In ihrer zu DDR-Zeiten spielenden Erzählung „Doswidanja, Genosse“ zeichnet Margret Steckel das Porträt eines Kapitäns und überzeugten Kommunisten, dessen Leben durch haltlose Beschuldigungen ins Wanken gerät. Eine Geschichte über die Herausforderungen menschlichen Daseins in einem repressiven System.
Wie viel Leben auf 92 Seiten passt, ahnt man nicht, wenn man die neueste Erzählung der Batty-Weber-Preisträgerin Margret Steckel in die Hand nimmt. Erst wenn man den Band aufschlägt und dem systemtreuen Kapitän Lukas Braak, der während DDR-Zeiten die Weltmeere befährt, zu folgen beginnt auf seiner Land-, See- und Lebensreise, ahnt man, dass reichlich Liebe und Glück ein menschliches Schicksal bestimmen können, es aber zugleich kaum vor erzwungenen Kurswechseln und existenziellen Stürmen gefeit ist. Als Leser*in beobachtet man den Seemann dabei, wie er, seine Hände stets fest ums Steuerrad gelegt, durch Gewässer navigiert, die unruhiger werden, je mehr er – obgleich unschuldig – von der Stasi ins Visier genommen wird, bis seine gesamte Existenz in eine gefährliche Schräglage gerät.
Schon die Kindheit und Jugend des geborenen Hamburgers sind von Wechselfällen in der familiären Sphäre sowie den großen weltpolitischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts geprägt. Zunächst führt die frühe Scheidung seiner Eltern – seine Mutter Heidi verschlägt es später nach Nordamerika – dazu, dass der kleine Braak gleich mehrere weibliche Bezugspersonen haben wird: genauer zwei Stiefmütter, dazu noch einige, ihm eng verbundene Stiefgeschwister. Nach der Bombardierung der Hafenstadt ist die Familie gezwungen, zum Großvater in die Rostocker Umgebung zu ziehen, „aus dem Stadtjungen [wird] ein Landjunge“. Stadt und Land, See und Boden – Lukas Braaks Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht, spannt sich wie ein Sonnensegel zwischen diesen Befestigungspunkten auf. Aus dem Jungen Braak wird ein Heranwachsender, ein zupackender Kleinknecht, der außerhalb der Schulzeit schwere Arbeit auf dem Hof verrichtet. So geht es weiter bis er als junger Mann dem Ruf des Meeres folgt und Matrosenschüler wird.
Wenn der Glaube zertrümmert wird
Braak mausert sich schließlich zum Kapitän, lernt seine Frau Inge kennen, adoptiert deren kleine Tochter und wird zudem Vater zweier Söhne. An die Verheißungen des DDR-Regimes glauben sowohl er als auch seine Partnerin aus tiefstem Herzen: „[E]r war nicht aufsässig, auch nicht opportunistisch angepasst, er wollte aktiv das kommunistische Himmelreich erbauen, gemeinsam mit allen Genossen.“ Umso härter trifft ihn die Kündigung und das Berufsverbot, das ihm schriftlich mitgeteilt wird, nachdem er seine in den antikommunistischen USA lebenden Mutter traf. Westkontakte – eine nicht zu verzeihende Verfehlung in dem autoritären, krankhaften Argwohn fördernden sozialistischen Staat. Der ehemalige Seefahrer Tund seine Ehefrau, die sich auf ihren Reisen ebenfalls verdächtig machte, werden fortan als Staatsfeinde betrachtet. Braak muss sich eine andere Arbeit suchen, ihn zieht es wieder ins Rostocker Umland, wo er wie schon in seinen Jugendjahren als Landarbeiter „malocht“. Das ihren Träumen und Zukunftsperspektiven beraubte Paar schlägt sich durch – doch Inge verliert immer mehr den Boden unter den Füßen, bis sie vollends der Lebenswille verlässt.
Trotz, Trauer, Resignation – all diese emotionalen Stadien durchlaufen die zu Unrecht Beschuldigten, deren gemeinsame Existenz durch die Bezichtigungen letztlich pulverisiert wird. „Doswidanja, Genosse“ ist eine mitreißende wie aufwühlende Erzählung, die zuvorderst ein bewegtes Einzelschicksal, nämlich das des gezwungenermaßen abtrünnig werdenden Lukas Braak, in den Mittelpunkt stellt, dabei jedoch den exemplarischen Charakter dieser an dem politischen System fast zerbrechenden individuellen Existenz herausstellt. Mit einem schnellen, aber nie gehetzten Tempo führt Margret Steckel durch die Geschichte und zeichnet dabei ein dem Realismus verpflichtetes Gemälde, für das sie sich keinesfalls ausschließlich einer düsteren Farbpalette bedient, sondern vielmehr auf Hell-Dunkel-Kontraste setzt, die ihm einen ganz besonderen, durch seine Nuancen geradezu vibrierenden Glanz verleihen.