„Budapest Ritmo“-Festival: Weltoffenheit durch Musik feiern

Mit dem „Budapest Ritmo“-Festival verwandelt sich die ungarische Hauptstadt jeden Frühling in ein funkelndes Zentrum für Weltmusik. Ein Bericht.

Ein würdiger Abschluss des ersten Festivalabends stellte der Auftritt der Sängerin und Musikerin Fatouma Diawara aus Mali dar. (Foto: Willi Kopottek)

Die Donau, das Burgviertel und der große jüdische Stadtteil – Budapest hat aus touristischer Sicht schon unheimlich viel zu bieten. Ein kulinarisches Erlebnis stellt auch das „Gulyás“ dar, ein Gericht, das sich sehr von dem unterscheidet, was außerhalb Ungarns als Gulasch bezeichnet wird. Viele Menschen könnten allein aufgrund der rechtsgerichteten Politik der Regierung Viktor Orbáns zögern, die ungarische Hauptstadt zu besuchen, aber es gibt auch das andere, weltoffene Ungarn.

Mit diesem kann man Bekanntschaft schließen, wenn man im Frühjahr das dreitägige Musikfestival „Budapest Ritmo“ besucht. In diesem Jahr fand es vom 10. bis zum 12. April statt und feierte sein zehnjähriges Bestehen. Neben zahlreichen Konferenzen für das Weltmusik-Fachpublikum im beeindruckenden, wie eine Skulptur wirkenden „Haus der ungarischen Musik“ (auf Ungarisch: Magyar Zene Háza), gab es musikalisch viel zu entdecken, und zwar in den Bereichen der internationalen Musik und der Musik aus Zentral-, Ost- und Südosteuropa.

Der Besuch der Musikveranstaltungen ist teilweise kostenlos oder für eine recht moderate Gebühr für alle Musikfreund*innen öffentlich zugänglich. Die Einheimischen mögen das Festival offenbar, denn es war ausverkauft und die Stimmung bei allen Konzerten ausgelassen. Im „Haus der ungarischen Musik“, das sich im schönen, neu gestalteten Stadtpark befindet, gab es sechs 40-minütige Kurzkonzerte von Newcomer*innen aus Süd- und Osteuropa. Aus Kroatien angereist war der Solokünstler Vuk, der sich mit Stimme, Saiteninstrumenten und Loops schamanischen Klängen näherte.

Die siebenköpfige Budapester Band Rézeleje Fanfárosok brachte mit viel Gebläse Musik aus Moldavien, Rumänien und vom Balkan auf die Bühne. Agona Shporta ist Kosovarin und hat mit ihrem Ensemble Liedformen aus ihrer Heimat vorgespielt, die von ihr mit Jazz angereichert wurden und die in Westeuropa weitgehend unbekannt sind.

Der beeindruckendste Auftritt bei diesen Kurzkonzerten kam von der Slowakin Júlia Kozáková und ihrem Roma-Ensemble Manuša. Kozákovás Stimme ist großartig, die durch ihre freundliche Aura bestimmte Bühnenpräsenz stark. Ihr vierköpfiges Ensemble mit Geige, Viola, Kontrabass und Cimbalom, zeitweise verstärkt von einem Gitarristen, lieferte eine hochprofessionelle Show – der Cimbalomspieler entpuppte sich als ein wahrer Hackbrett-Paganini. Es wurde gemunkelt, dass Kozáková mit ihrer Band in absehbarer Zeit nach Luxemburg kommen soll. Wenn sich das bewahrheitet, darf man diese Gruppe auf keinen Fall verpassen.

Schwerpunkt Niederlande

Der erste Abend fand seinen Abschluss mit dem Open-Air-Konzert von Fatouma Diawara aus Mali, einer der ganz großen afrikanischen Sängerinnen, die auch Gitarre spielt und mit ihrer rockigen Band das Publikum trotz kühler Temperaturen anheizte. An den beiden folgenden Tagen fanden die Abendkonzerte im Akvarium statt, einem einladenden, unterirdischen Veranstaltungsort mit einem großen Saal, einem mittelgroßen Saal und einem kleinen Club mitten im Herzen der ungarischen Hauptstadt auf dem Elisabeth-Platz. Hier konnte man auch ungarischen Gruppen wie der Folk-Rockband Szabó Balázs Bandája lauschen. Die baten bei einigen Stücken die wohl beste Sängerin der Oláh-Roma, die mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Mónika Lakatos, auf die Bühne, die die leisen Töne genauso perfekt beherrscht wie den dramatischen Vortrag und damit Begeisterungsstürme im Publikum hervorrief. Was die internationalen Acts angeht, hatte das Ritmo-Festival in diesem Jahr die Niederlande als Schwerpunkt. Hier fielen vor allem zwei Gruppen auf. Altin Gün aus Amsterdam ist seit Jahren in der Weltmusikszene erfolgreich und brachte den Saal mit anatolischem Rock zum Tanzen.

In den Niederlanden leben zahlreiche Menschen mit indonesischen Wurzeln, was damit zusammenhängt, dass Indonesien eine niederländische Kolonie war und erst in den 1940er-Jahren nach einem bewaffneten Kampf unabhängig wurde. Die Gruppe Nusantara Beat greift das musikalische Erbe des Inselstaates auf und brachte eine erstaunliche, moderne Form des indonesischen Roots-Pop auf die Bühne. Einer der Höhepunkte im großen Saal war der Auftritt der Legende der modernen Taranta-Musik aus dem italienischen Salento, Canzionere Grecanico Salentino. Die – mittlerweile verjüngte – Gruppe existiert seit 50 Jahren und begeisterte vom ersten Ton an das ungarische Publikum. Bei einem Teil ihres Auftritts baten sie die ungarische Gruppe Kovács A. Máté és barátai auf die Bühne, gemeinsam verbanden sie dann furios traditionelle Klänge aus beiden Ländern.

Einfluss künstlicher Intelligenz

Seit einem halben Jahrhundert im Musikbusiness: die Gruppe Canzionere Grecanico Salentino. (Foto: Willi Kopottek)

Neben der lauten Musik in den beiden Sälen konnte man im intimen Club „Lokál“ leiseren Tönen lauschen. Am Freitag trat dort der aus Ost-Anatolien stammende Musiker Ali Dogan Gönültas auf, er präsentierte mit Stimme und Tenbur-Laute die Musik der alevitischen Kurd*innen. Kurz darauf stand dort die portugiesische Sängerin und Gitarristin Carmen Souza am Mikrofon. Sie gehört seit Jahren zu den großen Stimmen des Jazz und verbindet diesen gern mit Weltmusik. Es war ein intensives Konzert, bei dem sie von einem Bassisten und einem Schlagzeuger kongenial begleitet wurde.

Am Samstag konnte man dann das irisch-englische Duo The Breath erleben, das aus der Sängerin und Flötistin Ríoghnach Connolly und dem Gitarristen Stuart McCallum besteht. Beide sind bestens aufeinander abgestimmt und bieten Zuhörer*innen seit vielen Jahren eine filigrane, emotionale und innovative Form keltischer Musik.

Den Abschluss bildete das in Brüssel beheimatete, vom Trio zum Duo geschrumpfte Ensemble Las Lloronas, das ganz ruhige, minimalistische Lieder mit Beziehung zur Slam-Poetry darbietet. Ein ganz passender, besinnlicher Abschluss eines beeindruckenden Festivals, das man allen empfehlen kann, die erstklassige Musik genießen wollen; erst recht, seitdem die Stadt Luxemburg vor Jahren das sehr gute MeYouZik-Festival abgeschafft hat.

Bei den dem Fachpublikum vorbehaltenen Konferenzsitzungen wurde unter anderem besprochen, welche Auswirkungen der Einsatz der sogenannten Künstlichen Intelligenz auf die Musikszene insgesamt – nicht nur auf die Weltmusik – hat oder in Zukunft haben könnte. Die Experten Thomas Lidy aus Wien und Darek Mazzone aus Seattle schilderten detailliert und fachkundig, wie Computerprogramme jetzt schon die Produktion von Musik mitprägen. Der neueste Stand der Entwicklung sind Computerprogramme, die komplette Songs produzieren können. Lidy stellte ein Rockstück vor, das vollständig, also mit Text, Melodie, Arrangement, Gitarre, Bass, Schlagzeug und Keyboard von einem dieser Programme selbständig hergestellt wurde und sogar den Gesang emulierte.

Dieses Stück war ein perfekter Song, bei dem überhaupt nicht – selbst beim Gesang nicht – zu erkennen war, dass hier auf menschliches Zutun vollständig verzichtet wurde. Lidy betonte, dass es inzwischen so gut wie unmöglich sei, diese vollständig künstlichen Produkte als solche zu identifizieren und dies in Zukunft durch weitere Perfektionierung wohl überhaupt nicht mehr möglich sein wird. Darauf dürften sich Musik-Streaming-Dienste wie Spotify freuen, die, finanziell von der günstig produzierten Musik profitierend, bereits heute Unmengen von KI-generierten Liedern anbieten.


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