luft“. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Klimaeffizienz dieser Regelungen und der Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechten.
Weitere Infos:
Jean-Sébastian Zippert /etika Tel. 29 83 53, jsz@etika.lu;
Dietmar Mirkes / ASTM, Tel. 40 04 27 30, dietmar.mirkes@astm.lu
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