Ecuador: Die giftige Gier nach Gold

In den Amazonasregionen wird das Schürfen nach Gold zu einem immer größeren ökologischen Problem. Auch die Provinz Napo und die dort gelegene Dschungelstadt Tena sind massiv betroffen. Umweltkomitees beginnen sich gegen die Korruption und Untätigkeit des Staates zu wehren.

Stillgelegt: Diese Bagger wurden zum illegalen Schürfen von Gold benutzt. (Foto: Knut Henkel)

Rodrigo Mestanza kommt immer dann zum Einsatz, wenn Andrés Rojas möglichst unerkannt von A nach B kommen will. Mestanza ist Taxifahrer und fährt Rojas, der ein bekannter Umweltanwalt ist, immer mal wieder in der Umgebung der im Amazonas gelegenen Stadt Tena umher. Heute jedoch bittet Rojas darum, nicht ihn selbst, sondern den Autor dieser Zeilen auf eine rund einstündige Rundtour mitzunehmen.

„Als erstes fahren wir zum städtischen Grundstück, wo mehr als 140 Bagger deponiert sind, die im Februar 2022 bei einer Razzia von rund eintausend Polizei- und Militärkräften beschlagnahmt wurden“, erklärt Mestanza. Der mittelgroße, freundliche Mann mit dem runden Gesicht ist täglich in und um Tena unterwegs und bekommt mit, was in den Dörfern und kleinen Siedlungen passiert, wo eines der rund 40 derzeit aktiven Bergbau-Camps, „Frentes mineros“ genannt, errichtet worden ist. Die Frentes bestehen meist aus einigen Dutzend, manchmal auch aus bis zu dreihundert Goldschürfern, die rund um einen oder auch mehrere schwere Bagger arbeiten und oft kleine Nuggets aus dem Aushub waschen, aber auch Gold mit Hilfe von giftigem Quecksilber von dem Gestein scheiden.

Zügig lenkt Mestanza den Wagen durch die kleine Stadt mit ihren knapp 30.000 Einwohner*innen. Tena ist der Verwaltungssitz der Amazonasprovinz Napo. Sechs der insgesamt 24 ecuadorianischen Verwaltungsbezirke liegen im Amazonasgebiet Ecuadors. Das erstreckt sich über 120.000 Hektar des Landes, rund 43 Prozent der Gesamtfläche. „Hier bin ich aufgewachsen, mitten in der opulenten Flora und Fauna, umgeben von kristallklaren Flüssen, die zum Baden einluden und einen schier unerschöpflichen Fischreichtum aufwiesen“, erklärt Mestanza und bremst langsam ab. Vor einem Zaun, auf den das Schild „Centro de Convenciones y Exposiciones“ montiert ist, kommen wir zum Halten. Hinter den Gittern sind Dutzende leuchtend-orange lackierter Bagger in Reih und Glied abgestellt. „Etwa 140 sind es, die hier seit Februar 2022 vor sich hingammeln. Sie wurden alle dort beschlagnahmt, wo wir als nächstes hinfahren: in Yutzupino“, erklärt Mestanza und nimmt wieder hinter dem Lenkrad Platz.

„Was hier passiert, hätte vermieden werden können, wenn wir alle früher und lauter aktiv geworden wären.“

Yutzupino ist ein kleines, in erster Linie von Indigenen bewohntes Dorf von 300 bis 500 Menschen und liegt nur knapp zehn Kilometer von Tena entfernt. Kurz vor einer Brücke weist ein grünes handgemaltes Schild den Weg nach Yutzipino und dem davor gelegenen El Cabildo. Die kleine Siedlung, verfügt über zwei, drei Ferienunterkünfte und ein Restaurant. Eine Aussichtsplattform, die an einer Felswand über dem Flusstal montiert, ist die große Attraktion im Ort. „Von hier oben hat man einen prächtigen Blick über das Tal, in dem der Río Anzu und der Río Jatunyaku aufeinandertreffen und in den Río Napo fließen. Früher war das ein traumhafter Ausblick in ein Paradies, heute ist davon kaum etwas übrig“, sagt Mestanza.

Er weist den Weg zur Plattform, von der aus man heute weit schauen kann. Etwa zwei Kilometer entfernt ist der erste orangefarbene Bagger zu sehen, von einer Abgaswolke umgeben. In einer mehrere Meter tiefen Grube steht das Fahrzeug, hin und wieder taucht die Baggerschaufel daraus auf. Ein paar hundert Meter weiter steht die nächste Baumaschine, zwischen meterhoch aufgetürmten, hellbeigen, von Steinen durchsetzen Sandbergen. Die gesamte Landschaft erinnert mehr an eine von Hügeln durchzogene Schuttwüste als an ein Tal, in dem zwei Flüsse zusammenfließen.

Über etliche Kilometer zieht sich das Tal, in dem der Fluss liegt, hinweg – soweit das Auge reicht sind Sandhaufen, Schläuche, ausgehobene Becken und unzählige Bagger zu sehen. Das mehrere Quadratkilometer große Areal scheint unter ihnen aufgeteilt zu sein. Rodrigo Mestanza bestätigt dies. Alle zwei, drei Wochen kommt er vorbei, verschafft sich einen Überblick und fährt dann weiter, hinunter ins Dorf Yutzupino. Jedoch nicht, um „Mineros“, Bergarbeiter, zu chauffieren, wie es viele seiner Kollegen tun. Ihn nervt, dass mit diesem Tal eine der schönsten Ecken Ecuadors systematisch zerstört wird.

„Was hier passiert, hätte vermieden werden können, wenn wir alle früher und lauter aktiv geworden wären“, kritisiert der Mann von Mitte, Ende dreißig Jahren. Er ist ungefähr im selben Alter wie Andrés Rojas und einige anderen aus dem Umweltkollektiv „Napo ama la Vida“ („Napo liebt das Leben“). Die Initiative hat 2019 mit ihren Informationskampagnen begonnen. Damals war durchgesickert, dass Bergbau-Konzessionen für eine Fläche von mehr als 7.000 Hektar von der Regionalregierung ausgegeben worden waren. Unternehmen wie die chinesische „Terraearth Resources S.A.“ wurden lizensiert, um in Yutzupino zu fördern.

Heute prangt das Logo des chinesischen Unternehmens an der Außenwand einer Halle in dem Dorf. Auf einer Schotterpiste passieren wir das Gebäude, werden auf dem Weg zu den Förderstellen von den meist indigenen Menschen, die uns begegnen, gemustert. „Hier wendet sich niemand gegen den Bergbau, obwohl die Leute schon heute kein Trinkwasser mehr haben. Sie müssen mit dem Tankwagen beliefert werden“, erläutert Mestanza und legt die Stirn in Falten.

Ihn empört es, dass die Verantwortlichen auf lokaler wie regionaler Ebene die Minenbetreiber gewähren ließen, obwohl sie genau wussten, dass dies nicht legal ist und zu einem ökologischen Desaster führen würde. Laut ecuadorianischem Recht hätte die lokale Bevölkerung nach ihrer Meinung zu dem geplanten Abbau gefragt werden müssen. „So schreibt es die Verfassung von 2008 vor, die zudem auch der Natur Rechte zubilligt“, sagt Rojas: „Was hier in Napo, aber auch in anderen Regionen des Landes immer wieder passiert, ist formal illegal.“

Der Anwalt engagiert sich seit Anfang 2020 im Umweltkollektiv und ist dort auf alte Schulfreunde, Bekannte und ein paar neue Gesichter gestoßen. In den Räumen der „Federación de Organizaciones Indígenas del Napo“ („Föderation der indigenen Organisationen von Napo“) in Tena fanden im Januar 2020 die ersten großen Treffen statt, um gegen die Konzessionierung und Lizensierung von Schürfrechten zu protestieren. 300, vielleicht auch 400 Menschen trafen sich dort, nahmen die Öffentlichkeitsarbeit auf, koordinierten den Protest und reichten auch Klagen ein, wie Rojas erzählt. Eine Handvoll indigene Genossenschaften, die Kaffee oder Kakao anbauen und in die Welt exportieren, gehören genauso dazu wie eine ganze Reihe von im Tourismus tätigen Unternehmer*innen. Hinzu kommen rund ein Dutzend Anwälte wie Rojas, der eine oder andere Taxifahrer wie Mestanza. Letzterer fürchtet, dass die Region ihre Perspektiven und ihre Lebensqualität verlieren wird, wenn nicht endlich etwas geschieht.

Andrés Rojas bekräftig, dass sich längst etwas tut, und auch der hiesige Vertreter der Tourismusbranche, Juan Arévalo, sieht das so. Vor ein paar Wochen ist er zum Sprecher des lokalen Tourismus-Dachverbandes von Napo gewählt worden. „Mittlerweile haben wir unser Nein zum Bergbau klar formuliert.“ Derzeit sei man dabei, den Nachweis zu erbringen, wie der Tourismus zur Entwicklung der Region beiträgt und wie viele Jobs er schaffe. „Das wollen wir dem Bergbau gegenüberstellen“, so der Hotelier. Arévalo hofft, die Verantwortlichen in Tena, aber auch in der Hauptstadt Quito, zum Umdenken zu bewegen. Ihm ist bewusst, dass das alles andere als einfach wird. „Der Bergbau korrumpiert“, sagt er über die Chance aufs schnelle Geld: „Es ist ziemlich sicher, dass die organisierte Kriminalität mittlerweile bei der Goldförderung ihre Finger im Spiel hat und das Geschäft auch für die Geldwäsche nutzt.“

Dieser Umstand macht es dem Umweltkollektiv schwer, mit seinem Anliegen voranzukommen. Sandra Rueda, seit August 2023 gewählte Parlamentsabgeordnete für die Provinz Napo, nennt Korruption als ein Grundproblem. Es sei wahrscheinlich, dass bei der Konzessions- und Lizenzvergabe Schmiergeld geflossen ist, meinen Rojas und Rueda. Für sie sind die staatlichen Akteure zu Komplizen geworden, weil sie Bergbauunternehmen wie „Terraearth Resources S.A.“ gewähren lassen – ohne jedwede Kontrolle. „Rückhaltebecken für kontaminiertes Wasser gibt es nicht, alles geht direkt in den Untergrund oder in die zerwühlte Flusslandschaft“, nennt Rojas ein Beispiel für die umweltschädlichen Praktiken der Unternehmen. Er ist in den letzten vier Jahren vom Spezialisten für Banken- und Unternehmensrecht zum versierten Anwalt für Umweltrecht mutiert, hat den Job gewechselt und arbeitet heute als Referent, Anwalt und Berater von Sandra Rueda. Auch an der Ausarbeitung von Gesetzesvorlagen ist er beteiligt.

Bei der Klage, um den Staat wegen Untätigkeit zur Verantwortung zu ziehen, war er ebenfalls mit von der Partie. Im Oktober 2021 wurde diese eingereicht; das Verfassungsgericht hat ihr stattgegeben. „Wir haben einige Erfolge vorzuweisen, haben den illegalen kontaminierenden Goldbergbau landesweit und teilweise auch international zum Thema gemacht“, sagt Rojas. „Aber sehen Sie sich um – der offene Tagebau rund um Tena geht weiter.“

„Wir haben einige Erfolge vorzuweisen und haben den illegalen kontaminierenden Goldbergbau landesweit und teilweise auch international zum Thema gemacht.“

Im Februar 2022 fand in Yutzipino die bereits erwähnte Großrazzia statt. Mit dem Abtransport der gesamten Ausrüstung und aller schweren Geräte schien der Goldabbau de facto beendet. Doch heimlich, still und leise ging es trotz dem weiter. Bereits den Lockdown während der Corona-Pandemie hatten Bergleute genutzt, um in andere Regionen vorzudringen – oft mit Unterstützung der armen indigenen Bevölkerung. Diese sei während der Pandemie nicht vom Staat unterstützt worden und musste sich ohne staatliche Sozialprogramme durchschlagen, sagt Rojas. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass es von ihr so wenig Widerstand gegen das Goldschürfen gibt. „Früher haben sich indigene Gemeinden immer gegen die Ausplünderung von Mutter Erde, Pachamama gewehrt, heute ist das längst nicht mehr überall der Fall“, schildert Rojas seine Erfahrungen aus den letzten vier, fünf Jahren.

Mitten im Río Tena liegt eine Flussinsel, auf der Andrés Rojas einst zur Schule gegangen ist. Nach der Schule war er eigentlich immer im Wasser zu finden. Das wäre nun nicht mehr denkbar. Auch der Río Tena ist verseucht. „Von dem Quecksilber, welches weiter oben eingesetzt wird“, sagt Rojas. Er kennt mehrere Leute, die deswegen ihre Arbeit verloren haben. „Tourveranstalter, die auf Rafting, Kajak und Kanu spezialisiert waren, haben hier keine Perspektive mehr.“

Sein Umweltkollektiv, ein gutes Dutzend Aktivist*innen, steht wegen dessen Engagement unter Druck. Einige haben Morddrohungen erhalten, andere, wie sein Freund Pepe Moreno leben in einer indigenen Gemeinde außerhalb von Tena, weil sie sich dort sicherer fühlen. „Ich und etliche andere haben das Gefühl, gegen eine Gummiwand zu laufen. Wir stoßen auf eine staatliche Mauer der Untätigkeit“.

Mit zwei Gesetzesinitiativen hoffen Rojas und Sandra Rueda daran endlich etwas zu ändern. In den kommenden Wochen soll im Parlament darüber abgestimmt werden. Zum einen sollen Umweltdelikte unter hohe Strafen gestellt, zum anderen der Klimaschutz in Ecuadors Amazonasgebiet neu definiert und geregelt werden. Das könnte die Plünderung der natürlichen Ressourcen in Ecuadors Amazonasregion bremsen. Dazu beitragen sollte auch ein Dekret aus dem Büro von Präsident Daniel Noboa: Dieses weist die staatlichen Behörden an, ein Register von Bergbauunternehmen, Konzessionen und Lizenzen anzulegen. Das könnte für mehr Transparenz und eventuell auch dafür sorgen, dass das Vordringen der Mineros in Schutzgebiete und andere sensible Regionen verlangsamt wird. Doch ob die staatlichen Stellen wirklich ihre Untätigkeit ablegen, daran mag Andrés Rojas nicht glauben.

Knut Henkel berichtet für die woxx aus Lateinamerika.

Gefährdet durch das Goldfieber: der Amazonas

Der Goldpreis liegt mit 2.754 US-Dollar pro Unze derzeit nahe am Allzeithoch von 2.789 US-Dollar. Die hohen Preise heizen weltweit die Nachfrage nach dem Edelmetall an und tragen dazu bei, dass nicht nur in Lateinamerika mit schwerem Gerät in Schutzgebiete eingedrungen wird, um Gold zu fördern. In der Amazonasregion sind die oft gut organisierten und meist gut vernetzten Goldsucher nahezu omnipräsent: In Brasilien, Peru, Kolumbien und auch im relativ kleinen Ecuador. Anders als seine Nachbarländer hat Ecuador die Amazonasregion zumindest auf dem Papier geschützt und der lokalen Bevölkerung ein Mitspracherecht bei der Vergabe von Konzessionen für den Bergbau eingeräumt. Doch Korruption und die Aktivitäten krimineller Banden tragen dazu bei, die Einhaltung der bestehenden Regeln zu untergraben. Das führt unter anderem dazu, dass in der Amazonasregion eine immer explosivere toxische Zeitbombe tickt. Schon länger weisen Messprotokolle nach, dass die Quecksilberbelastung in vielen Amazonasregionen steigt, darunter auch in Ecuador.


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