Kunstwerk beschädigt: Look, don’t touch

von | 25.09.2025

Ganz ruhig verlief der Sommer für das Casino Luxembourg nicht, denn im Juli wurden gleich zwei Kunstwerke beschädigt. Die woxx traf sich mit dem Direktor Kevin Muhlen, um über die Vorfälle und ihre Nachwehen zu sprechen.

Hauptwerk der Ausstellung „Hot Flashes“: die Figurengruppe „E.T. The Excremential“. Beide Statuen stehen sich, durch einen Einwegspiegel getrennt, direkt gegenüber. (© Casino Luxembourg)

Wenn ausgestellte Kunstwerke unwillentlich beschädigt werden, zieht das einen Rattenschwanz an Fragen nach sich. Manche davon sind pragmatischer, andere philosophischer Natur; sie reichen von der Frage nach der Haftung und möglicher Restaurierung bis hin zu Überlegungen über das immer komplexer werdende Verhältnis von Publikum und Exponat in einer Welt, in der das Streben nach unmittelbarer Nähe und Echtzeit-Teilnahme zunehmend zu Unvorsichtigkeit oder gar einer gewissen Enthemmung führen kann. Kulturorte sehen sich daher mehr denn je vor die Herausforderung gestellt, sorgsam abzuwägen, wie sie einerseits ihre Ausstellungsstücke schützen und andererseits die unmittelbare Kunsterfahrung der Besucher*innen gewährleisten können.

Ein schwieriger Spagat, den auch das Casino Luxembourg, Forum für zeitgenössische Kunst in Luxemburg-Stadt, leisten muss. Die Sommermonate, die in anderen Kulturbereichen gewohnheitsmäßig für eine kleine Atempause sorgen, waren für das 22-köpfige Team durchaus bewegt. Denn im Juli wurde innerhalb einer Woche die aus zwei Statuen bestehende Figurengruppe „E.T. The Excremential“ der Künstlerin Aline Bouvy beschädigt – einer Statue wurde ein Finger abgebrochen, der anderen ein ganzer Arm. Die Schäden seien jeweils unbeabsichtigt gewesen, betont Kevin Muhlen, Direktor der Kultureinrichtung. Die woxx traf sich mit ihm zur Nachbetrachtung der Vorfälle, die, obgleich glimpflich ausgegangen, doch ihre Spuren bei der Belegschaft hinterlassen haben.

Nach den Unfällen habe sich gleich das ganze Team getroffen, um Ursachenforschung zu betreiben. „Warum ist es passiert und wie können wir die Botschaft noch klarer überbringen, dass man sich hier in einem Vertrauensverhältnis befindet: Wir stellen die Kunst so aus wie gedacht, das heißt nach Möglichkeit ohne das Exoskelett eines äußeren Schutzes, und zählen dafür auf den Respekt der Besucher“, erzählt Muhlen.

So kam während der Meetings auch die Frage auf, wie die Kunstinteressierten beim Besuch der Ausstellungen besser begleitet werden können. Denn dass diese im Drei-Monats-Rhythmus wechseln, bringt eigene Herausforderungen mit sich. „Es gehört zur Spezifität von Wechselausstellungen, dass immer wieder ein neuer Kontext geschaffen wird. Es werden Werke gezeigt, die manchmal eine Interaktion, manchmal eine Distanz fordern.“ Das könne zu Verwirrung beim Kern- und Gelegenheitspublikum führen. An der Rezeption werden die Besucher*innen deshalb nun noch einmal explizit darauf hingewiesen, dass sie die Exponate nicht berühren dürfen. „Wir versuchen aber, die Integrität der Arbeit des Künstlers oder der Künstlerin zu bewahren, so gut es geht. Das heißt, dass wir möglichst auf Piktogramme, Zeichen oder geschriebene Botschaften verzichten.“

Wir stellen die Kunst so aus wie gedacht, das heißt nach Möglichkeit ohne das Exoskelett eines äußeren Schutzes, und zählen dafür auf den Respekt der Besucher.

Die andere Frage betrifft die Sicherung der Ausstellungsstücke. Derzeit setzt das Casino auf Videoüberwachung und die Arbeit eines Sicherheitsmitarbeiters, der, mit angemessener Diskretion, regelmäßige Kontrollgänge durch die Ausstellungsräume absolviert. „Wir wollen nicht, dass die Menschen sich in unseren Räumen beobachtet oder verfolgt fühlen“, sagt Muhlen. Eine Aufstockung des Überwachungspersonals sei aus finanziellen Gründen nicht möglich – zusätzliche Aufsichtspersonen würden nur zu bestimmten Zeiten engagiert, nämlich zur „Nuit des musées“, der Artweek und anderen größeren Veranstaltungen. Wie andere Kunstorte bietet das Casino zusätzlich auch Führungen an, bei denen Besucher*innen von Vermittler*innen während der Besichtigung betreut werden.

Was passiert, wenn ein Kunstwerk unabsichtlich beschädigt wird? Diese Frage musste sich das Casino Luxembourg stellen, denn im Sommer traf es gleich zwei ihrer Statuen. (© Casino Luxembourg)

Eine andere Möglichkeit wäre, einen Laserscanner einzusetzen, der wie ein unsichtbarer Vorhang funktioniert: Dringt jemand in den vom Scanner geschützten Raum ein, ertönt ein lauter Alarm, bis ein*e Aufseher*in erscheint. „Das ist natürlich eine ziemliche kostspielige und aufwendige Lösung“, gibt der Leiter des Forums für zeitgenössische Kunst zu bedenken. „Aber wenn wir zu dieser Investition bereit sind, könnten wir sie in Zukunft immer einsetzen.“

Und was passiert, wenn der Schaden erst einmal entstanden ist? Dann müssten die Verursacher*innen über ihre Haftpflicht dafür aufkommen. Eine entsprechende Versicherung für kulturelle Einrichtungen gebe es nicht. Und wenn der*die Schadensverursacher*in nicht versichert ist? „Den Fall hatten wir noch nicht“, bemerkt der Direktor. Überhaupt komme es relativ selten zu Schäden – Fälle wie die im vergangenen Juli gäbe es normalerweise vielleicht einmal im Jahr.

Wenn ein Unfall passiert ist, gilt es in erster Linie, sich ein Bild vom Ausmaß des Schadens zu machen und diesen zu dokumentieren. Dann muss man in Zusammenarbeit mit dem*der Künstler*in und anderen Fachpersonen herausfinden, ob sich das beschädigte Werk retten lässt und wenn ja, wie. Im Falle von „E.T. The Excremential“ wurden Schönheitskorrekturen in der hauseigenen Werkstatt von einer Restauratorin durchgeführt. Zur Zeit des Treffens stehen die beiden aus Schaumstoff bestehenden E.T.-Statuen bereits wieder an ihrem Platz in einem der oberen Ausstellungsräume des Casinos. Dass die Eingriffe der Restauratorin nicht sichtbar sind, ist eine Erleichterung für die gesamte Belegschaft des Casinos sowie für die Künstlerin selbst, die der Vorfall auch deswegen so aufwühlte, weil die Statuengruppe das Hauptwerk ihrer Ausstellung „Hot Flashes“ (siehe Kulturtipp der Woxx Nr. 1852) darstellt.

„Auch uns traf der Vorfall. Er traf uns, weil wir unsere Arbeit mit viel Einsatz und Leidenschaft machen und die Künstler so gut wie möglich begleiten wollen“, betont Muhlen. Dennoch sei es falsch, Fälle wie diesen zu dramatisieren. „Wir müssen einen kühlen Kopf bewahren, um die Situation richtig zu managen, sodass das Kunstwerk erstens repariert wird und wir uns zweitens wappnen können, um solche Vorkommnisse in Zukunft zu vermeiden.“

Manche Fauxpas haben gravierende Folgen: In Rotterdam hinterließ ein Kind dieses Jahr mehrere Kratzer an einem Gemälde des US-amerikanischen Künstlers Mark Rothko. In Verona zerstörte ein Tourist einen mit Swarovski-Kristallen besetzten Stuhl des Künstlers Nicola Bolla und in Florenz riss ein Besucher die Leinwand des „Porträt von Ferdinando de‘ Medici“ von Anton Domenico Gabbiani ein, als er ein Selfie machen wollte. Die Vorfälle wurden jeweils stark mediatisiert und befeuerten Debatten um Kunstschutz und Besucher*innenregelungen.

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