Seit rund 20 Jahren steht Laura-Mary Carter mit der Garage-Rock-Band „Blood Red Shoes“ auf der Bühne. Nun ist mit „Bye Bye Jackie“ ihr Solo-Debütalbum erschienen. Dieses bietet weit mehr als nur eskapistische Lovesongs, mit denen sich gebrochene Herzen heilen lassen.

Mit ihrem Album „Bye Bye Jackie“ wagt Musikerin Laura-Mary Carter den Sprung vom Garage- zum Folk-Rock. (Foto: Angela Marie Ricciardi)
Im Video zu „June Gloom“ sitzt Laura-Mary Carter auf dem Fenstersims einer Tokioer Karaokebar. Wohl gemerkt: Wenn sie nicht gerade tanzend davorsteht, mit rotem Baseballcap, vor reduzierter Kulisse. Wer sich da die Augen reibt und denkt, „Moment, die Bar kenne ich doch!“, dem sei gesagt: Das ist kein Zufall. Immerhin diente sie als Setting für eine der vermutlich berühmtesten Szenen der Filmgeschichte: In Sofia Coppolas „Lost in Translation“ (2003) sind es Charlotte (Scarlett Johansson) und Bob (Bill Murray), die in besagter Karaokebar die Nacht zum Tag machen. Sie trägt eine rosa Perücke, er schmettert den Roxy-Music-Klassiker „More than This“. Beide wissen nicht so ganz wohin, weder mit sich noch mit ihrem Leben.

Ein gelungenes Solodebüt: „Bye Bye Jackie“ von Laura-Mary Carter. (© Matt Henry)
Auf „Bye Bye Jackie“ skizziert Carter ein vergleichbares Szenario. Ihr Solodebüt handelt von Höhenflügen und Abstürzen, die krachend laut in Untiefen führen. Das Leben? Maximal schwierig. Das Zwischenmenschliche? Komplex. Die britische Sängerin und Gitarristin von „Blood Red Shoes“ arbeitet sich an diesem Zustand ab, geht schrittweise drei großen Fragen nach: Wo will ich hin? Was soll ich tun? Und überhaupt: An welchem Punkt hat das Leben eine so komplizierte Wendung genommen? Noch vor wenigen Jahren suchte Carter die Antworten auf solche Fragen „on the road“. Präziser: Auf einem Trip durch die USA, auf Anraten einer Wahrsagerin. Welche Antworten sie auf ihre Fragen fand, kann man sich auf ihrer Debüt-EP „Town Called Nothing“ (2021) anhören.
Nun widmet sie sich mit „Bye Bye Jackie“ weniger dem Außen, richtet den Blick auf den elf neuen Songs konsequent nach innen. Dass die meisten Lieder nachts entstanden sind, spiegelt sich in der Atmosphäre des Albums wider. Beispielsweise, wenn Carter in „Tell Me You’re Sorry“ mit warmer Stimme erklärt: „I travel far / I travel fast / But your photographs are my home“. Zeilen, so butterweich vorgetragen, dass sie zu Seelentrösterinnen werden. Die Richtung ihres Solodebüts dürfte damit klar sein: Es geht um die Höhen und Tiefen der Liebe, um Verlusterfahrung und die Suche nach der eigenen Identität. Immer nachfühlbar im Ton, niemals belanglos in der Aussage. Und zart wie eine Umarmung, wenn eine*n die Härte der Welt mal wieder trifft.
Dieses Gefühl unterlegt sie mit einem zurückgefahrenen Lofi-Sound, lotet die Genre-Grenzen aus. Das gelingt ihr, indem sie sich vom Garage- und Noise-Rock ihrer früheren Karriere verabschiedet und sich auf nostalgisch-verträumte Weise zu Americana und Folk-Rock bekennt. Mit einer Ausnahme, nämlich dem 54 Sekunden kurzen „Interlude“. Ein Noise-Track à la „For Mankind“ der US-Band „Water from Your Eyes“, der sich wie ein zusammengeflickter Hybrid aus Xylophon-Klingelton und leerem Sony-Ericsson-Handy-Akku anhört und das Gegenstück zum durchkomponierten Vorgängersong „Elvis Widow“ bildet. 26 Jahre zuvor hätte es dieser Countrysong mit seiner Schwermut und dem fragilen Arrangement wahrscheinlich auf den Soundtrack von Sofia Coppolas Film „The Virgin Suicides“ geschafft.
Gleiches gilt für die Ballade „I’ll Laugh About It (In Good Time)“. Mit seinem düster-morbiden und an Lana Del Rey („Summertime Sadness“) erinnernden Charme, erobert der Song Herzen – und beweist: Das kleine Einmaleins der Hittauglichkeit beherrscht Carter ebenso aus dem Effeff wie die Vertonung großer Gefühle. Dementsprechend werden in „Four Letter Words“ die unterschiedlichen Stadien der Liebe durchdekliniert – zu einem treibenden Rhythmus und unterlegt mit dem Klang einer elektronischen Orgel. Die Scherben einer sich dem Ende zuneigenden Beziehung kehrt die Musikerin dann in „Sometimes I Fail“ zusammen. Aus rein prophylaktischen Gründen versteht sich, und weil man einen Teil seiner Vergangenheit hinter sich lassen muss, um zu heilen. Ob verliebt oder von Herzschmerz geplagt: Sich „Bye Bye Jackie“ anzuhören, lohnt sich also in jedem Fall.

