Die Proteste der Gen-Z: Von den sozialen Medien auf die Straße

von | 17.10.2025

In unterschiedlichen Weltregionen werden Angehörige der Gen-Z gegen Korruption, Einschränkungen der Informationsfreiheit und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit aktiv. Die Protestierenden haben einiges gemeinsam. So sind sie überwiegend Anfang 20 oder jünger, kommen aus den urbanen Zentren, nutzen soziale Medien und nehmen meist erstmals an politischen Aktionen teil.

Auf Madagaskar hat das Militär (bei Redaktionsschluss) erklärt, es habe die Macht übernommen: Demonstrant Mitte Oktober in der madegassischen Hauptstadt Antananarivo. (Foto: EPA/RAZAFINDRAKOTO MAMY)

Anfang September stürmten Hunderte Demonstrierende das Parlament in Nepals Hauptstadt Kathmandu und setzten das Hauptgebäude in Brand. Medienberichten zufolge standen auch Wohnsitze und Büros mehrerer Minister und führender Politiker in Flammen. 72 Menschen starben im Zuge der Unruhen.

Die militanten Proteste ausgelöst hatten mittlerweile zurückgenommene Pläne für ein Social-Media-Verbot durch die nepalesische Regierung unter Premierminister Khadga Prasad Sharma Oli von der – eher sozialdemokratischen – „Kommunistischen Partei Nepals (Vereinigte Marxisten-Leninisten)“, der dann infolge der Ausschreitungen zurücktrat („Erneut im Umbruch“, woxx 1856). Ein tiefer liegender Grund für die Proteste ist die weitverbreitete Korruption in dem südasiatischen Land. Doch gerade den staatlichen Eingriff ins Internet empfanden viele junge Nepalis als Angriff auf ihre Freiheit. Es verwundert daher auch nicht, dass sich die Bilder der Unruhen binnen Stunden in den sozialen Medien verbreiteten und zur weiteren Mobilisierung beitrugen.

Der Sturm auf das Parlament in Kathmandu erinnert an das Geschehen vor einem Jahr in Nairobi: Am 25. Juni 2024 drangen Tausende vorwiegend junge Menschen in das kenianische Parlamentsgebäude ein, um gegen geplante Steuererhöhungen zu protestieren; auch dort kam es zu schweren Ausschreitungen und tödlicher Gewalt durch die Polizei. Insgesamt kamen bei den Protesten über 50 Menschen ums Leben.

Seit einigen Jahren hat sich in zahlreichen Ländern Asiens, Lateinamerikas und Afrikas eine neue Protestbewegung und -form herausgebildet. Medien sprechen diesbezüglich immer häufiger von „Gen-Z-Protesten“ („Generation Z“: die Geburtsjahrgänge von 1997 bis 2012): junge, digital vernetzte Menschen tragen ihre Wut über Korruption, Erwerbslosigkeit, Perspektivmangel und überbordende Privilegien der staatlichen und wirtschaftlichen Führungsschichten auf die Straßen und äußern sie in den sozialen Medien. Im August 2024 stürzte in Bangladesch eine breite Protestbewegung aus Studierenden, Arbeiter*innen und auch Angehörigen der Mittelschicht die langjährige Regierung von Premierministerin Sheikh Hasina. Seit Anfang dieses Jahres liefern sich in Indonesien junge Menschen Straßenschlachten mit der Polizei und auf den Philippinen breiteten sich im September ähnliche Proteste aus.

Marokkos Jugend protestiert ebenfalls landesweit gegen Korruption, mangelnde Erwerbsmöglichkeiten und für ein besseres Gesundheits- und Bildungswesen. In Madagaskar – einem der ärmsten Länder Afrikas – richteten sich die Proteste zunächst gegen Stromausfälle und Trinkwasserknappheit, nach Angaben der Vereinten Nationen wurden bei den Unruhen auf dem Inselstaat mindestens 22 Menschen getötet und über 100 verletzt. Inzwischen wurde Präsident Andry Rajoelina abgesetzt und ist aus dem Land geflohen; bei Redaktionsschluss dieser Seiten verlautbarte das Militär, man habe die Macht übernommen.

Und auch auf dem amerikanischen Kontinent brechen derlei Demonstrationen aus. In Peru begann die Jugend Ende September, auf die Straße zu gehen, nachdem die Regierung eine Reform des Rentengesetzes angekündigt hatte. Schnell weiteten sich die Proteste aus; bald wurde auch die Bekämpfung von Korruption sowie der steigenden Kriminalität gefordert. Die Regierung von Präsidentin Dina Boluarte erreichte zuletzt Zustimmungswerte von zwei Prozent. Am Freitag vergangener Woche enthob das Parlament Boluarte wegen „dauerhafter Geschäftsunfähigkeit“ ihres Amts.

Im Iran hat das islamistische Regime zwar die Proteste nach der Ermordung der Kurdin Jina Mahsa Amini im September 2022 weitgehend niedergeschlagen, doch gelangen aus dem Land weiterhin Videos von Frauen an die Öffentlichkeit, die sich gegen Verschleierung wehren, oder von Kurdinnen und Kurden, die offen ihre Opposition zum Ausdruck bringen.

Die soziodemographische Zusammensetzung dieser weltweiten Protestbewegungen ist bemerkenswert homogen: Die Beteiligten stammen größtenteils aus den urbanen Zentren und sind zum ersten Mal politisch auf der Straße aktiv. Sie sind in ihren Zwanzigern oder noch jünger, die Nutzung sozialer Medien gehören entsprechend selbstverständlich zu ihrem Alltag und eben auch zu ihrem politischen Handeln. Zudem ist der Gen-Z in zahlreichen der erwähnten Länder gemein, dass sie einen großen Teil der jeweiligen Bevölkerung ausmacht. In Kenia ist die Hälfte der Bevölkerung unter 20 Jahre alt, in Madagaskar ist jede*r zweite unter 30 und in Nepal beträgt das Durchschnittsalter rund 25 Jahre. Auch die ökonomische Situation derer, die protestieren, lässt sich charakterisieren: Sie ist von Inflation, Prekarität, Erwerbs- und Perspektivlosigkeit geprägt. Die politischen Systeme aller dieser Länder sind durch Korruption und Nepotismus gekennzeichnet.

Die Generation Z wuchs im Schatten der Finanzkrise von 2008 auf. Hinzu kamen die Folgen der Klimakrise, die Covid-19-Pandemie und zahlreiche Kriege. Neuerdings leiden viele Länder zudem unter erheblichen negativen ökonomischen Auswirkungen der US-Zollpolitik.

Dies erklärt, warum die Proteste in kulturell unterschiedlichen Kontexten ganz ähnliche Züge annehmen, auch wenn der konkrete Auslöser sich jeweils unterscheidet: In Kenia waren es Pläne für Steuererhöhungen auf Brot und elektronische Transaktionen; in Indonesien stieß ein Vorschlag für einen finanziellen Zuschuss für Abgeordnete auf Empörung. Dessen Höhe hätte den Mindestlohn in der Hauptstadt Jakarta um das Zehnfache überstiegen.

Die Proteste nehmen in kulturell unterschiedlichen Kontexten ganz ähnliche Züge an, auch wenn der konkrete Auslöser sich jeweils unterscheidet.

Soziale Medien spielen in allen gegenwärtigen Protesten eine zentrale Rolle. Sie sind alltägliches Kommunikationsmittel und politisches Organisierungsinstrument in einem: Über sie werden Dienstleistungen angeboten – wie Transport- oder Lieferservices –, die auf angespannten Arbeitsmärkten häufig eine der wenigen Möglichkeiten des Gelderwerbs darstellen. Zudem helfen die sozialen Medien dabei, Aufrufe zu Demonstrationen und Protesten zu verbreiten, Strategien zu koordinieren und Polizeigewalt zu dokumentieren. Gerade deshalb sahen die Protestierenden Ankündigungen, den Zugang zu sozialen Medien einzuschränken, als Beleg dafür, wie weit sich der politische Betrieb von der Lebenswirklichkeit einer digital geprägten Generation entfremdet hat.

Ein Beispiel für den Einfluss der Zeichenwelt des Internets und der Popkultur auf die globalen Proteste ist ein Symbol, das derzeit bei Kundgebungen und Protesten von Indonesien über Nepal bis Marokko sowie in weiteren Ländern auftaucht: eine Piratenflagge, auf der ein Totenkopf mit Strohhut zu sehen ist. Die Flagge stammt aus der Manga-Serie „One Piece“, deren Verfilmung Ende der 1990er-Jahre im Fernsehen lief und die 2023 neu adaptiert wurde. Sie erzählt die Geschichte eines jungen Piraten mit Strohhut, Monkey D. Ruffy, der einen sagenumwobenen Schatz namens One Piece finden will, um so zum König der Piraten aufzusteigen. In der Serie geht es nicht um Machtstreben, sondern um die Suche nach größtmöglicher Autonomie.

Die Popularität von Symbolen wie der Piratenflagge zeigt, wie stark sich junge Menschen über mediale Referenzen identifizieren, deren Gehalt weder strikt ideologisch noch eindeutig parteipolitisch geprägt ist. Politisch greifen sie auf die Bewegungen der 2010er-Jahre zurück: die Bewegung der Platzbesetzungen. Inspiriert vom „Arabischen Frühling“ nutzten etwa die „Indignados“ in Spanien oder die Bewegung „Occupy Wall Street“ in den USA die öffentlichen Plätze als Orte des symbolischen und physischen Widerstands.

Ob es den Gen-Z-Protestierenden gelingen wird, ihre Forderungen durchzusetzen und für junge Menschen Zugänge zu Bildung oder zu verlässlichen Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen, wird auch von der Stärke und dem Durchhaltevermögen der Bewegungen abhängen. Die jeweiligen Regierungen dürften versucht sein, ihre Repressalien zu verschärfen, um Proteste zu unterdrücken.

Die jüngste Protestwelle zeigt, dass weltweit junge Menschen bereit sind, gegen korrupte Regierungen und für ihre Zukunft zu kämpfen und dabei einiges zu riskieren. Ein berühmtes Zitat des fiktiven Pirats Monkey D. Ruffy lautet passenderweise: „Ich will eine Welt erschaffen, in der alle meine Freunde so viel essen können, wie sie wollen!“

Christopher Wimmer arbeitet als Journalist und Soziologe; er lebt in Berlin.

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